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Der Siegerentwurf. Dorte Mandrup Arkitekter A/S, Kopenhagen verleihen der Portalruine des einstigen Anhalter Bahnhofs viel neuen Schwung.

©  Stiftung Exilmuseum Berlin

Siegerentwurf für das Exilmuseum Berlin: Ein Ort auch der Gegenwart

Das künftige Museum des Exils am Askanischen Platz in Berlin soll mit dem Entwurf der dänischen Architektin Dorte Mandrup im Doppelsinn die Kurve kriegen.

Eine imposante Kurve aus ziegelsteinverkleidetem und gläsern durchbrochenem Beton soll mit ihrem baulichen Schwung künftig einen der geschichtsträchtigsten Plätze Berlins neu markieren. Gestern wurden die drei Siegerentwürfe des Architekturwettbewerbs für das am Askanischen Platz geplante Exilmuseum Berlin vorgestellt. Und die zehnköpfige Jury unterm Vorsitz der aus Island stammenden, in Stuttgart arbeitenden Architektin Jórunn Ragnarsdóttir hat mit der Entscheidung für die dänische Architektin Dorte Mandrup und ihr Kopenhagener Büro durchaus für eine Überraschung gesorgt.

Bisher steht am Askanischen Platz nur die Backsteinruine jenes Portals, das vor 1945 der Eingang zum Anhalter Bahnhof war. Der Bahnhof glich als riesiger steinerner und gusseiserner Hallenbau aus dem späten 19. Jahrhundert einer Kathedrale der Neuzeit. Ab 1933 sind viele Prominente (wie Bert Brecht) und zehntausende weniger oder gar nicht mehr bekannte Menschen von dort ins Exil ausgereist. In ein neues Leben oder auch in den Tod. Ab 1942 begannen vom Gleis 1 auch die Deportationszüge in die Konzentrationslager zu rollen. Bis zur Zerstörung.

Nach 1945, nach 1989 hat Deutschland, hat Berlin etliche Erinnerungsstätten für die Gräuel der NS-Zeit geschaffen. Doch erst vor neun Jahren hat Herta Müller, die Literaturnobelpreisträgerin, in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben: „Nirgends in diesem Land gibt es einen Ort, an dem man den Inhalt des Wortes Exil an einzelnen Schicksalen entlang darstellen kann. Das Risiko der Flucht, das verstörte Leben im Exil, Fremdheit, Angst und Heimweh.“

Christoph Stölzl, Joachim Gauck und Herta Müller sind Unterstützer des Exilmuseums

Diesen Gedanken nahm Bernd Schultz, der Berliner Kunsthändler und Gründer der Villa Grisebach, dann am entschiedensten auf. Mit Gleichgesinnten initiierte er die Stiftung Exilmuseum Berlin, brachte rund sechs Millionen Euro aus dem Verkauf eines Teils seiner eigenen Kunstsammlung als Kapital ein und engagierte ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rund um den Gründungsdirektor eines künftigen Museums. Der heißt Christoph Stölzl, einst erster Chef des Deutschen Historischen Museums, Berliner Kultursenator und heute im Hauptberuf Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar.

Stölzl sprüht und glüht für das bis 2025 zu eröffnende Museum und preist es bei der Vorstellung der Entwürfe als ein „grandioses Theater“ der Zeitgeschichte. Auch Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, neben Herta Müller Schirmherr des Exilmuseums, zeigt sich bei der Präsentation in der „Station Berlin“ nahe dem Gleisdreieck „begeistert von dem bürgerschaftlichen Engagement“, das sonst in der Gesellschaft, zumal in Berlin, oft fehlt und das es brauche, „wenn der Staat nicht oder noch nicht selbst als Unterstützer tätig wird“. So aber könne „aus einer Idee ein besonderer Ort“ werden.

Der 2. Preis. Diller Scofidio + Renfro New York ziehen Glaswände vor ihre auf die Ruine anspielende Backsteinarchitektur und wollen dahinter auch in den Untergrund graben.
Der 2. Preis. Diller Scofidio + Renfro New York ziehen Glaswände vor ihre auf die Ruine anspielende Backsteinarchitektur und wollen dahinter auch in den Untergrund graben.

© Stiftung Exilmuseum Berlin

Nach den Plänen des Siegerentwurfs der 59-jährigen Dorte Mandrup würde das Exilmuseum als tatsächlich theatrale Halbrundung sich wohl knapp über und hinter der Portalruine erheben, in mehr als fünfzig Meter Breite. In der Tiefe füllt es nicht ganz den bisherigen Schotterplatz hinter der Ruine; und der sich dort in einer Rasensenke anschließende Fußballplatz, den hier in Kreuzberg an der Grenze zu Mitte unter anderem Kinder aus heutigen Migranten- und Exilantenfamilien bespielen, bleibt erhalten.

Man würde von den offenen Seiten oder auch durch das einstige Portal (in dem sich aktuell ein Obdachlosenlager befindet) auf einen gepflasterten Zwischenplatz treten. Dahinter öffnet sich die drei Stockwerk hohe Eingangshalle als eine Art modernes Gewölbe für den Ticketbereich, Wechselausstellungen, Veranstaltungen und eine Cafeteria.

Ein Backsteinbau mit geschwungener Fassade

Ab der Höhe des ersten von zwei Obergeschossen bilden zwei Bänder aus waagrecht gesetzten gelbbraunen Backsteinen, die Material und Farbton der Portalruine aufnehmen, die geschwungene Fassade. Zur Gliederung und des Lichteinfalls wegen läuft zwischen den waagrechten Bändern eine größer dimensionierte Mittelzone, die von Ferne einem Stein-Glas-Raster ähnelt.

Erst in der Nahaufnahme erweisen sich die Fassungen der schmalen Fensteröffnungen als im Kontrast senkrecht und teilweise auch schief oder schräg platzierte backsteinerne „Lamellen“, deren Struktur auch an die scheinbare Unordnung der Steinstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals erinnert.

Abgesehen von einem Kellergeschoss öffnen sich erst in den beiden Obergeschossen jenseits der zentralen Halle die wesentlichen Räume für Ausstellungen und Archive. Bespielt werden soll das Museum auf rund 3500 Quadratmetern vor allem als Multimedia-Ort, an dem mit Fotos, Filmaufnahmen und Videos (darunter eigens produzierte Interviews mit überlebenden Exilanten) möglichst anschaulich auch für jüngere Besucher Lebenswege bekannter und vergessener Flüchtlinge wachgerufen werden sollen.

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Stölzl: „Es ist erstaunlich, auf welch wunderbare Weise man unter den Schicksalen von rund 500 000 aus Deutschland in alle Welt emigrierten Handwerkern und Intellektuellen, Künstler, Wissenschaftlern, Kaufleuten stößt. Es gibt eben nicht nur Thomas Mann und Albert Einstein, sondern auch die Mutter und Hausfrau, die in der Fremde noch zur Erfinderin und Unternehmerin wird.“

Schicksale von Emigranten - aus Deutschland in alle Welt

In der mit zum Gleisdreieck gehörenden restaurierten Halle der „Station Berlin“ wurden außer Mandrups Vorschlag nur noch die beiden nächstplatzierten Entwürfe des New Yorker Büros Diller Scofidio + Renfro sowie von Bruno Fioretti Marquez aus Berlin präsentiert. Erst ab Ende September sind in der Berliner Staatsbibliothek alle neun eingereichten Arbeiten zu sehen, so auch von SANAA aus Tokio (die jetzt lobend erwähnt wurden) oder von den Berliner Büros Sauerbruch Hutton und Staab Architekten.

Der 3. Preis. Das Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez schreibt den Namen des Museums groß auf die Fassade und baut die Ruine als Portal direkt in den Neubau ein.
Der 3. Preis. Das Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez schreibt den Namen des Museums groß auf die Fassade und baut die Ruine als Portal direkt in den Neubau ein.

© Stiftung Exilmuseum Berlin

Auffällig unter den ersten Drei erscheint nun der zweitplatzierte Entwurf aus New York. Denn Diller Scofido + Renfro, die dort zuletzt auch an der Erweiterung des MoMA beteiligt waren, gehen spektakulär in die Tiefe. Ihr mit vorgelagerten Glaswänden die etwas bunker-kastenhafte Architektur transparenter machendes Design bezieht den bislang kaum erforschten Untergrund des ehemaligen Bahnhofs mit ein und will im Eingangsbereich hinter dem Portal auch eine archäologische Schau in und unters Fundament der Geschichte des Orts eröffnen. Der Gedanke wirkt so gut, dass er bei der Weiterentwicklung des Siegerentwurfs womöglich mit aufgegriffen werden sollte.

Einzig der Entwurf des argentinisch-italienisch-berlinischen Büros Bruno Fioretti Marquez fügt die Portalruine unmittelbar in die – bei allen backsteingrundierte – Fassade des Neubaus mit ein. Das ist mit dem Denkmalschutz wohl vereinbar. Doch Dorte Mandrups Selbstbeschreibung des zugleich verbindenden wie Distanz wahrenden Siegerentwurfs betont eher den Sprung in der Geschichte, sieht „die Leere als Zeichen für das, was verloren ging“.

Nun freilich muss die private Stiftung noch das fehlende Geld für das gewiss mehr als die geplanten 30 Millionen Euro kostende Museum einwerben. Da wird sich vor allem der Bund bei Bau und späteren Betrieb kaum entziehen können. Kulturstaatsmininsterin Monika Grütters begrüßt das Projekt und weiß, dass sie angesichts des auf der anderen Straßenseite schräg gegenüber entstehenden, staatlich finanzierten „Zentrums für Flucht und Vertreibung“ künftig nicht abseits bleiben kann.

[Alle Entwürfe sind vom 29. 9.- 17. 10. in der Staatsbibliothek zu sehen.]

Herta Müller hat den Zusammenhang gestern in einer bewegenden Rede in Berlin benannt: „ Vertreibung aus Deutschland und Vertreibung nach Deutschland sind zwei Gegensätze, die zusammengehören.“ Denn zuerst war die Vertreibung aus Deutschland, daran soll das Exilmuseum ebenso erinnern wie an die Aktualität des Themas. Die Stifter erhoffen: ein „Museum der Gegenwart.“

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