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Die Lümmel von der Walhall-Lounge. Der Waldvogel (Alexandra Steiner), Siegfried (Andreas Schager), Mime (Arnold Bezuyen) und der noch stumme Hagen (Branko Buchberger).

© Bayreuther Festsspiele/Enrico Nawrath

"Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen: Der Drache liegt im Pflegebett

Auch im "Siegfried", Teil 3 des neuen Bayreuther "Rings", setzt Regisseur Valentin Schwarz seine Wagner-Entzauberung fort, zum Unmut des Publikums.

Tja, da hatte Wotan am Ende der „Walküre“ buchstäblich seinen Hut genommen, aber nun ist er doch wieder der Boss in Walhall. Kommt mit Bodyguards in Mimes Schmiede, die sich als umfunktionierte Hausmeister-Hunding-Hütte erweist. Auch Drachenhöhle und Brünnhildes Feuerfelsen sind nichts weiter als Räumlichkeiten der Götterburg, dessen Atrium mit Sofa, Hausbar und Treppenaufgängen einem inzwischen sattsam vertraut ist. Die Wotan-Sippe, es gibt kein Entkommen.

Warum nur wurde die Abdankung des Göttervaters vorher so eindrücklich ins Bild gesetzt, wenn es gar nicht so gemeint war? Ein neues Verwirrspiel in Valentin Schwarz’ Bayreuther „Ring" oder bloß eine weitere dramaturgische Inkonsequenz?

Und warum, rätselt man in Sachen Sänger-Qualität, ist für den Grünen Hügel als die Wagner-Spielstätte schlechthin offenbar kein besserer Wotan zu finden als Tomasz Konwieczny? Es geht ihm gottlob wieder gut nach seinem Sesselsturz in der „Walküre“, aber im „Siegfried“ kommt er nicht über die Rampe. Singt wie hinter vorgehaltener Hand, näselnd, unverständlich.

Der Körperspannung eines Olafur Sigurdarson (Alberich) oder dem kecken, nie in die plumpe Karikatur kippenden Buffo-Ton von Arnold Bezuyen (Mime) setzt er nur die immergleiche Jovialität entgegen.

Der Halbstarke Siegfried kommt derweil nicht mit Bär, sondern betrunken in die Schmiede, randaliert zwischen Kasperletheater, Kinderpuppen-Freunden, Aquarium und Mikrowelle herum. Der pädagogisch recht engagierte Mime (auch wenn er mit Krücke und Treppenlift Gebrechlichkeit simuliert) wedelt zu Siegfrieds 18. Geburtstag mit Pornofotos herum, der Junge ist ja jetzt groß.

Andreas Schager wird vom Publikum gefeiert (und die Regie mit immer lauteren Buhs bedacht), sein Ausdrucksspektrum als Siegfried hält sich aber ebenfalls in Grenzen. Nassforsche Diktion, leicht gestemmte, leicht scharfe Höhen, auch das immergleich. Ob er sich nun mit Mime zofft, das Nothung-Schwert schmiedet – um es dann aus Mimes Krücke zu ziehen und die Kinderpuppen zu köpfen – oder ob er später Brünnhilde anhimmelt.

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Reden wir über Walhall. Domestiken und domestizierte Natur, das ist des Machtzentrums Kern. Überbaute Felsen, in Vitrinen gesperrte Flora, ein künstliches Kaminfeuer, vor dem sich die im „Rh<SB190,65,140>eingold“-Vorspann zu Zwillingen erklärten Oberwelt- und Unterwelt-Paten Wotan und Alberich fläzen.

Fafner wiederum, der Drache, der die begehrten Schätze hortet, ist ein siecher Ober-Patriarch, zu dessen Pflegeteam der böse Hagen sowie das Waldvögelein gehören (Alexandra Steiner mit flattrig-nervösem Sopran). Siegfried muss dem Drachen dann auch kein Schwert ins Herz rammen, sondern nur den Rollator wegziehen, und Fafner (Wilhelm Schwinghammer) fällt vor Schreck tot um. Nachdem Siegfried, dieser Lümmel, auf seinem selbstgeschnitzten Rohr erst besonders schrill oboen-gequietscht und -geplärrt hatte - mit der Natur ist halt auch jeder Naturton perdu -, flirtet erstmal mit der hübschen Pflegerin herum.

Hohes Paar, bald auch Gangsterbande: Andreas Schlager als Siegfried (l) und Daniela Köhler als Brünnhilde, im Hintergrund Igor Schwab als Grane.
Hohes Paar, bald auch Gangsterbande: Andreas Schlager als Siegfried (l) und Daniela Köhler als Brünnhilde, im Hintergrund Igor Schwab als Grane.

© dpa/Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Siegfried und Hagen (in stummer Rolle), noch zwei brothers in crime. Die Basecap des im „Rheingold“ entführten Kindes taucht wieder auf: Es war offenbar Hagen – der ja eigentlich erst in der „Götterdämmerung“ sein Unwesen treibt – , der sich am Walhall-Pool lümmelte. Immerhin, ein Familienserien-Rätsel ist damit gelöst.

Nun meucheln die beiden gemeinsam Mime, und selbst bei Brünnhildes Erwachen im dritten Aufzug trollt Hagen sich nur dann, als es heftig wird zwischen den beiden.

Valentin Schwarz mag Alter Egos, Doppelgänger, Paarungen, Seelenverwandte, ob nun Brünnhilde mit ihrem Gefährten anstelle des Pferds Grane oder Wotan und Urmutter Erda (wieder besticht Okka von der Dameraus dunkelsamtiger Alt). Meist hält sich weiteres Personal im Hintergrund auf, Aufpasser, Neider, Beobachter. Clan-Mitglied sein bedeutet, du bist nie allein.

Das Orchester unter Cornelius Meister sorgt für Momente der Konzentration

Nichts gegen kluge Eingriffe ins Original. Die zusätzliche Bevölkerung der Bühne bringt allerdings vor allem Beliebigkeit mit sich. Ständig wird Ablenkung geboten, werden neue Requisiten und alberne Regieeinfälle aufgefahren. Warum bitte wirft Siegfried ständig mit Asia-Nudeln aus der Pappbox um sich? Hier Richard Wagners dicht gewebter, schlüssig mutierender Klangredefluss, dort eine unschlüssige, zerfasernde Personenführung.

Das ist auch deshalb schade, weil Einspringer-Dirigent Cornelius Meister und das Festspielorchester sich erneut steigern. Die Zwischenspiele nehmen sie meist sportlich, mit klaren Akzenten und Konturen, und an Mimes Esse sprühen nicht nur sichtbare, sondern auch hörbar kräftige Funken. Spätestens die duftigen Geigen-Unisoni und Bläsersoli vor dem großen Liebesduett sorgen zudem für jene innere Spannung und Konzentration, die im Szenischen fehlen.

Brünnhilde, nach 30 Jahren Schönheitsschlaf, erscheint frisch geliftet

Auch bei Brünnhilde fehlt sie, obwohl Schwarz die Widersprüchlichkeit der Figur betont. Der 30-jährige Schlaf der Wotans-Tochter, stellt sich heraus, war ein Schönheitsschlaf. Wotan-Enkel Siegfried wickelt seiner Tante die Bandagen vom Gesicht, blond und bezaubernd steht die Geliftete vor ihm. Daniela Köhlers mal schimmernder, mal strahlender Sopran überzeugt gesanglich mehr als Iréne Theorin in der „Walküre“, ihr Vibrato weiß sie kontrollierter einzusetzen. Andererseits ist da neben der auf die liebende Frau reduzierten Brünnhilde auch noch die Kriegerin, die zu „Leuchtende Liebe, lachender Tod“ ihr altes Cowgirl-Outfit überstreift. Eine Spannung, die Schwarz leider nur über die Accessoires erzählt, und über einen kurzen burschikosen Hüftschwenker, als sie ihren Cowboy-Hut wieder aufsetzt. Psychologie? Erübrigt sich, wenn die über Generationen konstante Verderbtheit längst feststeht. Die Zukunft gehört nur dem nächsten Gangsterpaar.

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