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Franke und frei. G. Falkner.

© A. P. Englert

Kultur: Shannohie, wäy däa scho doddstäyd

Mundart und Mentalität: Gerhard Falkner untersucht in seinem Gedichtband „Kanne Blumma“ die Geheimnisse des Fränkischen

Von Gregor Dotzauer

Unter den Himmeln des Hochdeutschen ist das Fränkische ein Gebiet abgrundtiefer Sümpfe. Wer sich einmal darin verirrt hat, kommt nicht mehr so schnell heraus. Weil es Mundart und Mentalität zugleich ist, schleppen auch die, die es für immer hinter sich gelassen zu haben glauben, oft noch ein Stückchen fränkischen Morast mit sich herum. Genau genommen entwirft das Fränkische gegenüber der Standardsprache eine parallele Welt, die sich ihrerseits in viele parallele Unterwelten gliedert.

Seinem ebenso zupackenden wie brütenden Wesen nach teilt es sich mindestens in das Ober-, das Mittel- und das Unterfränkische auf, wobei schon der Weg ins Nachbardorf eine Ausdifferenzierung dieses so undifferenziert wirkenden Dialekts zutage fördern kann, die auch den Eingeborenen sofort zum Fremdling stempelt. Zwischen dem oberfränkischen Hof im hohen Norden und dem unterfränkischen Aschaffenburg im Süden, wo schon etwas Hessisches lauert, durchquert man die verschiedensten Galaxien - nicht nur, weil anfangs das Bier regiert und sediert, bevor der Wein rund um Würzburg hellere Lebensgeister weckt.

Jede Mundart hat etwas Unverblümtes. Das Fränkische aber besitzt eine Direktheit, die man nicht anders nennen kann als dodohl brudohl – total brutal. Härter sind auch nicht die Härtesten der verfeindeten Bayern drauf, obwohl sprachlich jeder stimmlose Plosiv unter den Konsonanten so aufgeweicht wird, dass aus dem nüchternen Fränkisch ein ordinäres Fränggisch wird und aus einem harmlosen Trottel ein hoffnungslos bescheuerter Droddl.

Um Letzteres richtig auszusprechen, muss man die Zunge ins gut gelockerte Maul legen und beim L lässig gegen die Zähne schieben. Es handelt sich, wie der Dichter Gerhard Falkner in einem Gespräch auf www.poetenladen.de erklärt, um „das von den Franken mit grausamer Wollust praktizierte und fast pornografisch als solches bezeichnete ex-labiale Waffel-L.“ Zu den besonderen Kennzeichen gehört außerdem das „unauslöschliche R“, das, wie der letztjährige Huchel-Preisträger weiß, „alle Franken aneinander verrät, selbst die Bestgetarntesten“.

Als Schriftsteller hat auch er sich bisher gut getarnt und geht nun doch mit einem zweisprachigen Gedichtband in die Offensive, der allein durch den Anspruch, die lautlichen Mittel des Dialekts mit den Möglichkeiten des zeitgenössischen Gedichts zu versöhnen, weit hinter sich lässt, was sonst in der Region auf Fränkisch geschrieben wird. „Kanne Blumma“ trägt die Mehrdeutigkeit schon im Titel. Die simple Übersetzung lautet „Keine Blumen“, aber auch die Kanne Blumen ist gemeint und natürlich Kurt Schwitters’ inständig umworbene Anna Blume.

Dadaistische Sprengmeisterei gehört eigentlich nicht zu Falkners an sinnbewahrenderen Traditionen der Moderne geschulter Poesie. Doch hier, in phonetisch verwirrenden Gefilden, kurz bevor Lyrik in reine Lautdichtung übergeht, gelten andere Gesetze. Falkner, der aus dem mittelfränkischen Schwabach stammt und, wenn er sich nicht in seiner zweiten Heimat Berlin aufhält, im oberpfälzischen Weigendorf unweit von Nürnberg wohnt, lebt hier ein Temperament aus, das die mundartlichen Experimente der Wiener Gruppe um H.C. Artmann in den fatalistisch verlangsamten und immer zum Jammern über die vanitas mundi aufgelegten fränkischen Kosmos transportiert.

„Ess woar graisly / I hobb goanedd hieschaua kenna / Drumm konnädä A ned soong / Woss gwehn iss, I hobb nämli / Waali nedd hieschaua hobb kenna / niggs gsehng / Wouhäri obber gwissd hobb, dassi / Nedd hieschaua konn, wenn, waali / Nedd hiegschaud hobb, niggs gsehn / Hobb kenna, wassi a nedd“. Für Eilige: „Es war grässlich / Ich konnte gar nicht hinschauen / Darum kann ich dir auch gar nicht sagen / Was passiert ist. Ich habe nämlich / Weil ich gar nicht hinschauen konnte / Nichts gesehen / Woher ich allerdings wusste, dass ich / nicht hinschauen kann, weil ich, wenn ich / nicht hingeschaut habe, ja nichts gesehen / Haben kann, das weiß ich auch nicht“. Kein Zweifel, dass das Original etwas anderes bedeutet als die Übersetzung. Das Fränkische verhält sich zum Hochdeutschen wie eine unbewusst arbeitende Sprachlogik zu deren gewaltsamer Offenlegung – ein Kampf zwischen Norm und Abweichung, der den Dialektsprecher nur unter seinesgleichen nicht völlig zum Affen macht.

Von daher lässt sich der humoristische Aspekt dieser verschlungenen Art des Denkens auch beim heißesten Bemühen nicht tilgen. Schriftsteller wie Fitzgerald Kusz oder Eberhard Wagner setzen denn auch stark auf kabarettistische Effekte – nicht zu vergessen der Sänger Günter Stössl, der mit seiner Anleitung „Nämberch english spoken“ schon Generationen von Touristen unter dem tosenden Gelächter von Einheimischen dazu gebracht hat, mit phonetischem Nonsense-Englisch Fränkisch zu sprechen.

Auch Falkner ist überwiegend lustig, aber eben auch existenziell zumute – bis hin zur Selbstverbrennung auf dem Nürnberger Plärrer in „ess kaladsion“ (Eskalation). Bei ihm marschieren Orest und Sulamith auf, Walther von der Vogelweides Mittelhochdeutsch wird mittelfränkisch umgetopft und Rilkes im Käfig herumtigernder „Panther“ – debandä – findet auch hier „hinndä dausnd schdanga kaine whelld“. Ist das überhaupt noch Fränkisch? Die Umschrift mutet oft türkisch oder chinesisch an, und was da mutwillig getrennt oder in Wörtern wie Allah (allein) oder Hobby (habe ich) über die Seiten hoppelt, ist letztlich eine Kunstsprache mit Ausreißern ins Oberpfälzische.

Diese hohe Kunst versteht sich indes auch aufs Fluchen. Schließlich besteht ein beträchtlicher Teil des fränkischen Vokabulars aus Schimpfwörtern. „Shannohie, wäy däa scho doddstäyd / wäy ä achäla, wendz blidzd / ä sua gschdell, su dahmischs / aldz obbsn hiegschissn häddn / allah scho dey bah, drimmär husn // und kann Ohsch drinn“. Aus reinem Anstand lassen wir das jetzt mal so stehen.

Gerhard Falkner: Kanne Blumma. Gedichte fränkisch – deutsch. Ars vivendi, Cadolzburg 2010. 200 Seiten, 17,90 €.

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