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Wohin man schaut, wird aufgebaut. Arbeiten im Quartier Heidestraße in Berlin-Mitte in der Nähe des Hauptbahnhofs.

© Jens Kalaene/dpa

Stadt, Land, Frust: Die Baupolitik braucht dringend einen Paradigmenwechsel

Altbackene Methoden, ein Wirrwarr der Vorschriften: Klara Geywitz, die neue Bauministerin der SPD, muss das Bauwesen in Deutschland modernisieren.

Ein Aufatmen ging durch die Baubranche. Es gibt wieder ein eigenständiges Bundesbauministerium. Die Erkenntnis hatte sich wohl durchgesetzt, dass das Bauen angesichts seines erheblichen Anteils an der Gesamtwirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens sowie der endlich erkannten Bedeutung für Ökologie und Klima am Kabinettstisch vertreten sein müsse.

Jahrzehntelang war das Bundesbauministerium bei der Bildung neuer Regierungen nachrangige Verfügungsmasse. Ab 1998 wurde es anderen Ressorts zugeschlagen, um deren Gewicht zu stärken, mal dem Verkehr, mal Umwelt und Reaktorsicherheit. Zuletzt grenzte die Amtsführung des „Bauministers“ Horst Seehofer an einen Skandal. Er interessierte sich überhaupt nicht für das Fachgebiet, erschien kein einziges Mal bei einem baubezogenen Termin und ließ sich vertreten.

Die neue Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte niemand auf der Liste. Als Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunktthemen Familie, Migration, Ostdeutschland, Frauen war sie für naheliegendere Aufgaben wie Bildung und Forschung im Gespräch. Scholz wollte seine Mitstreiterin und Vertraute ins Kabinett holen. Die Frage wird, vor allem außerhalb der Politeliten, immer wieder gestellt: Braucht eine Ministerin nicht ein Mindestmaß an Fachverstand für ihr Ressort? Sie stellt sich insbesondere bei einem Ministerium, bei dem weniger politischer als vielmehr Fachverstand sowie Standing und ein Name in der Branche vonnöten wären.

Berührungspunkte mit ihrem neuen Wirkungsfeld muss man in Geywitz’ Vita erst suchen. Als Mitglied im brandenburgischen BER-Sonderausschuss hat sie immerhin ein wenig in die Abgründe der Baubranche blicken können. Dass sie nach dem politischen Exit 2019 im Landesrechnungshof arbeitete und für Prüfungen im Bereich Bauen, Wohnen und Verkehr zuständig war, bleibt in keinem Kommentar als einschlägige Kompetenz unerwähnt, doch den Job machte sie gerade mal ein gutes Jahr.

Laut den Koalitionsvereinbarungen. sollen jährlich 400 000 Wohnungen gebaut werden. Und die Wohnungen müssten energiesparend errichtet werden. Das wird kaum zu schaffen sein, denn der Wohnungsbau, den andere Protagonisten und Einflussgrößen dominieren – Länder, Kommunen, Bauwirtschaft, Konjunktur – entzieht sich großenteils den zentralen Steuerungsmöglichkeiten. Und energiesparend bauen, das ist nun wirklich kein Zukunftsprogramm, sondern seit Jahren und inzwischen durchaus gängige Praxis. Was die Ministerin tun kann, liegt im Bereich der Baulandmobilisierung durch die Raumordnungsgesetzgebung, sowie, natürlich, mit viel Geld einschlägige Förderprogramme auszustatten.

Das Bauwesen hinkt dem technologischen Fortschritt weit hinterher

Ihr Arbeitsprogramm wird aber weitaus vielfältiger sein. Da sind die geerbten, nie abschließend gelösten Probleme, mit denen Architekten- und Ingenieurverbände den jeweiligen Ministerinnen und Ministern schon immer in den Ohren liegen wie Abbau von Bürokratie und Vereinfachung des Genehmigungswesens, Entschlackung der wuchernden Vorschriften, Harmonisierung der unterschiedlichen Landesbauordnungen, Unterstützung der freien Berufe im europäischen Kontext.

Darüber hinaus geht es aber um nichts Geringeres als um einen Paradigmenwechsel beim Bauen. Erstmals muss das Ziel sein, den Baubestand durch Umbau und Umnutzung neu zu aktivieren, um die graue Energie zu nutzen, die in existierender Bausubstanz steckt. Dazu müssen vor allem die viel Vernünftiges verhindernden Vorschriften, die auf Neubau gemünzt sind, modifiziert und vereinfacht werden, und zwar bundesweit, nicht auf Länderebene.

Das Bauwesen ist der am weitesten dem technologischen Fortschrift hinterherhinkende Wirtschaftszweig. Betoniert wird hemmungslos wie seit Wiederaufbauzeiten, als ob nicht schon längst der Sand knapp wäre und uns der Zement die CO2-Bilanz verhagelte. Industrielle Vorfertigung und klimaneutraler Holzbau sind noch eher die Ausnahme als die Regel, wegen der Trägheit der Bauindustrie, wohl aber auch wegen des miserablen Images von Plattenbauten.

Die ingenieur- und betriebstechnische Revolution des Bauwesens mit neuen Baustoffen und effektiveren Bauweisen muss organisiert und durch Normen und Gesetze begleitet werden. Dass der Bereich Gebäude und bauliche Infrastrukturen mit Baustoffproduktion, Bau, Betrieb und Entsorgung 55 Prozent aller Emissionen verursacht, muss zum entschiedenen Handeln zwingen, sonst kann ein Kernelement der neuen Koalitionspolitik, die Klimawende, nicht gelingen. Dass das Bauwesen mehr als die Hälfte des Müllaufkommens, davon ein großer Teil Sondermüll, produziert, ist ein untragbarer Zustand. Der Einsatz recyclebarer Baustoffe und Bauweisen sowie die Sortentrennung muss bundesweit eingeführt werden.

Der lähmenden Kleinstaaterei muss ein Ende gesetzt werden

Fehlt noch die Baukultur. Architektur ist auch Kunst, Bauen ist Gestaltung des öffentlichen und des privaten Lebensraums und für einen großen Teil der Bevölkerung die einzige aktive Teilnahme an Kulturleistungen. Man wünschte sich endlich einmal neben kraftvollen wirtschaftlichen und administrativen Aktivitäten baukulturelle Impulse für urbane, durchmischte Städte, für die Schönheit der Stadt. Denn niemand wird behaupten, dass wir auf dem Weg zu schöneren Städten seit dem Krieg vorangekommen sind. Zur Förderung der Baukultur gibt es zwei Stiftungen des Bundes. Eine der ersten Amtshandlungen der Ministerin müsste deshalb sein, das glücklose Vorhaben Stiftung Bauakademie zu stoppen und mit der Stiftung Baukultur zusammenzulegen.

Karla Geywitz hat das Ohr des Kanzlers, das mag ein gewichtiger Vorteil dieser Personalie sein. Ein großer Teil ihrer Arbeit wird aus Interaktion oder Konfrontation mit den eigentlich fürs Bauen zuständigen Ländern bestehen. Vielleicht gelingt es ihr, der unsinnigen und lähmenden Kleinstaaterei bei den Bauvorschriften ein Ende zu bereiten. Die Verbände aus Bau- und Immobilienwirtschaft, aus Architektur- und Bauingenieurwesen schickten Glückwünsche, garniert mit teilweise widerstrebenden Wünschen. Noch herrscht das Prinzip Hoffnung.

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