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Immer druff. Anja Schneider (links) und Kathleen Morgeneyer in den "Sommergästen".

© Arno Declair

"Sommergäste" am Deutschen Theater: Zicken und Sargnägel

Geschlechterkampf auf der Bühne, passend zu #MeToo: Daniela Löffner inszeniert Maxim Gorkis „Sommergäste“ am Deutschen Theater.

Es sei im Grunde völlig egal, wen man wähle, räsonieren die Hauslyrikerin Kaleria (Linn Reusse) und ihr Schriftstellerkollege Schalimow (Bernd Stempel) ungefähr eine Stunde vor Mitternacht im Deutschen Theater Berlin. Es ändere sich sowieso nichts, schließlich fehle es allen gleichermaßen an Ideen. „Und ihr?“, fragt da Wlas (Marcel Kohler), der unkonventionelle Jungspund der Sommerhausrunde mit den Kultmarken-Turnschuhen, springt von seinem Sitz hoch und agitiert wütend die Restbelegschaft: „Was macht ihr? Was habt ihr für Ideen?“

Keine natürlich. Was hier am Ende von Daniela Löffners Maxim-Gorki-Inszenierung „Sommergäste“ zusammengefasst wird, hat sich bereits in den vorangegangenen vier Stunden deutlich über die Rampe transportiert. Gorkis berufselitäre Sommerfrischler, jene Ärzte, Ingenieure, Unternehmer oder eben Literaten vom Vorabend der Russischen Revolution, die sich da im Landhaus des Rechtsanwalts Bassow (Alexander Khuon) und seiner schwer am Lebenssinn-Verlust laborierenden Gattin Warwara (Anja Schneider) treffen, sind wir, so die Behauptung des Abends: lethargische Archetypen einer Gesellschaft, in deren Tiefenschichten es heftig brodelt. Schwadroneure, die als Zaungäste ständig vor sich hin lamentieren, obwohl sie doch diejenigen mit den prinzipiell gestaltungsmächtigen IQs und den entsprechenden gesellschaftlichen Positionen sind.

Über Parallelen und Differenzen zwischen Gorkis Intelligenzija-Diagnose von 1904 und unserer „Gesellschaft der Angst“, wie der im Programmheft zitierte Soziologe Heinz Bude den Status quo nennt, ließe sich lange diskutieren. Die eigentümliche, plakativ dekadenzdemonstrationswillige Burlesk-Nummer, die Kathleen Morgeneyer als Fremdgängerin Julija Filippowna kurz vor der Pause turnen muss, wirkt als verbindendes Bild jedenfalls platt.

Gatten mit Beharrungsvermögen

Löffner hat aber noch etwas anderes im Auge: Es sind, tendenziell, die Frauen bei Gorki, die die Lage treffsicher analysieren, denen „Sargnagel“ als passendes Synonym für „Ehemann“ erscheint und die auf Veränderung pochen, während es sich die etablierten Gatten in ihrem Beharrungsvermögen gemütlich machen. Geschlechterkampf also auf der DT-Bühne, passend zur #MeToo-Debatte. Da legt der gastgebende Oberspießer Bassow seiner Frau in der von Löffner und ihrem Dramaturgen David Heiligers entwickelten Textfassung nahe, mal „eine Therapie“ zu machen, bevor er sie am Ende vor versammelter Mannschaft als „frigide Zicke“ abkanzelt, welche ja wohl „die Letzte“ sei, die die Welt verändern könne.

Ein anderer Sommerfrischler empfiehlt, die Frauen möglichst häufig zu schwängern, damit sie „nicht auf dumme Gedanken“ kommen. Ein dritter gibt sich optimistisch: „Die Frauen werden uns nie überholen.Dafür sorgen sie schon untereinander.“ Da hat er leider nicht unrecht. Und dabei geht es nicht nur um die Role-Model-Kämpfe, wie sie mit beleidigender Klinge von der Vierfachmutter Olga (Natali Seelig) in Richtung der kinderlosen Gastgebergattin Warwara ausgefochten werden. Merkwürdigerweise werfen hier noch die progressivsten Frauen der Sommerhausgesellschaft – die Ärztin Marja Lwowna oder eben Warwara – vorzugsweise den nervös übersteuerten, tendenziell hysterischen Klage-Modus an. „Ich bin zwanzig Jahre älter als du, ich bin eine alte Frau“, zetert etwa Regine Zimmermann als Marja Lwowna dem schwer in sie verliebten Wlas entgegen, als der sich ihr nähern will. Um anschließend ihrer Vertrauten Warwara vorzubarmen, wie wahnsinnig sie sich diese Liebe aus dem Herzen reißen müsse.

Wo liegt das Problem, fragt man sich da. Offenbar nicht im Altersunterschied der beiden Königskinder. Eher in einer Figurenzeichnung, die oft dem ersten, nächstliegenden Impuls vertraut und dabei bleibt, obwohl sie doch ganze vier Stunden zur Abgründigkeitstiefenschürfung hätte. So wirkt vieles bloß behauptet. Dies fällt umso deutlicher ins Gewicht, als Jürgen Goschs frühere Assistentin Daniela Löffner ihren Lehrmeister, der die Kunst so genial ins Leben stürzen ließ und umgekehrt, tatsächlich zitiert. Claudia Rohners braune Bühnen-Box erinnert an die Kästen, wie sie Johannes Schütz für Gosch oft baute: Die Akteure sind gleichsam gefangen und sehen einander beim Spielen zu. Da war Daniela Löffner, die konzeptionell fürs Schauspielertheater steht, mit ihrer vorherigen DT-Inszenierung „Väter und Söhne“ schon um einiges weitergekommen.

Wieder 1./19./21. 3.

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