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Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main werden durch Neubauten ersetzt. Das kostet nur 874 Millionn Euro.

© Arne Dedert/dpa

Skandalbaustellen im Kulturbereich: Geld singt nicht

Nicht nur das Baurecht, auch geltungssüchtige Intendanten und Politiker sind schuld daran, dass Bühnensanierungen hierzulande so teuer sind.

Die deutschen Großbühnen sind in die Jahre gekommen und müssen ersetzt oder erneuert werden. Sie sind in den fünfziger bis siebziger Jahren gebaut worden, kommen ans Ende ihrer Standzeit oder sind als historische Bauten der ebenfalls fruchtbaren wilhelminischen Theaterbauepoche nach dem Krieg saniert worden und inzwischen neuerlich verschlissen.

Der zweite Grund für unausweichliche Baumaßnahmen sind enorm gestiegene Standards in Bezug auf Brandschutz, Arbeitsschutz und Energieverbrauch, denen mit normalem Bauunterhalt nicht mehr entsprochen werden kann. Und letztlich können die Wünsche der Nutzer und Besucher in Bezug auf Nutzungsanforderungen und Komfort in den Bestandsbauten nicht mehr befriedigt werden.

Vom Personal werden moderne, großzügige Arbeitsstätten gefordert, die Intendanten verlangen die neuesten technischen Ausstattungen und teure Flexibilität, das Publikum erstklassige Sicht- und Hörbedingungen sowie eine luxuriöse Infrastruktur im Foyerbereich.

All das ist mit 50 bis 130 Jahre alten Bestandsbauten nicht zu machen. Die Konsequenz: Totalumbauten unter Beibehaltung der historischen Hüllen oder komplette Neubauten, was finanziell in die gleichen Größenordnungen reicht. Hinzu kommt ein weiterer Kostenfaktor: Ein Stadtbad oder ein Museum kann man während der Sanierung schließen.

In Stuttgart drohen kosten von 960 Millionen Euro

Opern oder Theater sind personalintensive Betriebe mit Fachpersonal und künstlerisch entwickelten Ensembles – die Württembergischen Staatstheater Stuttgart haben zum Beispiel 1400 Beschäftigte. Die kann man nicht einfach fünf Jahre in Urlaub schicken. Es sind also Interimsspielorte nötig. Und die wenigsten Städte haben wie Berlin ein Schillertheater in Reserve, das den zu sanierenden Bühnen jeweils als Ausweichspielstätte dienen kann.

So oder so kommen auf die Bauträger erhebliche Kosten zu. In Frankfurt steht die Fieberkurve bei 874 Millionen Euro, in Stuttgart sind 960 Millionen im Gespräch. In beiden Städten wird man wohl nicht überrascht sein, wenn letztlich die Milliardenmarke gerissen wird. Bei solchen Beträgen stellt sich automatisch die Frage nach grundsätzlichen Alternativen.

In Frankfurt hatte eine Machbarkeitsstudie des Hamburger Architekturbüros PFP Jörg Friedrich die Stadt mit Kostenschätzungen in damals unfassbarer Höhe von über 800 Millionen aufgeschreckt. Die daraufhin eingesetzte Stabsstelle „Zukunft der Städtischen Bühnen“ unter der Leitung des Architekten Michael Guntersdorf (der zuvor die „Neue Altstadt“ erfolgreich gemanagt hatte) kam bei der Berechnung von Alternativen freilich auf ähnliche Zahlen.

Die Baustelle der Oper Köln stockt seit Jahren. 2023 soll endlich alles fertig sein. Kostenprognose derzeit: 571 Millionen Euro
Die Baustelle der Oper Köln stockt seit Jahren. 2023 soll endlich alles fertig sein. Kostenprognose derzeit: 571 Millionen Euro

© picture alliance / dpa

Nachfolgend beschloss der Stadtrat Ende Januar, von der Sanierung der Theater-Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz für 918 Millionen abzusehen und für 874 Millionen zwei Neubauten zu errichten. Nun geht der Streit darum, ob nach dem Willen der SPD ein Neubau am alten Standort und der zweite in zentraler Innenstadtlage erfolgen soll, oder ob beide Bühnen am Osthafen nahe der EZB gebaut werden, was die CDU-Fraktion favorisiert. Letzteres hätte den Vorzug, dass das Bestandsgrundstück im Bankenviertel äußerst lukrativ vermarktet werden könnte.

In Stuttgart geht es um das Große und das Kleine Haus der Staatstheater. Ein Abriss des denkmalgeschützten Großen Hauses von Max Littmann aus dem Jahr 1912 steht nicht zur Debatte. Wohl aber seine Ausrüstung mit einer Kreuzbühne, was die aufwendige Verschiebung historischer Außenmauern mit entsprechendem Bauchgrimmen bei den Denkmalpflegern erforderlich machen würde.

Die Notwendigkeit eines Interimsbaus veranlasste die Bürgerinitiative „Aufbruch Stuttgart“, das gesamte Kulturquartier städtebaulich neu zu denken und einen Theaterneubau an der Königstraße vorzuschlagen, wonach der Littmannbau als Ballettbühne ohne Kreuzbühne kostengünstiger saniert werden könnte. In Stuttgart ist also die Opposition gegen die Pläne der Stadt- und Landesregierungen eine außerparlamentarische.

Können Großprojekte überhaupt noch gestemmt werden?

In Köln ist die Sanierung der Oper (1957 eröffnet) und des Schauspielhauses (1962) im Gang und soll nach erheblichen Verzögerungen Mitte 2023 abgeschlossen sein. Die Kosten sind von 257 auf 571 Millionen Euro gestiegen. Die Gründe sind vielfältig und reichen von Missmanagement aufseiten der Stadt über Planänderungen und Versagen der Projektsteuerung bis zu fatalen Fehlplanungen im haustechnischen Bereich – der vom Flughafen BER bekannte Mix.

Opernsanierungen und Neubauten gehören zu den dicksten Brocken, die im Infrastrukturbereich zu meistern sind. Es entsteht der Eindruck, dass sie – wie alle komplexen und langwierigen Großprojekte – nicht mehr zu leisten sind, so wie unsere demokratischen Gemeinwesen politisch wie administrativ organisiert sind. Auch die Landes- und Bundesbauämter, die Großprojekte in Bauherrenfunktion stemmen können sollten, sind meist überfordert.

Den nach aller Erfahrung einzig erfolgversprechenden Weg mit Generalplanern und Generalunternehmern (GU), die zum (zunächst oft hoch erscheinenden) Festpreis professionell und eigenverantwortlich und deshalb streng kontrolliert und effektiv arbeiten, will der öffentliche Bauherr höchst ungern angehen.

Die Nutzer tendieren dazu, lange Wunschlisten aufzustellen

Man fürchtet, sich in Abhängigkeiten zu begeben, die Kontrolle zu verlieren. Doch beim BER zum Beispiel ist Klaus Wowereit mit dem Versuch, alles selbst und billiger als der GU zu machen, epochal gescheitert. Auch bei der Lindenoper hat er als Bauherr eingegriffen und versagt, indem er politisch motiviert Termine gesetzt hat, die planungs- und bautechnisch nicht zu halten waren und das Projekt immens verteuert haben.

Eine ganz andere Frage ist die nach den geforderten Standards. Die vom Bauherrn in der Konzeptionsphase befragten Nutzer neigen dazu, lange Wunschlisten aufzustellen, nach dem Motto, wenn man schon neu baut, dann bitte ideale Arbeitsbedingungen und Technik vom Feinsten. Natürlich kann man sich einen Kulissentransporttunnel von der Lindenoper zum Werkstatt- und Depotgebäude wünschen, doch wenn er die Bausumme um zehn Prozent erhöht und den Bau erheblich verkompliziert und verzögert?

Gute Kunst kann auch unter prekären Umständen entstehen

„Weltniveau“, die beliebte Zielstellung der DDR-Oberen, ist noch immer Rechtfertigung für teuerste Ausstattung mit Akustik-, Licht-, Projektions- und Bühnentechnik. Doch deren volle Leistungsbreite nimmt kaum ein Regisseur in Anspruch, weil ihn der Technikkram, dem er sich ohnehin ausgeliefert fühlt, nicht interessiert Ist nicht das hinreißendste, revolutionärste, innovativste Theater immer unter improvisierten, räumlich und finanziell teilweise prekären Umständen realisiert worden? Lieben Regisseure nicht den „Werkstattcharakter“, spielen sie nicht am liebsten in leeren Industriehallen?

Ein Umdenken im Theaterwesen ist angesagt, Pragmatik, Realitätssinn und weniger Spendierhosen bei den Politikern. Vielleicht hilft das Monitoring eines, sagen wir zehn Jahre alten Theaters, die Dokumentation nämlich, wie oft all die avancierten High-End-Features zum Einsatz kamen, der 25. Kulissenzug, die Computersimulation, der spezielle Raumklang. Und die Prüfung, was davon nach wenigen Jahren mangels Gebrauch und aufwendiger Wartung überhaupt noch funktioniert.

Anspruchsdenken führt zu Finanzdebakeln

Dann würde deutlich, was wirklich intensiv gebraucht wird und was so selten, dass der Aufwand nicht lohnt. Und demgemäß könnte man ein neues, sparsameres Haus konzipieren.

Investition und Betrieb sind im Theaterbereich aus dem Gleichgewicht geraten, wie übrigens auch im Museumswesen. Es kann nicht angehen, dass ungebremstes Anspruchsdenken zu hypermodernen und kaum mehr bezahl- und beherrschbaren Kulturmaschinen führt und andererseits die Kulturschaffenden mit wenigen Ausnahmen mangels auskömmlicher Etats ein prekäres Dasein fristen.

Aber ein Grand Projet nach Pariser Art kann der Politiker eben glanzvoll einweihen, bei laufenden Etats gibt es nichts öffentlichkeitswirksam zu feiern, so großzügig sie auch sein mögen.

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