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Verzweifelt. Sopranistin Sarah Aristidou als „junge Frau“.

©  Staatsoper/Martin Koos

"Sommertag" an der Berliner Staatsoper: Der Ruf des Fjords

Auf der Suche nach dem verlorenen Mann: „Sommertag“ von Nikolaus Brass in der Neuen Werkstatt der Berliner Staatsoper.

Warum ist er verschwunden? Männer, die auf Nimmerwiedersehen Zigaretten holen gehen, sind vielleicht aus der Mode gekommen. Männer, die ihrem Leben ein Ende setzen, woanders ein neues beginnen oder immer schon ein Zweitleben führten, nicht. Auch Asle wird von einer unerklärlichen Sehnsucht getrieben, weg von der Frau, raus aus dem Haus, mit seinem Boot zu den Fjorden, von wo er eines schönen Tages nicht mehr zurückkommt.

„Sommertag“ heißt das Musiktheaterwerk von Nikolaus Brass, dessen Libretto der Komponist selbst besorgte, nach einem Drama von Jon Fosse. Das lässt Düsternis, Leere, Lakonik erwarten, ist der norwegische Schriftsteller doch für noch ausweglosere Szenarien bekannt als seine Vorgänger Henrik Ibsen oder August Strindberg. „Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas, vor zwei Jahren an der Deutschen Oper uraufgeführt, thematisiert ein langes Sterben. Die Protagonistin von „Sommertag“ ist innerlich gestorben durch unendliches Warten. Sie martert sich mit ihren Erinnerungen, fragt nach Gründen, findet keine Antworten. Schon Brass dramatisiert den nicht gerade bühnenwirksamen Stoff geschickt, indem er die doppelt auftretenden Figuren unterschiedliche Zeitebenen und Bewusstseinsschichten darstellen lässt, sie mit hochexpressiver Melodik einander ins Wort fallen lässt, ihnen einzelne Instrumente eines reduzierten und doch äußerst klangvollen Kammerensembles zuordnet.

Pfade durch das Müllgebirge

In der Neuen Werkstatt der Staatsoper geht Regisseurin Eva-Maria Weiss noch einen Schritt weiter. Was Brass als Befreiung aus einem inneren Gefängnis andeutet, fasst sie ganz konkret: „Die Frau“ (Olivia Stahn) ist in einem Umzug begriffen, im Aufbruch in ein neues Leben. Das gibt Ausstatterin Lisa Fütterer die Möglichkeit, die Bühne mit verpackten Gegenständen vollzustellen, variable Aktionsfläche für die Sänger. Auf einem Tisch liegt unbeweglich „die junge Frau“ (Sarah Aristidou), bis sie zum Leben erwacht und den Zuschauer in die damaligen Ereignisse hineinzieht, die mit dem Einzug gemeinsam mit Asle beginnen. Derweil wickelt Stahn sich in Luftpolsterfolie, bis die Zeitebene der Gegenwart wieder erreicht ist. Die Hinterbühne ist vollgestellt mit Möbeln, Kästen, ein Möbel-Müllgebirge, auf dem die drei Darsteller des Asle balancieren, stolpern und einsinken können: Matthew Peña mit virilem Tenor, Bartosz Araskiewicz als die ihn machtvoll ins Dunkel rufende „Stimme“, Valentin Schmehl als trittsicherer Tänzer. Manchmal vervollständigen auch in den gleichen dunklen Kapuzenjacken gewandete Musiker den Männerbund, der zum Schluss hämisch auflacht.

Überwältigung, wo Distanz angebracht wäre

Die Bühne ist so immer sehr voll und bewegt, und dass Weiss noch eine dritte Frau die Zukunft der Verlassenen als ewig Wartende im grauen Haar verkörpern lässt, macht es nicht besser, zumal Anne Schuldt sich kaum gesanglich profilieren kann und meistens in eine hintere Ecke verbannt ist. In einer anderen verstecken sich die von Max Renne geleiteten Musiker. Kontrabass, Klarinette, Bratsche entwickeln intensive Leucht- und Ausdruckskraft; virtuos darf Bratscherin Josephine Range während eines langen „Intermezzos“ hinter der Bühne agieren. Im kleinen, überakustischen Raum springt der Klang das Publikum förmlich an.

Das an sich ausgezeichneten Sängerensemble, vor allem Aristidou mit hochverzweifelten Soprantönen, betreibt dramatische Überwältigung, wo vielleicht Distanz angebracht wäre. Leise Töne, das diffizile Spiel mit Zeitebenen, die Erfahrung des Wartens, wie das 2014 bei der Münchner Musikbiennale uraufgeführte Stück sie etwa beim Festival „Ultraschall“ 2016 vermittelte, sucht man so vergebens – da hilft auch keine überdimensional auf die Wand projizierte Uhr.

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