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Rauchzeichen. Anika Mauer als Marlene Dietrich.

© Barbara Braun/drama-berlin.de

„Spatz und Engel“ im Renaissance-Theater: Die Liebe, die wir meinen

Schwülstiger Champagner-Kitsch, tolle Schauspielerinnen: Eine Hommage an Marlene Dietrich und Edith Piaf feiert im Renaissance-Theater Premiere.

Spatz und Engel, das klingt schön, viel zärtlicher als, nur zum Beispiel, Schnapsdrossel und Morphium-Else. Mit großen Künstlerinnen und Künstlern geht die Zeit eben gnädig um, und deswegen haben Marlene Dietrich und Edith Piaf die aparteren der möglichen Beinamen erhalten – trotz ihres ruinösen Lifestyles, besonders in letzterem Falle. Das Piaf-Leben muss eine beachtliche Räuberpistole aus Drogenmissbrauch, Mordverdacht, Depression und Männerkonsum gewesen sein. So exzessiv, dass es sogar der gleichfalls nicht zimperlichen Kollegin Dietrich Respekt abnötigte, beziehungsweise Furcht einflößte: Bis zu fünf Lover pro Tag, das schaffte nicht mal der „blaue Engel“, höchstens zwei bis drei.

Diesen Bodycount legt jedenfalls das Stück „Spatz und Engel“ nahe. Ein Singspiel mit Musik von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry nach einer Idee von David Winterberg, das jetzt am Renaissance-Theater Premiere hatte und von der Freundschaft zweier Frauen erzählen will. Dass die beiden Diven einander kannten und schätzten und vielleicht sogar ein bisschen mehr, gilt als verbürgt. Nicht von ungefähr überließ der Pariser Spatz der deutschen Exil-Chanteuse nur zur gern ihren Mega-Hit „La vie en rose“ für den Hitchcock-Film „Die rote Lola“. Bis zu ihrem Tod soll Dietrich einen Zettel bei sich getragen haben, auf den Piaf (in welchem Zustand auch immer) gekritzelt hatte: „Marlene, vergiss nie, dass ich dich liebe.“

Von welcher Art diese Liebe war, daran scheiden sich die Biografen-Geister. In „Spatz und Engel“, das Regisseur Torsten Fischer für Berlin inszeniert hat, wird das Rencontre der beiden jedenfalls zur lesbischen Affäre vereindeutigt. Raum für Zwischentöne kennt das Stück aber sowieso nicht. Die Heldinnen der Nacht begegnen sich eingangs bei einem Zusammenschnitt zweier Konzerte anno 1960. Die wegen ihrer offenen Nazi-Aversion als Volksverräterin geschmähte Dietrich tritt nach langer Deutschland-Abstinenz im Casino Baden-Baden auf. Piaf wiederum hat sich, körperlich längst ein Wrack, für ihren Auftritt in der Opéra National du Rhin, Strasbourg fitspritzen lassen. Die eine singt „When the World Was Young“, die andere „Chevalier de Paris“. Schönes Medley, keine Frage.

Es dauert nicht lange, und sie dürfen auch das Wort aneinander richten und Gemeinsamkeiten entdecken, und zwar auf der Toilette im Backstage-Bereich des Playhouses in New York 1948. Als „Europäerin mit Heimweh, wie Sie“, stellt sich Dietrich im stillen Örtchen vor. Und verspricht: „Gemeinsam werden wir der Trübsal nun bei einer schönen Flasche Dom Perignon ein Ende setzen.“ Das ist in etwa der Tonfall, der dieses grobe Biografien-Patchwork prägt: schwülstiger Champagner-Kitsch. Im Schweinsgalopp preschen die Autoren durch bewegte Leben, lassen die Diven in New Yorker Apartments, Vergnügungsparks und Hotels, in Las Vegas oder schließlich im Krankenhaus von Thionville zunehmend entfremdet aufeinandertreffen. Hier und dort werden Schicksalsschläge angerissen – etwa der Tod des Boxers Marcel Cerdan, der Piaf wohl schwer abstürzen ließ. Nette Tapeten für die seelische Innenausstattung.

Zwischen Pathos und Sentimentalität

Stichwort Dekoration: In Fischers Inszenierung, für die Harry Ermer am Flügel und Eugen Schwabauer am Akkordeon die Musik besorgen, treten in vielen wechselnden Rollen Ralph Morgenstern und Guntbert Warns auf – in erster Linie, um auf der sparsamen Bühne mit neonumrandetem Publikumsspiegel Zylinder spazieren zu führen (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos). Warns hat immerhin als süffisanter Dramatiker Noel Coward eine gute Szene, aber mehr gibt das Stück nicht her.

Weshalb also gibt es am Ende trotzdem Jubel, sogar Standing Ovations? Ganz einfach. Weil Vasiliki Roussi als Piaf und Anika Mauer als Dietrich sensationell gut sind. Okay, Mauer hat den Part im gleichen Stück auch schon mal gespielt, beim Seefestival Wustrau. Die griechischstämmige Musical-Sängerin Roussi und die Renaissance-Stammkraft mit der sonoren Stimme performen ihre Lieder perfekt ausbalanciert zwischen Pathos und Sentimentalität. Vor allem natürlich die Highlights, „Non, je ne regrette rien“ hier, „Sag mir wo die Blumen sind“ dort. Wirklich umwerfend. In diesen Auftritten erklärt sich auch, weshalb „Spatz und Engel“ eben doch die einzig passenden Namen sind.

Wieder 18.-21., 25./26., 29./30. Juni, weitere Vorstellungen im Juli und September

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