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Seelenlandschaft. Brittany Howard fühlt sich musikalisch frei wie nie.

© Brantley Gutierrez

Solodebüt von Brittany Howard: Songs über Glaube, Heimat und Sexualität

Brittany Howard wurde mit der Rockband Alabama Shakes bekannt. Auf ihrem Solodebüt „Jaime“ singt sie über Rassismus-Erfahrungen und lesbische Liebe.

Brittany Howard ist noch ein Baby, als die Sache mit dem Ziegenkopf passiert. Sie lebt mit ihrer Mutter in einem Wohnkomplex in der 20 000-Seelen-Gemeinde Athens, Alabama. Gleich gegenüber liegt ein Lebensmittel-Co-op, in dem auch Tiere gehalten werden. Der Vater kommt nach der Arbeit vorbei, bleibt über Nacht. Als er am nächsten Morgen wieder zum Auto geht, sind die Reifen zerstochen und auf dem Rücksitz liegt ein Ziegenkopf. Jemand hat das Tier aus dem Laden gestohlen, den Kopf abgeschnitten und in sein Auto geworfen, zusammen mit einem Zettel, auf dem es heißt: „Komm’ nie wieder hierher zurück.“

Brittany Howards Vater ist schwarz, ihre Mutter weiß. Damit haben sie in den Südstaaten der 80er ein hartes Leben. Wenn ihre Mutter mit Brittany auf dem Arm spazieren geht, fragen Leute sie: „Wie konnten Sie das nur tun?“ Howard selbst hat all das erst viel später mitbekommen. „Meine Eltern haben ganze Arbeit geleistet, wenn es darum ging, uns vor dem Bösen in der Welt zu beschützen“, erklärt die Musikerin am Telefon. Rückblickend verstünde sie, warum ihre Mutter immer so angespannt gewesen sei. Warum es ihr schwergefallen sei, einen Job zu finden.

Howard hat heute, mit 30, einen Song über diese Erlebnisse geschrieben. „Goat Head“ heißt er. Sie singt darin: „Tomatoes are green and cotton is white, my heroes are black, so why God got blue eyes?“ Unter ihrer Stimme tänzelt ein Beat aus Bassdrum, zischenden Becken und Flaschenhalsgeklingel. Klavierakkorde winden sich, es wirkt fast improvisiert, leicht verwischt. Das Stück gibt die Richtung für „Jaime“ (Columbia/Sony) vor, das am Freitag erscheinende erste Soloalbum der Alabama-Shakes-Frontfrau. Es ist benannt nach ihrer vier Jahre älteren Schwester, die als Teenager an Krebs gestorben ist.

Die Stücke flattern wie Fetzen im Wind

Die Platte ist deutlich persönlicher geraten als die beiden, die sie mit ihrer Band aufgenommen hat. Die Alabama Shakes sind bekannt für ungezähmten Blues- Rock, sie gewannen damit vier Grammys und haben für Barack Obama im Weißen Haus gespielt. Doch Howard, Sängerin und Gitarristin des Quartetts, konnte nicht so weitermachen. „Es kamen keine Alabama-Shakes-Songs mehr aus mir heraus“, erklärt sie. Ob es irgendwann weitergeht mit der Band, kann sie nicht sagen.

Es sei ihr ein Bedürfnis gewesen, beim Musikmachen einmal die volle Kontrolle zu haben, die Songs einfach herausbrechen zu lassen. Dabei spinnt Howard einige Ansätze fort, die es bereits bei den Alabama Shakes gab. Nur fühlt sich nun alles noch unfertiger an. Die kurzen Stücke flattern zuweilen wie Fetzen im Wind. „So was höre ich selbst gerne“, erklärt Howard. „Ich mag keine polierte Musik.“

Howard mutet den Fans einiges zu

Nur mit einem halben Dutzend Songs ging sie im September 2018 ins Studio in Los Angeles. Der Rest des Albums nahm Gestalt an, als sie sich mit drei Ko-Musikern an die Arbeit machte: mit dem Pianisten Robert Glasper und dem Schlagzeuger Nate Smith, beide Jazz-erfahren, sowie mit dem Alabama- Shakes-Bassisten Zac Cockrell, den die Sängerin schon seit Kindertagen kennt.

Zusammen muten sie den Fans nun einiges zu. Der Gipfel der Widerborstigkeit heißt „13th Century Metal“ – ein fordernder bis nervtötender Song, der aus einem Jam von Smith und Glasper entstanden ist. Das Stück zwirbelt die jazzigen Einflüsse des Albums zusammen zu einem leicht dissonanten Klangstrudel, hinter dem Howard einen verhallten Sermon spricht. „Wir sind alle Brüder und Schwestern“, wiederholt sie immer wieder. Wer den Alabama-Shakes-Sound mag, aus dem man den süßen Eistee der Südstaaten herauszuschmecken meint, könnte versucht sein, den Song zu überspringen.

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Einer der wenigen direkt zugänglichen Songs ist „Stay High“, die einzige echte Single und Brittany Howards Variante eines Heimatliedes. Sie singt über das Leben im kleinstädtischen Alabama: Tagsüber wird geschuftet, alle laufen mit grimmigen Gesichtern herum. Aber wenn es Nacht wird: „We get to play, and we smile and laugh, and jump and clap and, yell and holler and just feel great!“ Cockrell gibt einen entspannten Groove auf dem Bass vor, die Drums kommen stapfend hinzu.

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Darüber tupft Glasper glimmend-helle Töne auf der Celesta, einem Tasteninstrument, das wie eine Mischung aus Glockenspiel und Xylophon klingt, während Howard alle Register des Soul-Gesangs zieht. Ihre Stimme ist vielseitiger als früher, rau und sanft zugleich. Sie liebt und leidet und geht doch nur für Momente in die Vollen. Auf diese Weise klingt Howard nie, als wollte sie ihre Talent ausstellen.

Talente, die ihre Schwester Jaime schon früh in ihr erkannt und gefördert hat. Musik, Kunst, Songwriting: „Seitdem ich laufen und sprechen konnte, brachte sie mir Dinge bei“, sagt die Sängerin. Jaime sei auch heute immer in ihrer Nähe, wenn sie sie brauche. „Unsere Verbindung ist sehr kraftvoll.“ Auf der Platte hat Howard den Mut gefunden, von den Dingen zu singen, die sie als Mensch ausmachen: von ihrer Familie, ihrem Glauben, ihrer Heimat und von ihrer Sexualität.

Erstmals ein Liebeslied an eine Frau

Mit „Georgia“ veröffentlicht sie erstmals ein Liebeslied, das sich eindeutig an eine Frau richtet. Darin singt sie: „Georgia, I think if I got you alone, you could tell I’m being really sincere and I can’t help the way that I was born to be.“ Eine junge Frau erklärt der deutlich älteren Georgia in aller Aufrichtigkeit ihre Liebe.

Die Geschichte ist keine autobiografische, sagt Howard, seit 2018 mit der Musikerin Jesse Lasfer verheiratet. Dieses Gefühl hingegen, mit sich selbst im Reinen zu sein, das scheint echt zu sein – auch wenn es für Howard lange gedauert hat, an diesen Punkt zu gelangen. Erst mit Mitte 20 konnte sie sich freimachen von der geistigen Enge ihrer kleinstädtischen Heimat und die Person vollends akzeptieren, die sie ist: eine großgewachsene lesbische Frau, die auf der Bühne vor Energie strotzt und sich privat lieber zurückhält.

Brittany Howard nennt die Platte eine Landschaft ihrer Seele. Sie zu durchwandern, sei nicht schmerzhaft gewesen. „Alles, worüber ich singe“, sagt sie, „ist verheilt.“ Gerade deswegen ist es eine Freude, ihr in diese Landschaft zu folgen.

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