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Die Darstellung einer Steinzeit-Frau, die Feuer macht.

© imago

So weiblich war die Steinzeit: Männer waren Jäger, Frauen nur Sammler – das sind überholte Klischees

Die Paläoanthropologin Marylène Patou-Mathis rüttelt in einem neuen Buch an den verstaubten Vorstellungen ihrer Disziplin. Die Kolumne Flugschriften.

Von Caroline Fetscher

Caroline Fetscher schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Sachbücher. Nächste Woche: Gerrit Bartels über den Literaturbetrieb.

Auf die unbekannte Zukunft richtet das Genre der Science Fiction seine Projektionen. Der unbekannten Vergangenheit in Vor- und Frühgeschichte gilt ein anderer Projektionsraum der Gattung. Die Gegenwart weiß wenig darüber, sie ist angewiesen auf Spurensuche und Spekulation. Auch daher sagen die Befunde oft mehr aus über die Erklärenden als das zu Erhellende. Das Jungpaläolithikum der Fantasie zeigte, seit seine Erkundung im 19. Jahrhundert begann, die Frau am Feuer in der Höhle, wartend auf den Mann, den Jäger mit der Beute.

In solchen Tableaus erkennt die Pariser Ethnoarchäologin und Paläoanthropologin Marylène Patou-Mathis Projektionen des Patriarchats, den „westlich und männlich“ geprägten Blick. Patou-Mathis, geboren 1955, betreibt Grundlagenforschung am prestigereichen Forschungsverbund CNRS (Centre national de la recherche scientifique) und hält ihrem Fach in einer Streitschrift dessen bisherige Einseitigkeit entgegen („Weibliche Unsichtbarkeit. Wie alles begann.“ Aus dem Französischen von Stephanie Singh. Hanser, München 2021. 286 S., 24 €).

Ihr Buch wirft Fragen auf, die zigtausende Jahre später niemand genau beantworten kann, doch umso legitimer lässt sich an stereotypen Deutungen zweifeln. Geheimnisvoll ausgeleuchtet hocken frühzeitliche Objekte in den Vitrinen der Museen. So zeigt das Urgeschichtliche Museum Blaubeuren eine Flöte aus Schwanenknochen, rund 40.000 Jahre alt, wie das schwungvoll geschnitzte Vogelherdpferd aus Mammutelfenbein im Schlossmuseum von Tübingen. Sensationell illustriert die Architektur der „Keltenwelt am Glauberg“ die Kluft zwischen der Gegenwart und den enigmatischen Fragmenten, der Bau aus Glas und Stahl ragt wie eine lange Schublade aus einem Erdhügel in Südhessen hervor.

An Fundstätten kommen Faustkeile und Speerspitzen ans Licht, Ringe und Perlen aus Horn und abstrakte Felsgravuren. Auf Höhlenwänden wie in Lascaux, Chauvet, Altamira oder Niaux prangen ockerrote Handabdrücke, Malereien mit Bisons, Mammuts oder Rentieren. Berühmt sind die Figurinen voluminöser weiblicher Körper, gern „Venus“ genannt, wie die Venus vom Hohle Fels, die Venus von Willendorf oder die Plastiken am russischen Fundort Kostjanki. Solche Abbilder weiblicher Leiber sortierte die Forschung, wie die Darstellungen von Vulva und Phallus, in die Symbolik für Fruchtbarkeit ein.

Es bleiben mehr Fragen als Antworten

Patou-Mathis fragt, ob die Beleibten alle als Schwangere interpretiert werden müssen oder Wohlstand repräsentierten; ob die Werke profan oder kultisch genutzt wurden; und ob sie vielleicht Arbeiten von Frauen waren. Auch dass die Malerei in Lascaux von weiblicher Hand stammen könnte, schien undenkbar – warum eigentlich? Beweisen, so die Autorin, lässt sich weder das eine noch das andere. Wie von allein aber galten männliche Menschen als die Jäger und Werkzeugmacher, die Künstler oder Schamanen, während Frauen passiv waren, Kinder bekamen und bestenfalls Beeren sammelten. Erhalten sind harte Dinge aus Stein und Knochen, doch weder Leder noch Holz, Ton oder Textilien. Inzwischen spricht immerhin die DNA, und anhand fossiler Skelette lässt sich etwa nachweisen, wo Frauen ebenso wie Männer Fleischesser waren – oder wo Frauen die Gruppen ihrer Mütter verließen, um mit Männern bei anderen Gruppen zu leben.

Sehr heterogen seien die Gemeinschaften gewesen, gibt Patou-Mathis bei ihrer Dekonstruktion zu bedenken. Männergewalt, Frauenraub, Kriege? Für deren ubiquitäre Existenz vor der Sesshaftigkeit erbrächte das „materialistische Paradigma“ kaum Belege. Allemal blieben mehr Fragen als Antworten. Was dachten unser Vorfahren vor tausenden von Jahren? Wie haben sie sich genannt? Welche Sprachen besaßen sie? Wie haben sie Naturphänomene gedeutet? Sicher ist: Vorstellungen zu Mann und Frau und Kind, zu matrilinearen und patrilinearen System, waren ununterbrochen im Wandel. Gut und erfrischend, dass neue Fragen den Staub der Wissenschaft aufwirbeln.

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