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Der Himmel über Kreuzberg.

© Norbert Thomma

Serie: Farben des Sommers (3): Lila Wolken

Im Sommer haben Wolkengucker Hochsaison. Ein Blick nach oben reckt den Körper und hebt das Gemüt. Manche Fans tauschen gar Bilder im Internet aus.

Die Farbe Lila mag ich nicht. Ein schöner Romantitel, ansonsten zu prunkvoll und katholisch, zu unentschlossen auch. Rot oder blau oder was denn nun? Ich liebe die kräftige Eindeutigkeit, keine halben Sachen.

Nur in einer Form hat die Farbe einen Zauber für mich: der flüchtigen. Ein lila Wolkenhimmel, darauf lohnt es sich zu warten, wie die Welt seit Marteria, Yasha & Miss Platnum weiß: „Wir bleiben wach, bis die Wolken wieder lila sind“, Sommerhit 2012. Sie bleiben es nicht lange.

Im Sommer haben wir Wolkengucker Hochsaison. Es wird später finster und früher hell, die Chancen auf malerische Himmelsformationen steigen, mal zart, dann wieder aufregend – Komödie, Drama, alles ist drin. Meine liebste Form des Freiluftkinos. Bei der anderen schlafe ich immer ein, die fängt zu spät an.

Wolkengucken geht zu jeder Tageszeit, ohne Eintrittskarte und ohne auf die Uhr zu schauen: Wann geht’s los? Das weiß man nie. Überraschung! Man muss nur öfter mal den Blick heben, weg von der Nachrichtenflut des Handys, dem Boden der Realität, das strafft und streckt den Körper und hebt ganz automatisch das Gemüt. Sicher kann man zum besseren Gucken aufs Dach oder einen Turm steigen, sich in die Wiese legen. Muss man aber nicht. Einfach kurz stehenbleiben und hochgucken, wenn sich plötzlich was Interessantes ins Bild schiebt, das reicht schon. Entschleunigt ganz phänomenal. Ein Augenblick des Müßiggangs im Alltag. Einer des Glücks.

Was sie kostbar macht, ist ihre Einmaligkeit

Und das mit dem Augenblick ist wörtlich zu verstehen. An einem irischen Sommermorgen, am Schreibtisch sitzend, schaue ich zu, wie der Wind die zarten Wesen vor sich her treibt, Federn gleich, mal fleddernd, mal sich ballend. Das hohe Altbaufenster fungiert als Bilderrahmen. Formen und Farben, wie sie kein Künstler besser malen könnte.

Was sie kostbar macht, ist ihre Einmaligkeit. „Nie vorher gesehen. Nie wieder danach“, notiert ein Bewunderer. Selbst dass sie regnen könnten, ist nach ein paar Tagen Hitze weniger Drohung als Versprechen. Ihre Leichtigkeit passt zur Jahreszeit. Wolken haben was Träumerisches, Unerreichbares, niemand kann sie festhalten und schon gar nicht kaufen, nicht einmal lenken lassen sie sich, sie schweben einfach durch unser Leben, wie Federn, dann wieder wie Schafe oder Berge. Ein Stück Wildnis, selbst mitten in der Stadt, nur dass die Natur zur Abwechslung nicht grün ist, sondern weiß oder grau, manchmal orange oder rot, und, ganz selten eben: lila.

Falls der Himmel doch mal monochrom daherkommt, knallblau oder grau, setze ich mich vor den Computer. Auf der Website der „Cloud Appreciation Society“ finden sich die dollsten Bilder von Cumulus, Cirrus und Co. Unter den Mitgliedern des Wolkenfanclubs finden sich übrigens besonders viele Piloten, ist ja keiner so nah dran wie sie. Aber auch sie können die Gebilde nicht fangen. Als „permanenten Tanz zwischen Erscheinen und Verschwinden“ hat der Erfinder der Society die Wolken beschrieben. So wie der Sommer selbst, der einem nie so lang wie der Winter vorkommt. Kaum erschienen, schon verschwunden.

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