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Zwischen Claire (Zita Gaier) und Amram (Gedion Oduor Wekesa) entwickelt sich eine zarte Liebe.

© Camino

Spielfilm „Sunburned“: Risse im Paradies

Die schwedische Regisseurin Carolina Hellsgård wohnt in Berlin. Ihren Coming-of-Age-Film „Sunburned“ hat sie in einem südspanischen Urlaubsort angesiedelt.

Endlose Strände, Sonne, Meeresrauschen – und doch kein Paradies. Die 13-jährige Claire (Zita Gaier) fährt mit ihrer Mutter (Sabine Timoteo) und der älteren Schwester Zoe (Nicolais Borger) in den Urlaub nach Südspanien.

Aber statt Zeit zusammen zu verbringen, ist dort jede für sich. Zoe und die Mutter widmen sich ihren Urlaubsflirts, Claire fühlt sich alleingelassen. Aus ihrer Perspektive betrachtet sind die vorherrschenden Farben nicht leuchtend Blau wie das Meer und Weiß wie der Strand, sondern gedeckt und trübe.

Shoppen, Sonnenbaden, Tanzen sind nichts für Claire

Carolina Hellsgård, die schwedische Regisseurin des Films „Sunburned“, hat die melancholische Stimmung bewusst gesetzt. Mehrere Monate verbrachte sie mit der Planung der Szenen und den Recherchen an den Schauplätzen. Die Wirkung der Farbgebung ist verstörend. Die Hotelanlage mit dem bunten Animationsprogramm erscheint wie ein trister Satellit aus Künstlichkeit inmitten der wilden Landschaft.

In der Figur der unangepassten Claire steckt auch etwas von Hellsgård selbst: „Ich habe mich als Teenager ein bisschen wie ein Alien gefühlt, fremd in der eigenen Familie.“

Wie ein Alien wirkt die 43-jährige Regisseurin ganz und gar nicht. Entspannt sitzt sie am aufgeräumten Arbeitstisch ihres Büros in Berlin-Mitte und erzählt, dass sie die Konkurrenz, die sie zwischen Claire und Zoe beschreibt, früher auch mit ihrer Schwester erlebt hat. „Heute verstehen wir uns aber sehr gut“, fügt sie lachend hinzu.

Claire sucht nach dem Anderen, aus Protest gegen Zoe und ihre Mutter, die sich von ihr abwenden, und weil das beschränkte Angebot, das die Ferienanlage für Frauen und Mädchen bereithält – Shoppen, Sonnenbaden, Tanzen –, nicht zu ihr passt.

„Sunburned“ erhält dadurch eine deutliche feministische Komponente. Am Strand regieren derweil die Elemente: Wind, Wellen, brennende Sonne. Hier trifft sie den gleichaltrigen Amram (Gedion Oduor Wekesa) aus Senegal, der auf einer lebensgefährlichen Tour hierher gekommen ist und sich nun mit dem Verkauf von Billigschmuck über Wasser hält.

Regisseurin und Wahlberlinerin Carolina Hellsgård, 43.
Regisseurin und Wahlberlinerin Carolina Hellsgård, 43.

© Iris Janke

Mit einem Kompliment Amrams, beginnt ihre Freundschaft: „You are very beautiful.“ Dafür kauft Claire ihm eine Kette ab. Geld spielt fortan eine zentrale Rolle. Es ist das, was er, der in einer Hütte aus Plastikplanen lebt, so dringend zum Überleben benötigt, während sie, die Touristin, den Wohlstand Europas verkörpert.

Dabei haben sie etwas Wichtiges gemeinsam: Beide vermissen ihre Väter, die weit weg sind. Langsam entwickelt sich zwischen ihnen eine vorsichtige Liebe, geprägt von kindlicher Naivität und der Suche nach körperlicher Nähe.

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Die Idee zu dem Film hatte Carolina Hellsgård schon vor etwa zehn Jahren: „Diese drei Themen – Tourismus, Coming-of-Age und Migration – waren immer in meinem Kopf." Seit 2001 lebt und arbeitet sie in Berlin. Nach dem mehrfach ausgezeichneten Drama „Wanja“ (2015) und der Zombie-Dystopie „Endzeit“ (2018) ist „Sunburned“ ihr dritter Langfilm, wieder von einer weiblichen Hauptfigur getragen.

"Die Rolle der perfekten Frau ist doch langweilig"

Dabei interessieren sie vor allem die Frauen, die für ihre Existenz kämpfen – wenn auch nicht immer erfolgreich: „Die Rolle der perfekten, vernünftigen Frau ist doch langweilig. Frauen sollten auch scheitern dürfen.“ Sie selbst habe Glück, sagt sie im Gespräch, denn durch ihr Studium und ihre Stipendien sei sie recht privilegiert.

Scheitern – oder vielmehr: die eigene Spur finden – muss auch Claire. Sie betrachtet die Freundschaft zu Amram zunächst als Spielerei und verkennt den Ernst seiner Situation, die so gar nicht zu der Belanglosigkeit der Hotelanlage passt – bis sie ihn beim Versuch, ihm zu helfen, in echte Not bringt und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen will.

„Sunburned“ ist ein leises Coming-of-Age-Drama. Die Bilder sind ruhig, Musik und Licht werden sparsam und sehr gezielt eingesetzt. Man erkennt den Einfluss der Berliner Schule – Carolina Hellsgård hat unter anderem bei Thomas Arslan studiert.

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Dass der Film trotz der Schwere des Themas seine leichte Stimmung behält, ist vor allem den jungen Darstellerinnen und Darstellern zu verdanken, deren Natürlichkeit einen Gegenpol zu den bestehenden Strukturen bildet. Zusammen ergibt das einen schönen, ernsten Sommerfilm.

Es ist ein eindrückliches Werk und der bisher stärkste Film der Regisseurin. Vor der Kulisse der kurzen Romanze erzählt sie von den weitreichenden Auswirkungen des Kapitalismus und dem Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich, das auch am südspanischen Urlaubsstrand erkennbar ist – wenn man hinschaut. Wie die Migranten dort lebten, sei kein Geheimnis, sagt Hellsgård. Die Gegensätze zwischen Hotels und den Hütten seien Wirklichkeit und nicht inszeniert.

Damit verarbeitet die Regisseurin auch Urlaubseindrücke ihrer Kindheit, die bis heute einen bitteren Nachgeschmack haben: „Auf einer Pauschalreise konsumiert man nicht nur die Landschaft und das Essen, sondern auch die Menschen, die dort leben. Das ist irgendwie absurd.

Seit 40 Jahren hat sich daran kaum etwas geändert.“ Für einen Wandel ist es zuerst nötig, dass ein Problem sichtbar gemacht wird – zum Beispiel durch einen aufmerksamen Film wie diesen.
In den Kinos b-ware!Ladenkino, FSK, Lichtblick-Kino, Sputnik (auch OmU)

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