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Jugendliche mit Rollkoffern - oft kommen sie zum Partymachen nach Berlin.

© Foto: Jens Kalaene/picture alliance / ZB

Serie Über-Gepäck (1): Das Rad nochmal erfinden

Endlich ist Reisen wieder möglich. Koffer, Taschen und Beutel werden gepackt. In unserer Kolumnen-Serie geht es um unsere liebsten Gepäckstücke. Diesmal: der Rollkoffer.

Rrrrrrrr, klack, rrrrrrr – rund um den Hauptbahnhof rattern wieder die Rollkoffer. Nicht nur vereinzelt sondern so, dass sie eine eigene Tonspur im Verkehrsgetümmel bilden.

Der Soundtrack der kleinen Plastikrollen auf dem Asphalt gehört zu den Dingen, deren pandemiebedingtes Verschwinden wahrscheinlich nur wenige bedauert haben – und die nun mit Milde betrachtet werden. Denn meist kündigt das Rattern ja noch deutlich mehr Lärm an. Es steht für den EasyJet-Set, das schnelle Partymachen enthemmter junger Leute, die Berlin als eine einzige große Vergnügnungszone sehen.

So habe ich das zumindest sehr lange wahrgenommen, weshalb für mich die Anschaffung eines Rollkoffers unmöglich erschien. Ich wollte nicht einmal in die Nähe des Verdachts geraten, zu dieser Sorte Touristin zu gehören. Schließlich sieht man nicht, dass ich hier wohne, wenn ich zum Bahnhof oder Flughafen unterwegs bin.

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Also schleppte ich meine blaue Sporttasche durch die Gegend und kramte für einige längere Reisen sogar nochmal den klobigen Trekking-Rucksack hervor, mit dem ich Anfang der neunziger Jahre unterwegs gewesen bin. Meine Schulter und mein Rücken fanden diese Rollkoffer-Scham albern, doch es dauerte noch etwa bis zur Mitte der zehner Jahre, bis ich sie schließlich überwunden habe.

Meine damalige Freundin, die schon lange zwei Exemplare in ihrem Besitz hat, lieh mir den kleineren für einen kurzen Trip. Ich sollte damit nur einige hundert Meter durch Köln rattern – und fand es plötzlich überhaupt nicht mehr peinlich, sondern vor allem ziemlich bequem. Bald schaffte ich mir selbst einen Koffer mit Rollen an. Er hat vier davon, nicht nur zwei. Das Ding neben mir zu schieben, statt es hinter mir zu ziehen, kam mir wie eine letzte Mini-Abgrenzung zum Party-Volk vor.

Rollkoffer sind nicht überall beliebt. In Neukölln konnte man etwa dieses Graffiti lesen.
Rollkoffer sind nicht überall beliebt. In Neukölln konnte man etwa dieses Graffiti lesen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Probleme mit der Optik und dem Image haben beim Rollkoffer übrigens Tradition: Nachdem Bernard Sadow, Vize-Präsident eines US-amerikanischen Kofferherstellers 1972 das erste Patent für einen Rollkoffer bekommen hatte, wollte das Geschäft mit seinem „Rolling Luggage“ nie so recht in Schwung kommen. Sein Vier-Rollen-Modell musste an einem Riemen gezogen werden, was vielen offenbar zu albern aussah.

Erst als der US-Pilot Robert Plath 1987 die Idee hatte, nur zwei Rollen unter einen Koffer zu schrauben und einen höhenverstellbaren Griff zu installieren, begann die Erfolgsgeschichte des Gepäckstücks. Plath nannte es Rollaboard, wofür er im Februar 1991 ein US-Patent erhielt. Der Pilot quittierte den Dienst und machte mit seiner neuen Firma TravelPro schon im ersten Jahr 1,5 Millionen Dollar Umsatz. 30 Jahre später existiert sie noch immer und hat ein riesige Kollektion von Koffern und Taschen im Angebot.

Ich besitze inzwischen sogar zwei Rollkoffer. Der große mit den gelben Ziernähten, die ihn auf jedem Gepäckband sofort als meinen ausweisen, ist derzeit ein bisschen beleidigt, dass er seit Ewigkeiten keinen Auslauf mehr hatte. Aber das kleine Zweirad-Modell durfte letztes Wochenende schon mal raus und hat richtig schön gerattert. Rrrrrrr, klack, rrrrrrr – Musik in meinen Ohren.

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