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Gefärdet. Flughafen Tegel gilt als einer der bedeutendsten Beiträge Berlins zur europäischen Architektur der Nachkriegsmoderne.

© dpa/ Ralf Hirschberger

Sorge um Berliner Architekturikone: Flughafen Tegel durch massive Eingriffe bedroht

Gesamtkunstwerk der Nachkriegsmoderne: Trotz frischen Denkmalschutzes stehen die Zeichen schlecht für eine denkmalgerechte Umnutzung von Flughafen Tegel.

Tegel, das war nie einfach nur ein Flughafen. Tegel, das war stets Berlins kleines Tor zur weiten Welt. Tegel ist der Liebling der Berliner und ganz nebenbei ein einzigartiges Gesamtkunstwerk der Nachkriegsmoderne. Doch im kommenden Herbst gehen in Tegel die Landelichter aus, vorausgesetzt, Berlins Pannen-Airport BER startet wirklich durch.

Mit dem Ende des Flugbetriebs beginnt die groß angelegte Transformation Tegels zum Forschungs- und Industriepark für urbane Technologie. Betroffen davon ist auch das Herzstück des alten Flughafens, das sechseckige Abfertigungsterminal. Es soll zum neuen Sitz der Beuth-Hochschule werden. Dort, wo heute noch jährlich über 20 Millionen Passagiere abgefertigt werden anstelle der einst vorausgesagten drei Millionen, soll dann universitäres Leben einziehen.

1975 offiziell eröffnet, gilt der Flughafen Tegel heute als einer der bedeutendsten Beiträge Berlins zur europäischen Architektur der Nachkriegsmoderne. Von der Beschriftung des betonbrutalistischen Parkhauses bis zur glasgedeckten Haupthalle bildet er ein großartiges Gesamtkunstwerk aus einem Guss. Seine Architekten Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg (Büro gmp) sowie Klaus Nickels haben ihn vor einem halben Jahrhundert bis ins allerletzte Detail durchgestaltet.

Es war also höchste Zeit, dass die Berliner Denkmalpflege Tegel endlich unter Schutz stellt. Schließlich wurde das ikonische Abfertigungsterminal unter dem stetig anschwellenden Nutzungsdruck jahrelang hemmungslos verbaut und böse auf Verschleiß gefahren. Doch darunter schlummert immer noch eine einzigartige Perle. „Tegel, das ist der Flughafen der kurzen Wege“, begeistert sich Meinhard von Gerkan, der im Januar 85 Jahre alt wird, noch heute über das Tegel-Konzept.

Ein Kind der späten Moderne

Tegel wurde als „Drive-In“-Airport mit dezentraler Abfertigung entworfen. Im Idealfall beträgt der Weg vom Taxi über den Check-in bis zum Sitzplatz im Flugzeug keine 50 Meter. Rekordverdächtig! Dahinter steht die heute fast rührend anmutende Vision einer beschleunigten Hightech-Gesellschaft.

Doch das Konzept der kurzen Wege hatte einen entscheidenden Mangel, den es mit der offenen Gesellschaft und ihrer durchlässigen Architektur teilte. Es sah keine personalintensiven Sicherheitskontrollen vor, die im Zeitalter von Terrorismus und Flugzeugentführungen unvermeidbar wurden.

Ganz Kind der späten Moderne, blinzeln unter dem grauen Anstrich späterer Jahre noch immer die Formen und Materialien der siebziger Jahre hervor. Knallrot und quietschgelb präsentierten sich Abfertigungsschalter und Sitzschalen. Und auch das Wegeleitsystem leuchtete im Pop-Art-Duktus in hellem Gelb und Grasgrün, die Hinweisschilder selbstredend mit abgerundeten Siebziger-Jahre-Ecken. Zeitdokument pur, einschließlich des rillenreichen roten Terracottafußbodens, der inzwischen von einem rollkofferkompatiblen Steinboden überdeckt wird. Wer sich heute in einem der legendäre Berlin-Chairs niederlassen will, die Gerkan für die VIP-Lounge entworfen hat, muss im Designer-Laden tief in die Tasche greifen.

Am allerschönsten war der Flughafen in seinen ersten Jahren, als die Passagierzahl geringer und die Platznot noch nicht so groß war. Da saßen die Besucher in der Abenddämmerung in der großen Wartehalle, die unter den späteren Einbauten in Terminal B kaum noch zu erkennen ist.

Von der Decke hingen die bunte Leuchtstoffröhren-Plastik der griechisch-amerikanischen Künstlerin Chryssa, während vor den mächtigen schräg gestellten Fensterscheiben die Lichter der Flugzeuge blinkten. So träumte man sich leicht aus der Mauerstadt in die Ferne hinaus.

Für die geplante Umnutzung gab es keinen offenen Wettbewerb

Schon früh habe man sich im Berliner Landesdenkmalrat Sorgen um die Zukunft von Tegel gemacht, berichtete Christine Edmaier, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, kürzlich auf einer Diskussionsveranstaltung. Offenbar zu Recht. Denn trotz frischen Denkmalschutzes stehen die Zeichen schlecht für eine denkmalgerechte Umnutzung der Berliner Architekturikone. Auf Nachfrage geben sowohl die Berliner Bauverwaltung als auch das planende Architekturbüro agn Niederberghaus & Partner keine Auskünfte zum Planungsstand.

In Berlin tut man sich offenbar wieder einmal schwer. Das beginnt schon damit, dass es keinen offenen Wettbewerb für die jetzt geplante Umnutzung gab. Da war man 1965 weitaus mutiger, als sich die frisch diplomierten Architekten Gerkan, Marg und Nickels den Auftrag sicherten.

Unverständlich auch, warum das Terminal B von anderen Architekten umgeplant wird als das zentrale Sechseck. Warum wird die Zukunft dieser räumlichen und ästhetischen Einheit nicht aus einer Hand gestaltet?

In der aktuellen Planung ist nicht nur der Abbruch der Fluggastbrücken vorgesehen. Verschwinden soll auch die umlaufende innere Vorfahrt im ersten Obergeschoss. Von ihr aus wird das Gebäude heute erschlossen.

Ziel ist es, durch den massiven Eingriff das Gebäude für die neue Nutzung „auf die Erde zu bringen“, um dort ein zusätzliches Geschoss zu gewinnen, wo heute Stellplätze und Flughafennutzungen untergebracht sind.

Eine baukulturelle Bruchlandung vermeiden

Auch im Inneren drohen massive Veränderungen. So wird diskutiert, den oberen Rundgang in der Abfertigungshalle zu entfernen. Einst als Transitverbindung zwischen den Flugsteigen gedacht, wird er unter anderem für Warteplätze und Lounges genutzt.

Keine Frage, eine Umnutzung des Terminals ist ohne Eingriffe in dessen bisherige Architektur nicht möglich. Doch das darf sich nicht gegen die architektonische DNA des Baudenkmals Tegel richten.

Heimlich, still und leise droht eine weitgehende Zerstörung dieser Ikone der Berliner Moderne, vorbei an der Öffentlichkeit. Dabei sind gelungene Auffrischungen von Bauten der Nachkriegsmoderne kein Hexenwerk, wie gmp mit dem Kulturpalast in Dresden oder Volker Staab mit dem Landtag in Stuttgart jüngst bewiesen haben. Noch ist Zeit, Tegels Zukunft denkmalgerecht zu planen und zugleich den Bedürfnissen der Beuth-Hochschule gerecht zu werden, um eine baukulturelle Bruchlandung zu vermeiden.

Jürgen Tietz

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