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Mark Waschke, Nina Kunzendorf, Thomas Bading, Moritz Gottwald und Jenny König verwandeln Shakespeares „Sturm“ in ein todkomisches Untergangsszenario.

© Gianmarco Bresadola/Schaubühne

„Shakespeare’s Last Play“ an der Schaubühne: Fünf Personen essen einen Autor

Sex und Mord und GPS: „Shakespeare’s Last Play“ an der Schaubühne ist eine grandiose Splatter-Schnitzeljagd, frei nach „Der Sturm“.

Es ist ein magischer Beginn, ein Gruß aus der Trickküche der Theatertechnik. Lautlos öffnet sich der Deckel einer riesigen weißen Muschel. Darunter kommt ein Strand zum Vorschein und ein Pool. Die Zuschauer in den ersten Reihe bekommen Regencapes. Nachher spritzt ein wenig Wasser und Kunstblut, aber alles halb so wild. Der wahre Schrecken sitzt im Kopf, in der Vorstellung, so wie das Theater die Welt darstellt, eine Welt für sich. Gespielt wird, wo sonst, im Globe Theatre der Schaubühne am Lehniner Platz. Thema des unterhaltsamen Abends: Flucht und Fantasie.

Wie war das noch im Original? Der Zauberer Prospero dankt ab. Er regelt seine Familienangelegenheiten, stellt die alte Ordnung wieder her und segelt in die Heimat zurück, um sich mit dem Gedanken an den Tod anzufreunden. Shakespeares vermutlich letztes Stück, „The Tempest“ (Der Sturm, 1611), ist ein Märchen, dunkel und schön. Man liest es üblicherweise als Selbstporträt des Theatergenies, als Parabel auf Kolonialmacht und Sklaverei oder auch als fröhlich-optimistisches Bühnenspektakel: Schließlich kündet Prosperos Tochter Miranda am Ende, glücklich verliebt, von einer „schönen neuen Welt“ (brave new world). Englands Macht schien damals unermesslich, neue Horizonte taten sich auf in Kunst und Wissenschaft.

Bush Moukarzel und Ben Kidd, das Regieteam von Dead Centre aus Dublin, zeigt einen „Sturm“ im Klimawandel. Nach „Chekhov’s First Play“ nun das Letzte von Shakespeare, diesmal mit Berliner Schauspielern; „Shakespeare’s Last Play“ bleibt im Repertoire der Schaubühne. Nur: Prospero ist schon mal fort. Und fast alle anderen auch haben in dieser ausgedünnten Version die seltsame Insel des Zauberers verlassen. Keine Spur von Caliban, dem Ureinwohner, und irgendwelchen Geistern. Da waren es also noch fünf versprengte Seelen – und eine Stimme aus dem Off. Hier spricht Bush Moukarzel, der Autor und Regisseur. Hier spricht ein genervter Dramatiker, der mal Shakespeare war und dem nicht mehr viel einfällt. Es ist die Stimme eines GPS, eines dramaturgischen Navi, er zeichnet auf dem großen Screen, dem Bühnen-Bild (von Chloe Lamford), den Weg vor. Zu „Sex“, zu „Mord“. Nichts Neues also. Auch die Elektronik ist müde.

Shakespeare verdrehen, damit Shakespeare herauskommt

Das Theater weiß nicht mehr weiter. Und das macht Spaß; bei Beckett liegt in der Verzweiflung ja der Grund zum Spiel. Die Akteure probieren eine Menge. Jenny König (Miranda) und Mark Waschke, der nach dem Schiffbruch angespülte Ferdinand, finden sich plötzlich in der Situation eines Liebespaares wieder. Sie müssen etwas miteinander anfangen. Grandios, wie Waschke im Handumdrehen vom Traumtyp zum Vergewaltiger mutiert, mit dem gleichen, immer schneller wiederholten Text des romantischen Verführers. Und Miranda lernt in kaum mehr als fünf Minuten, wie Männer sein können. Jenny König wehrt sich gegen den Text, gegen die Rolle und übernimmt nachher die Führung bei der Shakespeare-Splatter-Schnitzeljagd.

Hier wird Shakespeare verdreht, damit Shakespeare herauskommt. Thomas Bading hockt jammernd am Strand, gibt seinen König Alonso als old-school-Charakter, mit klassischen Reminiszenzen. Wenn sie gegen Schluss auf die Leiche des Barden stoßen, fällt ihm Hamlet ein, und man versteht, dass Monologe ein gutes Mittel gegen den Horror sind, wie das Pfeifen im Wald. Beim spillrigen, nervösen Moritz Gottwald fallen einem alle möglichen komischen Gestalten aus Shakespeares Komödien ein. Nina Kunzendorf – das Stück ist wirklich toll besetzt – bleibt lange ruhig, versonnen, sie scheint noch auf einen praktischen Ausweg zu hoffen. Das Quintett hat der Zufall zusammengebracht, es sind die letzten Menschen auf diesem Planeten, oder wenigstens die letzten Schauspieler, dazu verdammt, mit Shakespeare einander auf die Nerven zu gehen bis ans Ende aller Tage und Spielzeiten.

Die Rettung liegt im Grab. Sie stoßen auf einen Wasserkadaver, es ist nicht Ophelia, sondern ein alter Mann. Lange tot und unappetitlich. Miranda greift als Erste zu, sie ist am Verhungern, und bald futtern alle von den schleimigen, blutigen Leichenteilen, die die junge Frau abhackt. Es ist eklig, es ist komisch, und es hat, wenn man denn will, auch eine Philosophie, wenn schon der Plot nicht mehr funktioniert. Die Theaterleute (und die Zuschauer) ernähren sich auch vierhundert Jahre nach seinem Tod von Shakespeares Stücken. Gibt es nichts anderes?

Dort Lampedusa, hier die Schaubühne

Das GPS zeigt den Kurfürstendamm, die Schaubühne – einen sicheren Ort, auch wenn man sich plötzlich sehr klein und unbedeutend fühlt. Drinnen streiten sich die Schauspieler, an Shakespeare herumnagend, über den Sinn von all dem. Was machen wir hier? Was soll das alles? Sie sind jetzt Figuren des auch schon vor eine Weile verblichenen sizilianischen Theaterrevolutionärs Luigi Pirandello, und sie haben ihren Autor gefunden. Nur hilft ihnen das nicht. Sie essen seine Leiche auf, es gibt nichts Besseres.

Shakespeares Geografie ist bekanntlich sprunghaft und frei erfunden. Im „Sturm“ kentern die Reisegesellschaft auf dem Mittelmeer, auf dem Rückweg von Nordafrika nach Neapel. Die Schauspieler begreifen, dass dies die Route der Flüchtenden ist. Dort liegt Lampedusa. Hier ist die Schaubühne. Und dann stecken alle Fünfe, nach einem ausgiebigen und absurden Theaterkantinenstreit, den Kopf in den Sand. So einfach. Schauen wir halt weg. Was willste machen! Dass dieses Ende im Berliner Globe-Theatre nicht billig und nicht peinlich wirkt, ist die Kunst der Regisseure.

Übrigens setzen die Akteure die berühmte Leiche wieder mehr recht als schlecht zusammen, bevor sie nach Art des Vogel Strauß verschwinden. Kleiner Trost. Shakespeare und das Theater sind nicht totzukriegen. Auch wenn wir Kannibalen sind. Da wächst immer was nach.

wieder am heutigen 26. April sowie vom 22. bis 27. Mai

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