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Serdar Somuncu, Regisseur des Stücks Mein Kampf von George Tabori, steht nach der Premiere des Stücks «Mein Kampf» von George Tabori im Foyer.

© Felix Kästle/dpa

Sinnlose Provokation: Eintritt frei mit Hakenkreuz

In Konstanz feiert "Mein Kampf" von Tabori Premiere an Hitlers Geburtstag. Aber muss man in Zeiten der Eskalation jedes Tabu brechen? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Adolf Hitler, ein „charakterloses, talentfreies Muttersöhnchen, das an Verstopfung leidet“ und ausgerechnet durch die Hilfe seines jüdischen Mitbewohners zum Tyrann wird. Das ist die Prämisse von „Mein Kampf“, eine Groteske des jüdischen Schriftstellers George Tabori, die seit der Uraufführung 1987 in Wien zum absoluten Publikumsmagnet avanciert ist. Am 20. April, Hitlers Geburtstag, wurde das Stück am Stadttheater Konstanz gezeigt. Es war Wunsch des 2007 verstorbenen Tabori, dass das Stück gerade an diesem Tag aufgeführt wird – maximaler Schockeffekt.

Doch Regisseur Serdar Somuncu, der das Stück inszeniert, geht noch ein Stück weiter: Wer eine Hakenkreuzbinde trägt, kommt umsonst rein. Anfangs sollten alle zahlenden Gäste einen Judenstern tragen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema nennt es das Theater. Aber ganz ehrlich: Muss das sein?

Die Frage, wie weit Kunst gehen darf, wird immer wieder gestellt aber nie endgültig beantwortet. Denn die Kunst ist immer Kind ihrer Zeit und der vorherrschenden Konventionen. Zu den heutigen gehört, dass Antisemitismus keinen Platz in der Gesellschaft haben darf. Denn Übergriffe und Ressentiments gegen jüdische Bürger sind leider immer noch Alltag auf deutschen Straßen oder in deutschen Schulen. Und vermeintlich auch auf deutschen Bühnen. Die Debatte um das Rap-Duo Kollegah und Farid Bang erreichte Anfang der Woche ihren vorläufigen Höhepunkt, als mehrere Künstler aus Protest über den Echo-Gewinn des Duos ihre gewonnen Echos zurückgaben. Die beiden Rapper hatten mit der Textzeile „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“ für eine Kontroverse gesorgt.

Schnell wurde die Zeile als antisemitisch abgestempelt und die beiden Künstler gleich mit. Ob die Wörter wirklich Ausdruck der Judenfeindlichkeit beider Rapper sind, ist fraglich. Dass die Wortwahl völlig überzogen und geschmacklos ist, hingegen nicht. Denn die Zeile zieht den Holocaust ins Lächerliche, lässt das Grauen des Völkermords banal erscheinen. Diese Kritik musste sich in den vergangenen Tagen auch Somuncu wegen seiner geplanten Inszenierung anhören. Zu Recht?

Die Vorwürfe seien komplett „oberflächlich“ erwiderte Somuncu. Das Stück sei keineswegs antisemitisch oder nur auf Provokation aus. Es gehe vielmehr darum „sich nicht zum Opfer machen zu lassen“ sondern zu antworten – „offensiv und direkt ins Gesicht unserer politischen Gegner“. Feuer mit Feuer bekämpfen und immer feste druff. Dabei wäre ein Feuerlöscher dieser Tage deutlich nützlicher. Denn an Eskalation und Provokation mangelt es nicht. Natürlich muss die Kunst dahin gehen, wo es weh tut, mit Tabus spielen und sie gelegentlich brechen. Der Holocaust ist davon nicht ausgenommen. Theodor W. Adornos Diktum, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, wurde zum Glück schon vor langer Zeit über Bord geworfen. Gerade die Kunst eröffnet Räume, um das Unbeschreibliche und Unvorstellbare zu behandeln. Und ist es nicht die Kunst, die die Traumabewältigung vorantreibt? Und machen nicht gerade eiserne Tabus den Tabubruch so reizvoll? Somuncus Intention ist sicherlich so zu verstehen. Ihm Antisemitismus oder reine Provokationslust anzukreiden, ist zu simpel. Das gilt aber auch für seine Verteidigung.

Der Hakenkreuz-Stunt soll zeigen, wie leicht sich Menschen verführen lassen. Wer ist bereit, für eine Gratiskarte mit Nazibinde im Theater zu sitzen? Ja, interessante Frage, aber noch einmal: Muss das sein? Kunst ist evolutionär, sie entwickelt sich aus dem Bestehenden heraus. Wer sich eines Tabus bedient, schwächt es mit jedem Male ab und setzt neue Maßstäbe für den zukünftigen Umgang damit. Dieser Prozess wird oft gleichgesetzt mit „künstlerischer Freiheit“. Unter deren Deckmantel lässt sich einiges rechtfertigen.

Als 2016 Identitäre eine Theatervorstellung des Stückes „Die Schutzbefohlenen“ in Wien stürmten, „Multikulti tötet“ skandierten und Zuschauer mit Kunstblut beschmissen, nannten sie es anschließend eine „ästhetische Intervention“. Der Verkauf von Mini-Galgen mit der Aufschrift „Reserviert für Merkel“ wurde zuletzt nicht verboten, weil die Todesdrohungen für die Staatsanwaltschaft einen „symbolischen Charakter“ hatten. Die künstlerische Freiheit ist eben ein schmaler Grat. Ob Hakenkreuze in ein deutsches Theater gehören, sollte aber keine Frage der Semantik sein, sondern des guten Geschmacks. Man kann Tabus auch mal Tabus sein lassen. Gerade heute.

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