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Polina Semionova tanzt zu Bach.

© Fernando Marcos / Staatsballett Berlin

Staatsballett: Bach-Abend mit Polina Semionova: Seelenmusik mit Würgereiz

Lähmend, banal und mit einer überflüssigen Polina Semionova: Nacho Duaot ließ bei seiner zweiten Premiere als Chef des Staatsballetts zu Bach tanzen - das bot nur wenige lichte Momente.

Schnell hat der Alltag ihn eingeholt. Nach den sensationell harschen Berliner Willkommensgrüßen und dem gerade noch beherrschten Murren über ein aufgewärmtes „Dornröschen“ war es vor seiner zweiten Premiere als neuer Chef des Staatsballetts auffallend still um Nacho Duato geworden. Vor der Komischen Oper werden am Sonnabend Flugzettel zweier Gewerkschaften verteilt, die um ihren Alleinvertretungsanspruch für die Tänzer streiten, begegnet man Berlins ehemaligem Regierungs- und Kulturchef, in Jeans und ohne Geleitschutz. Immerhin sah sich Klaus Wowereit an, was er der Tanzstadt Berlin eingebrockt hat. Danach verließ er stumm das Haus, ohne sich auf der Premierenfeier blicken zu lassen.

Der gespreizte Titel des Abends gewährt Raum für allerlei Häme: „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ nennt Duato seine lockere Folge von Johann-Sebastian-Bach-Betanzungen, die er 1999 erstmals für die damalige Kulturhauptstadt Weimar schuf. Seither hat er sie verschiedentlich aufleben lassen, etwa in München und St. Petersburg. Nun bringt er die Choreografie zur Eröffnung seiner Berliner Intendanz abermals heraus. Doch ein Werk, das alle Insignien einer Gelegenheitsarbeit trägt, wird durch Wiederholungen nicht zum Klassiker.

Nacho Duato wählt einen betulichen bis banalen Ansatz

Zu Musik von Bach zu tanzen ist keine Schande, und es wird auch kaum noch als Sakrileg gewertet, seine Werke dafür zu Klangspänen vom Band zu raspeln, die mal motorisch vorantreiben, mal melancholisch um sich selbst kreisen. Bach mit Breakdance und sein Weihnachtsoratorium mit dem Fernsehballett: Es gibt dabei immer einen, dem das garantiert nicht schadet. Nämlich den Komponisten selber. Darüber hinaus gibt es Choreografen, die sich bewusst Bachs Strenge aussetzen - oder seine Musik dafür nutzen, um über die Stränge zu schlagen, wie der stets faszinierend verstörende Alain Platel.

Nacho Duato dagegen wählt einen betulichen bis banalen Ansatz: Bei ihm darf der Komponist tatsächlich mit Perücke herumstolzieren (angemessen hölzern: Michael Banzhaf), um aus heiterem Bühnenhimmel ekstatisch Tänzer zu dirigieren. Die verwandeln sich darauf flugs in Instrumente, beharken sich mit Geigenbögen und befingern unsichtbare Tasten. Diese Mimikry allein ist schon eine tänzerische Bankrotterklärung. Wirklich unangenehm wird sie aber, wenn Bach sich seine künftige Frau (engelsgleich: Giuliana Bottino) wie ein kleines Mädchen auf den Schoß zieht, um sie als Cellokörper nach Strich und Faden durchzuspielen. Dazu das Prélude aus der 1. Suite für Violoncello solo – erstmals steigt ein Würgereiz auf bei dieser Seelenmusik.

Szene mit Rishat Yulbarisov und Elisa Carrillo Cabrera sowie Michael Banzhaf als Bach (rechts).
Geniekult: Szene mit Rishat Yulbarisov und Elisa Carrillo Cabrera sowie Michael Banzhaf als Bach (rechts).

© Eventpress Hoensch

Polina Semionova ist auch da

Ja, Polina Semionova ist auch da, als Tod hinter ihrer Maske aber nur schwer zu erkennen. Der ursprünglichen Eingebung Duatos, dafür müssten wenigstens die Brüste blank bleiben, weiß sich die für wenige Abende als Gast zum Staatsballett zurückgekehrte Primaballerina aber geschickt zu entziehen. Für Semionovas Mitwirkung gibt es künstlerisch keine zwingenden Gründe. Ihre ohnehin überflüssige Partie hätten auch andere tanzen können. Vielmehr soll ihr Auftauchen in einem echten Ensemblestück wohl zeigen, dass sie noch dazu gehört zur Berliner Truppe – obwohl das gar nicht der Fall ist.

Lässt man den Bühnenbach und seinen Tod mal beiseite, blickt zudem großzügig über die lähmende zweite Hälfte und darin vor allem über die krude Priester-Purpur-Unterwerfungsszene hinweg (Bach war nicht zufällig Protestant), dann bleiben wenige Minuten lichter Kraft übrig: frei dahinströmende Ensembles, unverstellt, ungekünstelt, unverbraucht. Und man spürt das Potential dieser Compagnie. Umso quälender wird es, wenn das Staatsballett dann wieder zu Vergeigtem von Gestern übergehen muss.

Das Publikum will sein Staatsballett sehen - jenseits des Gaststargedöns

Eines zeigt dieser Premierenabend deutlich: Das Publikum will sein Staatsballett sehen, ungeschminkt und jenseits des Gaststargedöns – als das junge, vielgesichtige Ensemble, das es glücklicherweise ist. Nach den Jahren des Malakhov-Make-ups inklusive königsdramatischem Abgang erscheint das höchst verständlich. Den Schlussapplaus sollte Nacho Duato besser nicht als Zuspruch für seine betagten Bach-Belanglosigkeiten werten. Sondern als Auftrag, seinen Tänzerinnen und Tänzern etwas Pures, Kraftvolles, ja warum nicht Überraschendes zu schenken. Und sie darin kenntlich werden zu lassen. Egal, welche Gewerkschaft sie letztlich vertritt: Verdient haben sie es. Berlin übrigens auch.

Weitere Vorstellungen am 18. und 26. März sowie 2., 18. und 29. April

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