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Die 1994 geborene Satirikerin, Autorin und Moderatorin Sophie Passmann.

© Patrick Viebranz/Kiepenheuer&Witsch

Sophie Passmanns neue Generationsfibel: Das luxuriöse Mittelmaß der 27-jährigen „Altbau-Opfer“

In „Komplett Gänsehaut“ schreibt Sophie Passmann über das Erwachsenwerden. Wenn gute Matratzen plötzlich sehr wichtig werden.

Irgendwas fehlt immer. Ständig steht die Abwesenheit von Dingen und Menschen im Vordergrund. Besonders, wenn man Mitte 20 ist und an einem kosmopolitischen Ort lebt, in einer „beschämend schönen Straße“. Nach dem Einkaufsbummel am Mittwochnachmittag denkt man nicht „toll, dass ich endlich Senfpulver bekommen habe“, sondern „Mist, ich habe den Pecorino vergessen.“

Bei Sophie Passmann und ihren Freunden fehlt also auch immer irgendwas: Ein schöner Beistelltisch für die leere Ecke, das richtige Airbnb für das lange Wochenende in Porto oder das Tonic zum guten Gin. Badezimmer ohne Fenster sind eine Zumutung, ebenso wie abwaschbare Plastikstühle und Vapiano-Außenbereich-Fleecedecken.

Alles wird hinterfragt und dann doch genau das gemacht, was eben noch als „problematisch“ identifiziert wurde – nur mit ironischem Unterton. Am Anfang eines Satzes wird kurz eingeschoben, dass man natürlich echt privilegiert sei, um sich dann im weiteren Verlauf trotzdem zu beschweren.

Da macht es auch nichts, dass die 27-jährige Autorin selbst mit Stuck und Stäbchenparkett lebt, sozusagen als „Altbau-Opfer“. Es macht auch nichts, dass Passmann in Wirklichkeit viel reicher und berühmter ist als ihre Freunde. Ihr Buchdebüt „Alte weiße Männer“, für das sie eine ganze Schar männlicher Medienprominenter getroffen hatte, wurde gleich ein Bestseller.

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Spätestens seit ihrer Moderation von „Männerwelten“, einem 15-minütigen Sexismus-Aufklärungsvideos, das im Mai 2020 zur Primetime auf ProSieben ausgestrahlt wurde, kennen sie auch Menschen, die nicht ausschließlich „Staatlich Fachinger“ aus Glasflaschen trinken.

Die Jeunesse schwindet, und das mit dem Rauchen will man jetzt auch endlich lassen

Ihr neues Buch „Komplett Gänsehaut“ dreht sich um die Zeit nach den ersten WG-Erfahrungen, die sie selbst und ihre Freunde gerade erleben, um den Moment, wenn gute Matratzen plötzlich wichtig werden. Es geht um die Phase, in der das Leben auf einmal sehr viel aus Aufräumen besteht und man samstags eher auf den Markt geht, als mit einem schweren Kater im Bett zu liegen.

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Die Jeunesse schwindet, und das mit dem Rauchen will man jetzt endlich mal lassen. „Von außen wirkt es albern, von innen ergibt das alles Sinn, wenn man mitmachen darf beim Fahrradschieben durch Stadtteile, beim Trinken von Kaffeespezialitäten in niedlichen Cafés.“

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Über die Generation der Millennials ist schon viel behauptet worden. Sie soll irgendwann zwischen 1985 und 1994 geboren sein und möglichst erst in ihrer späten Jugend ein Handy bekommen haben. Kleinstadt-Herkünfte, Kaffee-Exzesse und Gentrifizierte-Großstadt-Fantasien sind ihnen schon angedichtet worden. „Wir sind übrigens lange über den Punkt hinaus, dass wir uns hier jetzt noch über Jutebeutel lustig machen.“

Aufgewachsen in der Premium-Mittelmäßigkeit

Da wären jetzt also höchstens noch die Baumwoll-Turnbeutel an der Reihe, denkt man sich so. Aber Sophie Passmann ist schon weiter: „Wir sind uns im Nachhinein betrachtet alle nicht mehr sicher, ob die Hoodies mit den Europa-Sternen wirklich eine gute Idee waren, aber es gibt eben auch keine konkrete Masse Kritik, der gegenüber wir uns irgendwie verhalten könnten.“

Zentrales Thema von „Komplett Gänsehaut“ ist das Erwachsenwerden in der Premium-Mittelmäßigkeit. Passmanns Kohorte aus den westdeutschen Kleinstädten ist irgendwann einmal die Welt versprochen worden. Mit Ende 20 findet sie sich beim Verzehr von Trüffel-Pizza an einer Teakholz-Theke wieder, in einem Leben, das mehr gespielt als gelebt wird. In dem alle „anstrengend sitzen“.

Passmann ist nicht dogmatisch. Sie schreibt keinen Beschwerdebrief, nörgelt nicht, beobachtet einfach. Es geht ihr nicht um befristete Arbeitsverträge, teure Mieten und Neoliberalismus. Bei anderen Generationenvertreterinnen schienen Millennials viel bemitleidenswerter, so in Bianca Jankovskas „Das Millennial-Manifest“ oder Nina Pauers „Wir haben keine Angst“.

Passmann führt einen Klassenkampf gegen die eigene Klasse

Passmann betrachtet das Leben ihrer Großstadt-Companions nicht als Bürde, sondern eher als Frechheit. „Größtes Missverständnis ist, dass es eine gesamtgenerationelle Erfahrung sei zu wissen, wie schwer es ist, eine Wohnung zu finden, dabei meinen ich und meine Freunde ja nur, wie schwer es ist, etwas Schönes zu finden, das bezahlbar ist, und die, um die es geht, meinen, dass es schwer ist, etwas Bezahlbares zu finden.“

Sophie Passmann zeigt die Überheblichkeit ihrer Generation, die auf Rennrädern durch Straßen rollt, als würden sie ihnen gehören. Eine Generation, die aufgezogen wurde mit Tupperdosen „voller Gurkenscheiben“, an Orten mit vielen Teelichtern.

Man könnte auch sagen: Die 27-jährige Erfolgsautorin führt einen Klassenkampf gegen die eigene Klasse. „Wir sehen uns als Opfer der Digitalisierungsgesellschaft, das heißt: irgendwas mit Robotern und unbezahlten Praktika, gleichzeitig würden wir niemals bei Primark einkaufen, weil wir behaupten, fast fashion zu hassen, dabei hassen wir nur arme Menschen, die bei Primark einkaufen müssen, wir kaufen lieber fast fashion in Geschäften, deren Zielgruppe geringfügig urbaner ist.“

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So disst sie alle, die versuchen, ein sehr authentisches, sehr kosmopolitisches Leben zu führen – nicht zuletzt sich selbst. Alle, die denken, sie hätten irgendwas verdient, zum Beispiel Altbauwohnungen oder Pizza mit karamellisierten Walnüssen. Ja, irgendwann wird es ein bisschen redundant. Die Pizza hatten wir schon mal, trotzdem muss man wieder lachen.

Natürlich kreist diese ganze Szenerie sehr arg um die eigene Achse. Das macht aber nichts. Am Ende sind es vor allem diese von Sophie Passmann skizzierten Freunde, die kichernd Sprachnachrichten verschicken und darin Stellen aus dem Buch zitieren. Die Dekonstruktion der eigenen Peergroup ist spannend.

Trotzdem muss man nicht Millennial sein, um Passmanns präzise Beobachtungen zu lieben. Diesen Zustand, in dem alles besser aussieht, als es sich anfühlt, kennt jeder. Sie bringt ihn immer wieder auf den Punkt – und am Ende kommt nichts dabei heraus außer ein bisschen Spaß und ein kleiner Appell. Der lautet: Es fehlt gar nichts, nur ein bisschen Bescheidenheit. Das muss reichen.

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