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Irrungen und Wirrungen. Luca Salsi als Simon Boccanegra.

© dpa/Barbara Gindl

"Simon Boccanegra" in Salzburg: Make Genua great again

Andreas Kriegenburgs Inszenierung der Verdi-Oper "Simon Boccanegra" lässt das Salzburger Publikum ratlos zurück. Überzeugen kann vor allem Valery Gergiev.

Will man ein Festival rein an der Starpower messen, hatte Salzburg dieses Jahr deutlich mehr Glück als Bayreuth. Erst streicht Anna Netrebko aus gesundheitlichen Gründen ein weiteres mal ihr Debüt auf dem Grünen Hügel, während sie an der Salzach immerhin eine triumphale konzertante „Adriana Lecouvreur“ gesungen hat. Dann sagt Valery Gergiev sein „Tannhäuser“-Dirigat am 13. August ab, und natürlich ist die Frage groß: Kommt er nach Salzburg?

Er kommt, und vielleicht liegt es auch an seinem Trauerfall im engsten Familienkreis, dass er bei der Premiere von Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ mit den Wiener Philharmonikern im Großen Festspielhaus einen Klang von existenzieller Dichte und Tiefe schafft. Einen Klang, der wie ein kontrolliertes Feuer wirkt, aber dennoch durchdrungen ist von Transparenz und Agilität. Der trotz der immer etwas fahrigen Gestik Gergievs punktgenau kommt und in einem Wimpernschlag seinen Charakter ändert. Etwa während der dramatischen Intensität der Wiedererkennungsszene von Boccanegra und seiner Tochter Maria, die sofort in raschen, kleinteilige Figurationen der Partitur übergeht.

Vor allem Dirigent, Orchestermusiker und Sänger retten diesen Abend. Und die Musik selbst, natürlich. Anzuzweifeln ist, ob jemand diese Oper heute noch aufführen würden, stünde nicht der Name „Verdi“ drauf. So wie im Stück ein Fluch eine gewisse Rolle spielt, lag auch auf „Boccanegra“ selbst kein Segen. Schon bei der Uraufführung 1857 im Teatro La Fenice in Venedig nicht, obwohl das Libretto von Francesco Maria Piave stammt (nach einem Schauspiel von Antonio García Gutíerrez). Offenbar war dem Publikum – das allerdings sonst mit noch viel länger zurückliegenden Mythen im Musiktheater kein Problem hat –  bereits damals die Handlung zu fern, zu verschachtelt, vor allem der Zeitsprung von 25 (!) Jahren zwischen Prolog und erstem Akt erweist sich bis heute als unlösbares Problem.

Verdis wirre Libretti sind legendär

In der Republik Genua des 14. Jahrhunderts – dem großen Konkurrenten Venedigs auf der Westseite des italienischen Stiefels – herrscht Bürgerkrieg zwischen Plebejern und Patriziern, Simon Boccanegra ist eigentlich ein gewöhnlicher Korsar, wird aber zum Dogen gewählt. Im gleichen Augenblick stirbt seine Geliebte Maria, weil ihr Vater, sein Erzfeind Fiesco, sie gefangen hält, um eine Heirat zu verhindern. Auch die gemeinsame Tochter gleichen Namens verliert er, sie verschwindet und taucht 25 Jahre später unter als „Amelia Grimaldi“ wieder auf. Beim Versuch Boccanegras, der immer noch Doge ist, sie mit seinem Minister – dem intriganten Paolo, der ihm einst zur Macht verholfen hat – zu verheiraten, entdecken beide, dass sie Vater und Tochter sind. Maria (alias Amelia) liebt aber den Edelmann Gabriele Adorno, der nach einigen weiteren Wirrungen – unter anderem vergiftet Paolo seinen Herrn Boccanegra, der sich im Tod mit Fiesco, dem Großvater Marias, versöhnt – schließlich neuer Doge wird. Alles klar?

Verdis wirre Libretti sind legendär, aber – wie im Fall des „Troubadour“ – von genialisch-süffigen melodiösen Einfällen gestützt. Die großen melodischen Bögen fehlen hier, trotzdem ist die Partitur von „Simon Boccanegra“ ein Wunderwerk an Kolorit und musikalischer Genauigkeit. Verdi hat sie nach fast 25 (!) Jahren, nochmal überarbeitet, dieses Mal mit Arrigo Boito als Librettist, und die zweite Fassung, die auch in Salzburg gespielt wird, 1881 an der Mailänder Scala präsentiert, mit größerem Erfolg. Wobei dem reifen Verdi, der zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre nichts mehr geschrieben hat, wohl bewusst war, dass auch seine Funktion als nationales Denkmal, die ihm inzwischen zugewachsen war, bei der Anerkennung eine Rolle gespielt haben. Immerhin, „Simon Boccanegra“ wurde so zum Auslöser fürs Alterswerk, für „Otello“ und „Falstaff“.

André Heyboer holt das Beste aus seiner Rolle des Paolo Albiani heraus.
André Heyboer holt das Beste aus seiner Rolle des Paolo Albiani heraus.

© Barbara Gindl/APA/dpa

Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Bühnenbildner Harald B. Thor wuchten gerne turmhohe, reich gegliederte Bauten auf die Bretter, in Berlin etwa in „Otello“ an der Deutschen Oper, vor zwei Jahren ebenfalls in Salzburg in „Lady Macbeth von Mzensk“, zuletzt an der Berliner Staatsoper in „Babylon“. Dieses Mal suchen sie ihr Heil in zwar immer noch bühnenfüllender, aber deutlich nüchterner Architektur, die genau so von Zaha Hadid oder David Chipperfield stammen könnte. Glatte, irgendwie teuer aussehende, aber schmucklose Betonwände, dazu Säulen, die direkt von der Berliner James-Simon-Galerie importiert zu sein scheinen: Kriegenburg sucht das blendende Weiß, die totale Neutralität – damit sich die verschlungene Geschichte vor diesem Hintergrund, ohne Ablenkung, selbst erzählen kann. Ein grünes Bambuswäldchen in der Ecke durchbricht die Strenge. Hinweis darauf, dass immer ein Rest von Urwüchsigem, Unkontrollierbarem bleibt?

Eine hoffnungslos traditionelle Rolle für Marina Rebeka

Und die Sänger – es gibt in dieser fast reinen Männerveranstaltung, vom fantastischen Chor (Ernst Raffelsberger) abgesehen, nur eine Frau – nutzen das leere Forum, dass sich ihnen bietet. René Pape als Fiesco ist, immer noch und immer wieder, sensationell gut: Dieser Bass sorgt für Herzklopfen, geht durch Mark und Bein, ist dabei anschmiegsam, wendig, anpassungsfähig. Luca Salsi in der Titelrolle weist leichte Schwächen auf, singt aber generell mit ansprechendem Bariton. Leidenschaft und Erotik kommet mit dem schlanken, feurigen, lyrischen Tenor von Charles Castronovo ins Spiel, André Heyboer holt das Mögliche aus seiner kleinen Rolle des Paolo heraus, lässt den viel größeren, ja größten Fiesling der Operngeschichte durchschimmern, der sich später noch aus dieser Figur entwickeln sollte: Jago.

Marina Rebeka als Amelia Grimaldi und Charles Castronovo als Gabriele Adorno.
Marina Rebeka als Amelia Grimaldi und Charles Castronovo als Gabriele Adorno.

© Barbara Gindl/APA/dpa

Marina Rebeka schlägt sich wacker mit manchmal etwas schrillem Sopran in der einzigen Frauenrolle der Maria/Amelia, zeichnet sie als selbstbewusste, aufrecht für ihr Leben eintretende Kämpferin. Und trotzdem: wie hoffnungslos traditionell ist diese Rolle! Kriegenburg unterstreicht das noch mit wirklich sehr konventioneller Personenführung – warum dürfen sich Vater und Tochter nicht mal beim Wiedererkennen für einen Moment so richtig herzhaft in die Arme fallen, auch wenn sich so natürlich schlecht singen lässt? Umso greller strahlt der Stern von Eurydike in Offenbachs Ur-Operette „Orpheus in der Unterwelt“, die Barrie Kosky in Salzburg am Vortag präsentiert hat, die fast im gleichen Jahr (1858) wie „Simon Boccanegra“ entstand und eine radikal anderes Frauenbild präsentiert.

Jubel für die Sänger und den Dirigenten

Völlig neutral will Andreas Kriegenburg diese Geschichte übrigens nicht erzählen. Für ihn wiederholen sich hier die immergleichen Muster von Rechtspopulismus, bis heute. Das Jahr 2019 wird durch Smartphones in die Inszenierung hineingeholt. Alle tippen auf ihnen herum, mit gesenktem Kopf,  Twitternachrichten werden groß eingeblendet: „Make Genua great again“. Matteo Salvini ist wohl auch gemeint, und wer denkt nicht an Hans-Christian Strache, wenn im Twitterhagel kurz die Message aufblitzt: „Ich würde mein Vaterland verkaufen für die Macht“? Das geht alles in Ordnung, liegt wohl auch nahe – wirklich originell ist es nicht.

Kirill Serebrennikov hat schon 2016 an der Komischen Oper aus Rossinis „Barbier von Sevilla“ eine Smartphone-Oper gemacht. Aber Kriegenburg führt es nicht konsequent durch, die Idee verplätschert, irgendwann zückt eben niemand mehr sein Handy. Darüber hinaus geht das Konzept weitgehender Zurückhaltung und Neutralität nicht auf – weil „Simon Boccanegra“ sich eben nicht von alleine erzählt, weil dadurch die Längen und Schwächen der Geschichte nur noch deutlich hervortreten. Weil diese Oper eben kein Geniestreich wie „Rigoletto“ ist, wo fast im Stil von Georges Simenon in kürzester Zeit, mit knappsten Andeutungen, die dramatischsten, grundstürzendsten Geschehnisse erzählt werden. So löst die Regie auch keine großen Emotionen aus, das Team bekommt ratlosen Applaus, der überbordende Jubel gehört, zu Recht, den Sängern und dem Mann am Pult.

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