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Staatsbibliothek: Die große Unsichtbare

Ein Palast der Geistesarbeit: Der Altbau der Staatsbibliothek ist die größte Baustelle Berlins. Am Dienstag wurde Richtfest gefeiert.

Einem Kastell ähnlich hätte die Bibliothek ausgesehen, die Karl Friedrich Schinkel 1835 entwarf. Sie wurde nie gebaut. Ihr Standort wäre wohl hinter der (heutigen) Humboldt-Universität gewesen, gegenüber der Museumsinsel.

Feuerfest sollte der Bau sein; dies, so Schinkel, verlange „die höchste Einfachheit des Planes, woraus dann die Einfachheit der Konstruktion erfolgen kann“. Schinkel blieb, wie so oft, ungehört. Bibliotheken sollten repräsentativ sein, vor Schinkel und nach ihm ebenso. Unter den Linden steht mit der einstigen Neuen Königlichen Bibliothek, nachmaligen Preußischen Staatsbibliothek und heutigen Staatsbibliothek zu Berlin ein wilhelminischer Prachtbau, dessen Mittelpunkt der kuppelbekrönte Lesesaal bildete, mit 38 Metern Durchmesser und ebensolcher Scheitelhöhe eine Weihestätte in prunkender Neo-Renaissance. Kaiser Wilhelm II. feierte ihn bei der Einweihung im August 1914 – just zu Beginn des Weltkriegs – als „Palast der Wissenschaften, für die Mit- und Nachwelt ein Zeichen, wie hoch wir die Geistesarbeit schätzen, der er dienen soll“.

Hoch geschätzt wird die Geistesarbeit durchaus auch heute. Die Generalsanierung des im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten Riesenbaus schlägt mit 463 Millionen Euro zu Buche. Gestern wurde Richtfest für die neue Herzkammer, den zentralen Lesesaal, und die angrenzenden Sonderlesesäle gefeiert, von den Passanten des geschäftigen Straßengevierts zwischen Unter den Linden und Dorotheenstraße hinter Bauplanen nicht einmal zu erahnen. Der Zentralsaal, der an der Stelle der im Krieg eingestürzten und 1975/76 mitsamt dem angrenzenden Universitätslesesaal abgerissenen Kuppel dem Bau seine architektonische und funktionale Mitte zurückgibt, ist ein im Rohbau noch arg abweisender Kubus, eine Schachtel anstelle der wilhelminischen Neo-Renaissancepracht des Hofarchitekten Eberhard von Ihne.

Diesmal heißt der Architekt HG Merz. Der gebürtige Schwabe genießt seit seiner glanzvollen Restaurierung der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel den Ruf, die so ungemein schwierige Verbindung von tradierter Formensprache und zeitgemäßen Funktionserfordernissen zu bewältigen. Der Wettbewerb zur Staatsbibliothek allerdings, ausgelobt 1999 und entschieden im Frühjahr 2000, kürte einen eher schroffen Entwurf zum Sieger. Eine dem Vorgängerbau auch nur zitatweise sich annähernde Architektur hatte beim Preisgericht keine Chance.

HG Merz nimmt allein die monumentale Wegführung Ihnes auf, vom Eingang Unter den Linden über den Ehrenhof und das prachtvolle Foyer hinauf in den Lesesaal, nicht aber dessen akademische Bauformen und schon gar nicht das historistische, doch akademisch seelenlose Dekor.

Der Lesesaal wird nun, nach Abschluss der Rohbauarbeiten, mit einer doppelschaligen Glasfassade umhüllt und überdeckt, anschließend die mehrstöckigen Büchergalerien in warmem Holz aufnehmen und schließlich 250 Leseplätze bieten, wenn er im Spätherbst kommenden Jahres zur Benutzung freigegeben wird. Die Sanierung des gesamten, an Grundfläche sogar den mächtigen Reichstag übertreffenden Gebäudekomplexes wird sich zwei weitere Jahre hinziehen. Zum 350. Gründungstag der Königlichen Bibliothek 2011, so die Hoffnung Klaus-Dieter Lehmanns, des Präsidenten der die Staatsbibliothek betreibenden Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sollen die Arbeiten zur Gänze abgeschlossen sein.

Lehmann kommt aus der Welt der Bücher; vor seiner mit Ablauf dieses Monats endenden Amtszeit leitete er die Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main, deren Neubau an verkehrsumspülter Straßenkreuzung er 1996 einweihen konnte. Umso hörbarer seine Klage, hier in der Mitte Berlins handele es sich um „die größte, gleichzeitig aber auch die unsichtbarste Baustelle der Stadt“.

Die alte Staatsbibliothek, deren Kuppelsaal bereits 1943 bei Bombenangriffen in Trümmer fiel, hatte bereits bei der festlichen Einweihung heftige Kritik gefunden. Hier sei „ein ungeheurer Platz für tote Repräsentationsräume geopfert“, klagte der durch sein Buch „Berlin – ein Stadtschicksal“ von 1910 berühmt gewordene Kritiker Karl Scheffler, während sein Kollege Max Osborn den „konventionellen Renaissancemantel“ abtat, „der nicht anders wirkt denn als eine mächtige Attrappe“. Zwar bot der gewaltige Lesesaal 372 Plätze, doch gelang es nie, die Magazine und damit die Buchbesorgung zufriedenstellend anzuschließen. Das wird sich grundlegend ändern. Die einfallsreichen, selbsttragenden Regalsysteme mit insgesamt 13 Stockwerken in den Außenbauten der Bibliothek werden saniert und sollen „ein Jahrhundert halten“. Für diese Haltbarkeitsdauer spricht auch die Neufundamentierung des teilweise auf Eichenbohlen gegründeten Gebäudes.

Die Stabi-Generaldirektorin Barbara Schneider–Kempf freut sich auf insgesamt 500 000 Bücher in den Freihandmagazinen – mehr als dreimal so viele wie bislang. 350 000 stehen im Zentralsaal zur Verfügung, 50 000 im angrenzenden Rara-Lesesaal, wo auch künftig jedermann Einblick nehmen kann in die Schätze des Hauses. Und doch ist dies nur ein Bruchteil der rund 10 Millionen Bücher und „Medieneinheiten“, die die Institution Staatsbibliothek in ihren beiden Häusern, Hans Scharouns „goldenem Bücherbuckel“ von 1979 am Kulturforum und dem der historischen Forschung vorbehaltenen Altbau, bewahrt.

Bibliotheken, so mag es scheinen, fallen im Zeitalter der digitalen Revolution zunehmend dem Verdikt des Altmodischen anheim. Gewiss, es bedienen sich heute viele Studenten lieber aus den einschlägigen „Hausarbeits“-Adressen im Internet, statt selbst und noch dazu in einer Bibliothek zu lesen. Doch ist der Zustrom zu den Lesesälen ungebrochen. Die Arbeitsabläufe sind schneller und vor allem planbarer geworden, seit Bücher von zu Hause aus bestellt werden und die Nutzer erst dann ins Haus kommen, wenn ihre Bücher zur Abholung bereitstehen.

Vor wenigen Jahren musste „Haus 2“ der Staatsbibliothek am Kulturforum Notsignale wegen Überfüllung aussenden. Der bemerkenswerte Zuwachs an Bibliotheksbauten in Berlin hat die Lage mittlerweile entspannt, auch wird der von der Politik erzwungene Rückgang der Studentenzahlen eine Rolle spielen. So sind in den vergangenen Jahren der Neubau der „Volkswagen-Bibliothek“ für Technische Universität und Hochschule der Künste an der Fasanenstraße als (allzu) nüchterner Zweckbau und die geisteswissenschaftliche Bibliothek der Freien Universität in Dahlem von Norman Foster, sogleich zum „Berlin Brain“ geadelt, in Betrieb gegangen. Die Universitätsbibliothek für die Humboldt-Uni nach Entwurf des formstrengen Schweizers Max Dudler befindet sich hinter der Stadtbahntrasse im Bau, nachdem sie ihr Dauerprovisorium im rückwärtigen Teil der Staatsbibliothek 2001 hatte verlassen müssen.

Mit der Generalsanierung des Altbaus an der preußischen Prachtstraße Unter den Linden wird das Konzept der „einen Staatsbibliothek in zwei Häusern“ Wirklichkeit. Das Ergebnis rechtfertigt den Entschluss. Die Staatsbibliothek bleibt – in jeder Hinsicht – in der Mitte Berlins.

1903 wurde mit dem Bau auf dem Grundstück Unter den Linden begonnen; erst im August 1914 war die Königliche Bibliothek fertig. Nach nur 29 Jahren Betrieb wurde der Kuppellesesaal 1943 zerstört, 1975/76 die Ruine abgetragen. An ihre Stelle kamen – wenig taugliche – Magazintürme. 1999 wurde der Wettbewerb für die Erfordernisse der Präsenz- und Forschungsbibliothek ausgeschrieben, im März 2000 mit dem Sieger HG Merz entschieden.

Die Baukosten für die Generalsanierung betragen 463 Millionen Euro. Davon entfallen 150 Millionen Euro auf Fundamentierung und Unterkellerung, 247 Millionen auf die Instandsetzung des Gebäudes und 79 Millionen auf den zentralen Lesesaal. Finanziert wird das größte Einzelbauvorhaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausschließlich vom Bund.

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