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Bis die Puppen tanzen. Eine Szene aus „Blaubart“.

© Dr. Heinrich Brinkmöller-Becker

Skandalstück „Blaubart“ reinszeniert: Bei der Premiere 1977 rannten Leute aus dem Theater

In „Blaubart“ verhandelte Pina Bausch die Geschlechterfrage. Das Tanztheater Wuppertal reinszeniert das Meisterwerk, das in MeToo-Zeiten wieder aktuell ist.

Von Sandra Luzina

Als Pina Bauschs Inszenierung „Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg‘“ am 8. Januar 1977 Premiere in Wuppertal feiert, verließen manche Zuschauer noch türenknallend das Theater. Mit nie gesehener Härte brachte Bausch den Geschlechterkampf auf die Bühne – und löste sich auch erstmals von der Musikvorlage.

In Zeiten der #MeToo-Debatte besitzt dieses frühe Meisterwerk Bauschs eine geradezu beklemmende Aktualität – das beweist nun die bejubelte Neueinstudierung des Wuppertaler Tanztheaters.

Das Bühnenbild und die Kostüme entwarf Rolf Borzik, Pina Bauschs damaliger Lebensgefährte (er starb 1980). Aus dem Schloss Blaubarts macht er eine leere, heruntergewohnte Altbauwohnung. Zwei der hohen Türen sind verschlossen; der Boden ist mit welkem Laub bedeckt. Ein trostloser Schauplatz für die verzweifelten, obsessiven Begegnungen von Männern und Frauen. Liebe und Zwang, Zärtlichkeit und Brutalität gehören hier untrennbar zusammen.

Judith liegt anfangs auf dem Rücken, die Arme angewinkelt, bereit, den Mann zu empfangen. Schon diese Pose signalisiert die völlige Verfügbarkeit der Frau.

Ständige Wiederholungen prägen das Stück

Oleg Stepanov, barfuß und in schwarzem Mantel, wirft sich auf sie, rollt sich zusammen wie ein Kind. Mit dieser schweren Last schiebt sich Judith mühsam über den Boden und pflügt eine Schneise durch das Laub.

Doch immer wieder hastet Blaubart zum altertümlichen Tonbandgerät, spult die Musik zurück und lässt die Passage wieder und wieder erklingen. Die Musik wird hier regelrecht zerstückelt, nur beim Finale wird die Oper nicht unterbrochen.

Quälende Repetitionen charakterisieren das Stück: Musikpassagen, szenische Abläufe und Bewegungen werden ständig wiederholt, sodass die Aktionen etwas Zwanghaftes bekommen.

Oleg Stepanov als Blaubart ist düster und unnahbar, die fragile Tsai-Chin Yu leiht ihrer Judith etwas Widerständiges. Sie lässt nicht locker, sie will wissen, was sich hinter der siebten Türe verbirgt. Was sich psychoanalytisch deuten lässt: Sie will in seine Seele eindringen.

Es ist genial, wie Pina Bausch den Liebeskampf des zentralen Paares vervielfältigt und so aus dem mythischen Stoff eine gesellschaftliche Diagnose macht.

Roh und Rabiat

22 junge Tänzer und Tänzerinnen wirken in Wuppertal mit. Viele davon sind Gäste, Studenten oder Absolventen der Folkwang-Hochschule. Sie schlagen sich wacker, wie sie da gegen die Wände rennen, den Partner über den Boden schleifen oder herumschleudern.

Die körperlichen Aktionen sind roh und rabiat, und Pina Bausch verschafft den Zuschauern keine Erleichterung, treibt das Geschehen höchstens mal in eine böse Komik.

Dann werfen die Männer in Samtunterhosen sich in Machoposen. Und die Frauen, die den Peiniger Blaubart umgarnen, stimmen mit mädchenhaften Stimmen einen „Danke“-Chor an.

Gleich mit drei Bräuten hintereinander tanzt Blaubart einen grausamen Pas de deux: Am Ende fängt er die Frauen mit einem Bettlaken ein, schleppt sie fort wie ein Beutetier und schichtet ihre Körper übereinander.

Gefangene einer Liebeshölle

Die Zurichtung der Frau wird hier auf drastische Weise vorgeführt. Doch das Stück, in dem schon die Themen und Bewegungsmotive anklingen, die Bausch dann weiter durchgespielt und variiert hat, spielt auch mit Ambivalenzen: Nicht nur die Frauen sind Opfer, alle sind hier Gefangene in der Liebeshölle.

„Blaubart“ konnte seit 1994 nicht mehr in Wuppertal gezeigt werden, weil es Streitigkeiten mit den Bartók-Erben um die Urheberrechte an der Musik gab. Die künstlerische Leitung bei dieser „Rekonstruktion“ übernahmen Jan Minarik, der in der Uraufführung den Blaubart verkörperte und den Entstehungsprozess miterlebt hat, und Beatrice Libonati, die ab 1979 oft die Rolle der Judith getanzt hat.

Rechtsstreit um ehemalige Intendantin

Die Neueinstudierung von „Blaubart“ hatte schon die geschasste Intendantin Adolphe Binder geplant. In der Causa Binder hat das Tanztheater Wuppertal eine erneute Niederlage hinnehmen müssen. Binder war im Juli 2018 fristlos entlassen worden.

Das Landesarbeitsgericht hatte auch in zweiter Instanz festgestellt, dass ihre Kündigung unrechtmäßig war. Eine Revision gegen dieses Urteil hatte der Richter nicht zugelassen. Die Stadt Wuppertal hatte dagegen Beschwerde eingereicht beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Diese wurde aber abgewiesen.

Am 31. Januar geht der Rechtstreit in eine neue Runde. Dann verhandelt das Landesarbeitsgericht über die Gehaltnachzahlungen an Binder. Seit ihrem Rauswurf um Juli 2018 hatte die Kulturmanagerin kein Geld mehr vom Tanztheater bekommen.

Ob ihr auch ein Schadensersatz wegen der Schädigung ihres guten Rufs zusteht, wird der Richter entschieden. Der Fall kommt die Stadt Wuppertal jedenfalls teuer zu stehen.

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