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Schild an einer Toilette in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania

© REUTERS

Sprache und Gleichberechtigung: Brauchen wir das Gendersternchen wirklich?

Unser Kolumnist scheitert an der geschlechtergerechten Sprache im Deutschen - trotz bester Intentionen. Hilft ein Blick ins Ausland? Die Kolumne Spiegelstrich.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. In seiner wöchentlichen Kolumne „Spiegelstrich“ betrachtet er das Verhältnis von Sprache und Politik.

Stellen wir uns vor, liebe Leserin und lieber Leser, dass ich Sie zu Beginn begrüßte; wie wollten Sie angesprochen werden? Lieber so oder lieber mit „Liebe Leser:innen“?

Das Beispiel stammt aus dem wahren Leben. Meinen monatlichen Brief aus New York für das Münsteraner Digitalmedium „RUMS“ begann ich neulich so: „Liebe Leserin und lieber Leser…“ RUMS ist modern und aufmerksam, und deshalb redigierte die geschätzte Kollegin K.: „Liebe Leser:innen“. Ich revidierte ihre Korrektur. Darauf K.: „Aber bitte beim nächsten Mal.“ Und ich so: „Hmpf.“

Ein fünffaches Geständnis:

1. Ich möchte präzise schreiben und Frauen nicht unter Männerbegriffen subsumieren; zudem möchte ich sprachliche Abgründe und sprachliche Gewalt erkennen. Das generische Maskulinum („der Doktor, der Gott“) meide ich, und auf zwei seit rund 40 Jahren diskutierten Wegen wandle ich gern, jenem der „Sichtbarmachung“ („Leserinnen und Leser“) und dem der Neutralisierung („Lesende“ – auch wenn’s diffizil ist, denn „Lesende“ lesen ja jetzt, in diesem Augenblick, Leserinnen nicht unbedingt).

"Dämlich" kommt nicht von "Dame"

Ist mein Bestreben nicht herrlich (von „Herr“)? Oder ist es dämlich? Doch Vorsicht: „Dämlich“ stammt nämlich gar nicht von der „Dame“ ab, sondern vom niederdeutschen „dämeln“ („nicht bei Sinnen sein“), was wiederum vom lateinischen „temetum“ („berauschendes Getränk“) abgeleitet ist. Die Dame kommt zwar auch aus dem Lateinischen, aber von der „domina“, der Gebieterin und Herrscherin, und damit zurück zum Thema.

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2. Ich hab' es versucht, doch ich mag Gender-Doppelpunkte, Gender-Unterstriche („Leser_in“), Gender-Sternchen („Leser*in“), Gender-Schrägstriche („Leser/in“) und sogar das Binnen-I („LeserInnen“) nicht. Weil ich an ihnen hängen bleibe. Und lesend stolpere, schreibend sowieso.

3. Denn Texte leben von ihrem Sound und ihrem Rhythmus, dem Tempo ihrer Sätze; Genderzeichen sind das Gegenteil von Sound.

4. Der Reporter Christoph Scheuring verglich gute Geschichten einst mit Ozeanen und Absätze mit Wellen, und erst die letzte Welle und auf keinen Fall eine frühere dürfe uns Leserinnen und Leser an Land tragen.

5. Stellen Sie sich bitte die Songs von Patti Smith, Leonard Cohen oder Bruce Springsteen; Dramen wie „Richard II.“ und „Faust“; oder die Romane von Elena Ferrante, Lew Tolstoi oder Colson Whitehead mit Genderzeichen vor. Worauf ich hinaus will: Nicht alles, was korrekt ist, ist gut – manches, was korrekt ist, ist bloß bürokratisiert und dann bequem, ein Regelkorsett.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Die Wiesbadener Gesellschaft für deutsche Sprache hat nun verkündet, dass das Gendersternchen zu grammatikalischen Fehlern führe („Arzt*in“ oder, andersherum, „Ärzt*in“), und rät ab. Ich fürchte, sie hat recht, und wir müssen uns anstrengen, schon wieder. Könnte vielleicht Witz helfen? Oh Göttin, Hilfe, ausgerechnet bei diesem Thema? „Krankenpfleger und Managerinnen“, so etwas schreib‘ ich recht gern.

Oder wir könnten ins Ausland blicken, so etwas soll klüger machen. Dass die amerikanische Autorin (dieses weibliche Wort würde sie hassen) Masha Gessen weder Mann noch Frau sein möchte und für sich das Personalpronomen „they“ beansprucht … hm, ich weiß nicht recht, „they“ meint eigentlich die dritte Person Plural.

Die Franzosen kennen "la ministre"

Aber das Englische hat es geschafft, das Geschlecht lässig und elegant aus dem Sprachgebrauch zu schieben („author“, „lover“, „reader“). Schweden („hen“) und Island („hán“) haben geschlechtsneutrale Pronomen eingeführt. Im Französischen wiederum gibt es „elles“, die weibliche dritte Person Plural, und viele Wörter wandeln sich: „ministre“ war exakt so lange ausschließlich männlich, bis es ebenso weiblich war: „le ministre“, „la ministre“.

À bientôt, liebe Leserin und lieber Leser.

Klaus Brinkbäumer

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