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Racheengel. Polina Semionova als Bayadère.

© Staatsballett/ Yan Revazov

Staatsballett Berlin: Choreograf Alexei Ratmansky belebt den Zauber der Bayadère

Pure Magie: Mit einer opulenten Fassung von „La Bayadère“ zeigt das Staatsballett Berlin, dass klassisches Ballett hier weiterhin seinen Platz hat.

Von Sandra Luzina

Zum Schluss stürzt der Palast des mächtigen Radschas ein. Polina Semionova schwebt in weißem Tutu über den Trümmern wie ein anmutiger Racheengel. Mit dieser Apotheose endet Alexei Ratmanskys Inszenierung des Klassikers „La Bayadère“, mit der das Staatsballett Berlin nun ein neues Kapitel aufschlägt. Die erste Uraufführung der Compagnie unter der neuen Intendanz von Johannes Öhman und Sasha Waltz ist nicht nur eine äußerst aufwendige Produktion, sondern auch ein Statement. Mit dem opulenten Werk sollen die Befürchtungen zerstreut werden, die Doppelspitze würde das klassische Ballett vernachlässigen. Das Gegenteil ist der Fall, wie die bejubelte Premiere in der Staatsoper zeigt. Mit der Verpflichtung des Choreografen Alexei Ratmansky ist Öhman ein Coup gelungen. Er hat sich von ihm ausdrücklich „La Bayadère“ gewünscht, obwohl sich viele noch an Vladimir Malakhovs Fassung des Balletts von 2002 erinnern.

Alexei Ratmansky ist der Gralshüter der russischen Tradition. Besonders die Werke des Altmeisters Marius Petipa aus dem 19. Jahrhundert haben es ihm angetan. Seit 2007 hat er immer wieder Rekonstruktionen von Petipa-Balletten für renommierte Compagnien wie das Moskauer Bolschoi-Ballett oder das American Ballet Theater in New York, wo er Artist in Residence ist, erarbeitet. Auch in „La Bayadère“, 1877 in St. Petersburg zu Musik von Ludwig Minkus uraufgeführt, versucht er, dem Original so nah wie möglich zu kommen. Wenn er nun ein Grand Ballet des 19. Jahrhunderts mit all seiner verschwenderischen Prachtentfaltung und seinen ausladenden Divertissements wiederbelebt, will er auch unsere Sehgewohnheiten erschüttern. Denn was wir als Petipa-Stil kennen, entspricht nicht den originären Bewegungsfolgen.

Schwüle Sinnlichkeit

So gibt es bei diesem Remake einige stilistische Finessen, die man hier bestaunen kann. Doch erst einmal irritiert der üppige Einsatz von Pantomime. Ständig greift sich einer der Protagonisten in dieser Geschichte einer verbotenen Liebe ans Herz oder tippt sich an die Stirn. Um eine geplante Hochzeit zu symbolisieren, werden die Hände aneinandergelegt. Vor allem Alejandro Virelles als Krieger Solor muss andauernd in diesem Zeigemodus agieren und kann erst im dritten Akt sein Können mit eleganten Sprungkombinationen beweisen. Polina Semionova als Bayadère wird immerhin tanzend eingeführt. Als Tempeltänzerin Nikia tritt sie zunächst demütig auf, ihr zartes Port de bras verleiht ihr etwas Ätherisches. Zugleich strahlt sie in ihren Glitzergewändern eine schwüle Sinnlichkeit aus. Das Übersinnliche funkt allerdings mächtig hinein in diese amouröse Dreiecksgeschichte, die in einem imaginären Indien spielt. Solor liebt die Tempeltänzerin Nikia, ist aber Gamsatti, der Tochter des Radschas, versprochen. Die verwickelte Geschichte um Liebe, Verrat und mörderische Intrigen ist reichlich melodramatisch – und die Gefühle werden hier auch dick aufgetragen. Vor der Zuspitzung wird das Drama unterbrochen: Bei der Feierlichkeit zu Ehren der Goldenen Gottheit ziehen in einem scheinbar endlosen Defilee Priester, Fakire Tempeldienerinnen, Sänftenträger sowie ein Elefant und ein erlegter Tiger vorbei. Dieses Indien ist eine westlich-russische Fantasie: Der Bühnen- und Kostümbildner Jérôme Kaplan macht das deutlich, indem er die prunkvolle Szenerie mehrfach einrahmt. Die Tänze der Bajaderen in ihren bauchfreien Gewändern sind dekorativ, aber recht simpel gestrickt. Vladislav Marinov als Fakir mit Zottelbart tanzt sich schon mal in Ekstase. Doch manches an diesem Fantasie-Indien ist eher kurios.

Schauwerte und stilistische Nuancen

Kurios ist auch, wie in „La Bayadère“ die Orient-Schwärmerei mit romantischen Ideen kombiniert wird. Das drückt sich in dem weißen Akt „Das Königreich der Schatten“ aus, dem Höhepunkt des Balletts. Wenn hier vor einer Gebirgskulisse 32 Ballerinen in Serpentinen über die Bühne ziehen und ihre Arabesques zelebrieren, ist das pure Magie. Auch der krönende Pas de deux beweist die Meisterschaft Petipas. Semionova und Virelles geben ein schönes Paar ab und brillieren auch in ihren Solovariationen.

Schauwerte bietet diese opulente Inszenierung reichlich, wie auch stilistische Nuancen. Die Tänzer des Staatsballetts, die von fast 40 Eleven der Staatlichen Ballettschule verstärkt werden, interpretieren diese „historische Fassung“ mit viel Verve. Auch die Staatskapelle unter Leitung von Victorien Vanoosten spielt mit Emphase auf. Die konservative Ballett-Fraktion kommt an diesem Abend voll auf ihre Kosten. Dass man dem Zauber der Bayadère erliegt, ist vor allem Polina Semionova zu verdanken.

Staatsoper: wieder 9./10. 11., 19.30 Uhr, 15. 12., 19 Uhr, 26. und 28. 12., 18 Uhr

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