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Immer neugierig. Der Rotfuchs in freier Wildbahn.

© imago images/Panthermedia

Stadt, Land, Fuchs: Regenwürmer unter der Erde kriechen hören

Katrin Schumacher und Adele Brand porträtieren einen mehr oder weniger wilden Nachbarn des Menschen im Leben – und in der Legende.

Habichte, Schimpansen, Wölfe – von der innigen, über ein rein naturwissenschaftliches Interesse hinausgehenden Verbindung zwischen Frauen und Wildtieren erzählen seit Jahren Bücher und Filme. Inklusive des von schamanischen Kulturen bis zur Bekleidungsindustrie reichende Faszinosums Frau und Fell.

Zwei kurzweilige Monografien über Füchse sind nun mit beiden Motiven durchtränkt. Und beide wollen in der engagierten Rehabilitierung des mit Vorurteilen beworfenen Tieres rein gar nichts mehr von Ernst Anschütz' 1824 veröffentlichtem Kinderlied wissen: „Fuchs, du hast die Ganz gestohlen, gib sie wieder her. Sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewehr.“ Von Fuchsbandwurm und Tollwut gar nicht zu reden.

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„Füchse. Unsere wilden Nachbarn“ stammt von der britischen Ökologin und Naturforscherin Adele Brand. Brand betreibt einen Wildlife-Blog, hat Forschungsprojekte in fünf Ländern geleitet und das Leben der Füchse vom heimischen Garten in Surrey über die sibirische Halbinsel Kamschatka bis zur indischen Wüste Thar ausgiebig studiert. Darüber hinaus betätigt sie sich als Fuchs-Aktivistin, zieht verwaiste Welpen auf und pflegt an Räude erkrankte Tiere.

Biologiestunde mit subjektiven Einsprengseln

Nach dem mystifzierenden Beginn, in dem sie sich einen Rotfuchs in der Landschaft vorstellt und dabei von schwarzen Schlauchpilzen schreibt, die ihre Fruchtkörper wie „Finger von Toten“ durch das Laub strecken, verfällt die Erzählerin schnell in den Gestus einer populären Biologiekunde, die sie durch subjektive Einsprengsel persönlicher Erlebnisse aufgelockert.

Dieses bodenständige „Nature Writing“ kommt fast ohne die Komponente vom Fuchs als Fabeltier, sprich die bis tief in die japanische Mythologie und zu Goethes Dichtung „Reinecke Fuchs“ reichende kulturelle Dimension aus. Lieber gibt Brand in der angehängten „Werkzeugkiste für Fuchsfreunde" praktische Tipps zum Thema Naturbeobachtung samt technischem Equipment wie Wildkameras und einem Schnellkurs im Anfertigen von Gipsabdrücken. Nach britischem Humor klingt die schöne Verhaltensregel: „Falls Ihre Anwesenheit bewirkt, dass ein Tier sein Verhalten ändert, sind Sie zu nah.“

Ganz anders arbeitet die deutsche Literaturwissenschaftlerin und Kulturjournalistin Katrin Schumacher, deren „Füchse“ in der „Naturkunden“-Reihe des Berliner Verlags Matthes & Seitz erschienen sind. Ihr ebenfalls in Ich-Form erzähltes Porträt gleicht einem effektvoll verplauderten, mitunter beliebigen Streifzug durch Biologie und Kulturgeschichte des Fuchses. Bis zu seinem bitteren Ende als Balg, dem die im Jäger-Vokabular bewanderte Reporterin Schumacher bis zum letzten sächsischen Kürschnerdorf und in ein Pelzmodenhaus folgt.

Fakten versus literarischer Zauber

Von Äsops und La Fontaines Fabeln über Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“, den Song „Füchse“ der Hip-Hop-Band Absolute Beginner bis zu Romanen von Sasa Stanisic und Lutz Seiler kommt bei ihr alles vor, was die Fuchs-Folklore so zu bieten hat.

Katrin Schumacher begeistert sich wie Adele Brand von Kindesbeinen an für Füchse. Sie interessiert sich jedoch nicht nur für Gattungsgeschichte, Verbreitung und Verhalten einer Spezies, die Millionen Jahre vor den Menschen da war, sondern auch für deren Poetisierung und Stilisierung. Das bringt allerliebste Sätze hervor, deren Faktengehalt möglicherweise hinter den literarischen Zauber zurücktritt. Der Mensch mit seiner beschränkten Sinneswahrnehmung befinde sich im Wald stets an der Peripherie der Empfindung, stellt Schumacher fest.

Ein Fuchs dagegen hört, „wenn sich in anderthalb Kilometern Entfernung zwei Feldmäuse um einen Sonnenblumensamen zanken, und er riecht detailliert die zwei Winter, die in dem alten Laub stecken, das vielleicht so alt ist wie er selbst.“ Erstaunlich auch, dass Füchse die Bewegungen von Regenwürmern unter der Erde hören. Angesichts dessen wird selbst Adele Brand lyrisch und zitiert William Butler Yeats: „Die Welt ist voller magischer Dinge, die geduldig darauf warten, dass unsere Sinne schärfer werden.“

Robust und vielseitig

Beide sind sich darin einig, dass die durchschnittlich sechs bis sieben Kilo wiegenden Rotfüchse intelligente Tiere sind. Gewissermaßen die Gewinnertypen unter den Säugetieren. Der Mythos vom „schlauen“ Fuchs kommt also nicht von ungefähr. Dass sie als Polarfüchse in Alaskas Eiswüsten und als Feneks in den Sahara-Dünen genauso wie als Stadtfüchse in London und Berlin überleben, liegt an ihrer Robustheit und Vielseitigkeit. Füchse sind das Raubtier mit dem größten Verbreitungsgebiet auf Erden.

In der Wildnis fressen sie Aas, Erdmäuse, Würmer, Insekten, Beeren, Vogelgelege. In der Vorstadt können sie genauso von Pizzaresten, Ratten oder aus Fressnäpfen geräuberten Hundekeksen leben. „Anpassungsfähigkeit. Das ist die eigentliche Gabe der Füchse“, schreibt Adele Brand über die Fleischfresser, die Allesfresser sind.

Dass Füchse zu den Hundeartigen, den Caniden, gehören, mag man angesichts ihres geschmeidig schnürenden Katzenganges und ihrer senkrechten Pupillen kaum glauben. Sind doch Hunde als domestizierte Wölfe schon vor Jahrtausenden eine Zivilisationsgemeinschaft mit dem Menschen eingegangen. Füchse jedoch sind am Menschen desinteressiert.

Adele Brand: Füchse. Unsere wilden Nachbarn. Aus dem Englischen von Beate Schäfer. Verlag C.H. Beck, München 2020. 208 S., 22 €.

Katrin Schumacher: Füchse. Ein Porträt. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 160 S., 20 €.

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