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Die vokalen Massen. Über 180 Musiker wirken an diesem Abend mit. Links gibt Sängerin Bettina Ranch die durch die Oktaven orgelnde Armida.

© Konscha Schostak

Sing-Akademie: Der Kopenhagen-Coup

Die Sing-Akademie feiert die vergessenen dänischen Komponisten Niels Wilhelm Gade und Rued Langgaard. Ein Konzert jenseits des Gewohnten.

Was für ein spannender Abend. Und ein mutiger noch dazu. Kai-Uwe Jirka und Christian Filips, die beiden künstlerischen Köpfe der Sing-Akademie zu Berlin, setzen nicht nur zwei ziemlich vergessene dänische Komponisten aufs Programm, sie verschränken Niels Wilhelm Gades Oratorium „Die Kreuzfahrer“ von 1866 und Rued Langgaards „Sphärenmusik“ von 1916 auch noch ineinander, als kontrastreiche Klangcollage. Und die Sache funktioniert: Nach pausenlosen 90 Minuten verlässt das Publikum den UdK-Konzertsaal an der Hardenbergstraße mit dem Hochgefühl, ein Konzert jenseits des Gewohnten erlebt zu haben.

Niels Wilhelm Gade, 1817 in Kopenhagen zur Welt gekommen und in Leipzig ausgebildet, war zu Lebzeiten ein Promi, weltweit wurde zwischen 1850 und 1890 keine Sinfonie häufiger aufgeführt als seine Vierte. Ganz anders Rued Langgaard: 1893 geboren, drei Jahre nach Gades Tod, sah er sich selber als dessen legitimer Nachfolger an, blieb aber Zeit seines Lebens ein Unverstandener, der einerseits hochpathetische Klanglyrik produzierte und gleichzeitig bereits mit all jenen Kompositionstechniken experimentierte, für die Avantgardisten wie Stockhausen und Ligeti erst Jahrzehnte später berühmt-berüchtigt wurden.

Die vokalen Massen sind der Star des Abends

Als Vorspiel zum großen Dänen-Spektakel präsentiert Kai-Uwe Jirka am Samstag Langgaards „Res absurda“, einen Zweiminüter, der wie das Finale einer frühen Richard-Strauss-Oper klingt und beliebig oft wiederholt werden darf, bei anziehendem Tempo: 180 Mitwirkende – neben dem Haupt- und dem Mädchenchor der Sing-Akademie auch die Herren des Staats- und Domchores (den der Dirigent ebenfalls leitet) und die Kammersymphonie Berlin – müssen gewissermaßen auf einen fahrenden Zug aufspringen und werden dank Jirkas umsichtiger Führung nicht aus der Kurve getragen. Überhaupt sind die vokalen Massen der Star des Abends. Bestens vorbereitet, wechseln sie stilistisch sicher zwischen dem romantischen Klassizismus Gades und Langgaards Jenseits-Tönen.

An Torquato Tassos altbekanntes Epos lehnt sich Gade an, seine Kreuzritter sind forsche Franken, musikalisch wird viel marschiert, „mit heil’gem Sinn zum heil’gen Ziel“. Nikolay Borchev gibt mit seinem Prachtbariton den katholischen Kriegstreiber, Tenor Patrick Vogel verfällt als Rinaldo fast den Verlockungen der bedrohlich durch die Oktaven orgelnden Armida von Bettina Ranch, wird aber im letzten Moment von seinen Mannen auf den Tugendpfad zurückgeführt.

Zeitgeistmusik und Weltallklänge

Eine erbauliche Festlichkeit ist hier zu erleben, der melodisch eingängige Soundtrack zur Mittelalterbegeisterung der Epoche. Doch so, wie die architektonische Neogotik heute belächelt wird, erklärt sich auch Gades Verschwinden aus den Konzertsälen. Er war eine Figur des Übergangs, Wagners Partituren sind psychologisch tiefgründiger und erotisch raffinierter, die von Brahms handwerklich virtuoser gearbeitet.

Um so überzeugender deshalb der dramaturgische Kniff, in Gades Zeitgeistmusik mehrfach Langgaards verrückte Weltallklänge einbrechen zu lassen, zumal mit unterstützender Lichtregie, bei der die Künstler plötzlich im Schatten stehen, während die Akustiksegel an der Decke farbig erglühen. Mitten im Ersten Weltkrieg ist die „Sphärenmusik“ entstanden, der Komponist lässt sie zwittrig enden. Die tonale Kitsch-Apotheose des Chores wird zum Unhappy-End von einem krassen Dissonanzencluster des Orchesters ausgelöscht.

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