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Die Stilikone Solange Knowles, hier bei einer Gala im Metropolitan Museum of Art, bewegt sich zwischen Musik und Kunst.

© John Angelillo/Imago

Solanges Soul-Album „When I Get Home“: Die Chefin im Ring

Kein Hit, nirgends. Solange überrascht mit dem psychedelischen Soul-Album „When I Get Home“.

Von Andreas Busche

Streng genommen bezeichnet der Begriff „Autorensoul“ kein Genre, er beschreibt eine künstlerische Haltung. Der Ursprung liegt in den frühen Siebzigern, als der Crooner Marvin Gaye aus einer tiefen Depression zurückkehrte und seinem Labelboss Berry Gordy verkündete, dass er keine Lust mehr auf den konfektionierten Radiopop aus dessen Hitfabrik Motown hatte. Die Proteste gegen den Vietnamkrieg erreichten ihren Höhepunkt, Gaye verzweifelte an Amerika. Seine Antwort „What’s going on“ (1971) zählt heute neben Curtis Mayfields selbstbetiteltem Debüt und Stevie Wonders ein Jahr später ebenfalls auf Motown erschienenem „Music of My Mind“ zu den ersten Meisterwerken des Autorensoul: Die Sänger und Musiker hatten sich die Kontrolle über den gesamten Produktionsprozess, von den Texten bis zur finalen Abmischung, angeeignet.

Der kleine Exkurs in die Musikgeschichte ist noch einmal nötig, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn über dem Album „When I Get Home“ die Ankündigung „All lyrics and melodies written by Solange Knowles“ steht. Solange, die jüngere Schwester von Beyoncé, hat auch 17 der 19 Stücke mitproduziert, aber beweisen muss sie der Musikwelt ohnehin nichts mehr. Die Autorenschaft des Nachfolgers von „A Seat at the Table“, einem der maßgeblichen Alben von 2016 (in Pop und Soul), ist aus jedem Song herauszuhören, gleichzeitig steht „When I Get Home“ für eine kollektive Leistung. Solanges langjähriger Partner John Kirby, Steve Lacy von der Post-Soul-Band The Internet, Tyler the Creator, Hustensaft-Mixologe Metro Boomin’, Panda Bear von den Indie-Psychedelikern Animal Collective und der wohl unvermeidliche Pharrell fungieren als Ko-Produzenten. Alles unter Anleitung von Solange, die als kulturelle Ikone längst aus dem Schatten der großen Schwester getreten ist.

Solange ist Popstar und Produzentin

Großer Pop ist heute reine Produzentenmusik. Für Künstlerinnen galt das schon immer, mittlerweile lassen sich auch männliche Kollegen den angesagten Sound zum Image fabrizieren. Kein Wunder, dass sich einer der avanciertesten Hip-Hop-Produzenten der vergangenen 20 Jahre, Kanye West, heute für den größten Popstar hält. Das Mononym als Marke. Elvis. Madonna. Beyoncé. Yeezus.

Die Großspurigkeit solcher Ambitionen unterläuft „When I Get Home“ auf souveräne Weise. Solanges viertes Album, das die 32-Jährige in der Nacht zum Freitag auf den einschlägigen Streamingportalen veröffentlichte, ist in unserer aufmerksamkeitsökonomisierten, algorithmusbasierten Kultur total verrückt: Es verzichtet auf Hits. Zumindest im herkömmlichen Sinn. Der sirupartige Banger „Almeda“ (mit Trap-Nachwuchs Playboi Carti) kriecht nach mehrmaligem Hören unwiderstehlich auf den Dancefloor. „Black faith still can’t be washed away“, singt sie über einen verpeilten Stolperbeat. Und irgendwo in den Klang- und Vokalschichten von „Jerrod“ steckt auch eine große Pophymne; das von Marvin Gaye so verabscheute Drei-Minuten-Radioformat hat das Stück bereits. Es ist tatsächlich eines der längsten auf „When I Get Home“, hat aber keinen Refrain und keine Hookline.

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Die Enttäuschung über diese Verweigerungshaltung, die in den ersten Reaktionen zu vernehmen ist, erzählt vermutlich mehr über die Kritiker (vereinzelt auch Kritikerinnen) als über die künstlerische Autonomie Solanges. 1979 stieß Stevie Wonder sein Label vor den Kopf, als er nach fünf Blockbusteralben, die ihn in den Pop-Olymp beförderten, mit dem sträflich verkannten „Journey Through the Secret Life of Plants“ einen hinreißenden Soul-Soundtrack von durchaus auch pädagogischem Wert für eine obskure Öko-Dokumentation veröffentlichte. Ein Konzeptalbum, wäre das Wort nicht so Progrock-belastet.

Schwarzes Bewusstsein, keine Hashtag-Slogans

Auch „When I Get Home“ liegt ein Konzept zugrunde, nur ganz ohne Bombast. Zehn Songs dauern maximal drei Minuten, die Hälfte davon erreicht nicht mal die Zwei-Minuten-Marke. In „I’m a Witness“ und „Dreams“ setzt Solange ihre Stimme wie ihr großes Vorbild Minnie Riperton als musikalisches Instrument ein: Somnambul wiederholte Sätze überlagern sich, verschlingen sich mit atmosphärischen Synthesizer-Schleifen. Erinnert sich noch jemand an die Cocteau Twins? Der Vergleich mit den Ambient-Poppern aus den Achtzigern hinkt ein wenig, aber er steckt in etwa das Spielfeld ab, das „When I Get Home“ im Genre Hip-Hop aufmacht. Dessen Zustimmung holt sie mit dem programmatischen „My Skin My Logo“ ein, in dem Solange mit Gucci Mane, ja, rappt.

Es ist der einzige Song, in dem sich Solange zu Hashtag-tauglichen Slogans für die Selbstermächtigung ihrer „Schwestern“ hinreißen lässt. Die sozialen Medien haben in den vergangenen Jahren klobige Wortschöpfungen wie „Instagrammability“ hervorgebracht. „When I Get Home“ verweigert sich auch der Playlist-Logik von Spotify, die Songs und gesprochenen Interludes fließen nahtlos ineinander. Eine Collage der black consciousness. Selbst der für viele überraschende Veröffentlichungstermin ist nicht einer Laune geschuldet, sondern strategisch klug gewählt. Solange hat ihr Album, auf das die Musikwelt seit über einem Jahr wartet, genau zwischen dem Ende des „Black History Month“ und dem Beginn des amerikanischen „Women’s History Month“ platziert.

Solange: When I Get Home (Columbia/Sony)

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