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„Serielle Formationen“ im Haus Huth: Wenn aus Monotonie Schönheit erwächst

Punktemaler, Pinselhiebe und rosa Kuhköpfe auf gelben Tapeten: Die Ausstellung „Serielle Formationen“ feiert mit einer bunten Mischung die Serialität in der Kunst.

Es ist komplizierter, als es aussieht: Fünf scharfkantige, weißlackierte Metallwürfel sind bei Daimler Contemporary Berlin aufgereiht. „Cubes with Hidden Cubes“ – der Titel von Sol LeWitts Skulptur besagt, dass in den hockergroßen Kuben kleinere stecken. Die großen Kuben stehen auf jeweils einer Bodenplatte, die mit Linien versehen ist. Die divergierende Zahl der Linien lässt auf die Menge der jeweils verborgenen Würfel schließen. Die sichtbare Anordnung wirkt clean wie eine Produktionsstrecke für spartanisches Möbeldesign. Doch wie – ordentlich? chaotisch? – es in den Kuben tatsächlich ausschaut, kann man nicht sehen.

In der Kunst ist das häufig so: Zwischen außen und innen, auch zwischen Gestalt und Idee, liegen oft Welten. Und wer hätte gedacht, dass der vermeintlich sterile Titel „Serielle Formationen. 1967/2017“ für eine derart bunt gemischte Ausstellung steht? Zumal das Gros der 85 Werke von 66 Künstlern aus den späten 60ern stammt. Aber Serialität ist eben kein Kunststil, sondern ein Verfahren, bei dem Künstler bienenfleißig identische oder ähnliche Elemente wiederholen. Die Einzelform geht in Strukturen und Rastern unter.

Von Monets Heuhaufen bis zum digitalen Sampling

Trotzdem ist die Keimzelle bestimmend; allein deshalb sehen die Werke ganz verschieden aus. Zu sehen sind obsessiv gemalte frühe Netzstrukturen der berühmten japanischen Punktemalerin Yayoi Kusama, ein aus Pinselhieben gefügtes Bild des Deutschen Raimund Girke, eine Gemüsekistenskulptur des Niederländers Jan Henderikse, ein Objektbild des Ostfriesen Rolf Glasmeier aus lauter Briefkastenschlitzen oder Andy Warhols gelbe Tapete, auf der zigmal derselbe rosa Kuhkopf prangt.

Seit es die Massenproduktion gibt, prägt das serielle Prinzip die Kultur. In der Malkunst hat es wahrscheinlich mit Claude Monet und seinen impressionistischen Variationen von Heuhaufen angefangen. Im Konstruktivismus, in der Konzeptkunst und der Minimal Art – die Kerngebiete der 1977 gegründeten Daimler Art Collection – häufen sich die seriellen Ansätze. Auch in der frühen Digital-Ära (Stichwort: Sampling) spielte die Serialität eine wichtige Rolle. Doch je komplexer die virtuellen Räume, desto weniger scheinen Künstler auf Wiederholungsmuster zurückzugreifen. So jedenfalls der Eindruck, wenn man auf die Großschauen dieses Kunstsommers blickt: Weder auf der Biennale in Venedig noch an den Documenta-Orten Athen und Kassel oder in Münster (Skulpturen Projekte) und Hannover („Made in Germany Drei“) ist ausgesprochen Serielles zu sehen.

Minimal Art als Zeitkritik aus der Innenperspektive

1967 kuratierten der Künstler Peter Roehr und der Galerist Paul Maenz die Gruppenschau „Serielle Formationen“ in der Studiengalerie der Universität Frankfurt. Konnte man der Pop Art eine affirmative Haltung zum Kommerz vorwerfen, sahen die Ausstellungsmacher vor allem in der Serienproduktion der Minimal Art die Chance zur Zeitkritik aus der Innenperspektive durch Imitation der Fließbandfertigung. Der Satz „Monotonie ist schön“ dürfte von Charlotte Posenenske und Peter Roehr kaum ironisch gemeint sein – so auch der Titel ihres 16-Millimeter-Films von 1968, der banale Aufnahmen aus einem fahrenden Autofenster aneinanderreiht.

Posenenske, Roehr und auch Thomas Bayrle repräsentierten die Frankfurter Künstlerszene in der historischen Ausstellung, die Renate Wiehager nun im Haus Huth reinszeniert und mit Werken aus der Unternehmenssammlung ergänzt hat. Die Leiterin der Daimler Art Collection gliedert das heterogene Feld in Gruppen, die an den Rändern verfließen. Zero-Mitglieder wie Adolf Luther und Heinz Mack, die Künstler des Nouveau Réalisme, von Pop und Op Art sowie US-Minimalisten und Konzeptualisten, sie alle unterwarfen sich zumindest zeitweise dem Gesetz der Serie.

Ein Dach aus neun Quadraten

Viele prägende Künstler der zweiten Jahrhunderthälfte scheinen zeitweilig Serienjunkies gewesen zu sein: Ihre Ablehnung der Berliner Mauer demonstrierten Christo und Jeanne-Claude 1962 mit einer Aktion, bei der sie eine Pariser Straße mit 89 Ölfässern blockierten. Ein Siebdruck zeigt eine mächtig erweiterte Version: „4,716 Tonneaux Metalliques“ (1967).

Franz Erhard Walther, der gerade mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet wurde, schuf 1963 die „49 Nesselplatten“, dazu Zeichnungen mit Vorschlägen zum Auslegen der Platten. Von Sol LeWitt, einer Zentralfigur der Conceptual Art, ist neben den „Hidden Cubes“ ein Modell der „First Modular Structure“ von 1965 zu sehen: Gleich lange schwarze Kanthölzer fügen sich zu einem Dach aus neun Quadraten, das auf einem Sockel aus zwei Kuben ruht. Paul Maenz zeigte die Kleinskulptur 1967 bei seinen „Seriellen Formationen“ und lieh sie nun für das Revival in Berlin aus.

In der extrem dichten, labyrinthischen Ausstellung kann man sich verirren, als krabbelte man durch das weitverzweigte System der Vierkant-Abluftrohre, die Charlotte Posenenske zu immer neuen seriellen Skulpturen fügte. Und sich staunend die Frage stellen: Wie konnte das Fließband, Inbegriff der Monotonie und Entfremdung, am Ende so viel Schönheit, Schillern und Intelligenz befördern?

Daimler Contemporary Berlin, Haus Huth, Alte Potsdamer Str. 5, bis 5. 11.; Mo bis So 11 – 18 Uhr

Jens Hinrichsen

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