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Ser Serpas in der Galerie Barbara Weiss.

© Joana Nietfeld

Ser Serpas beim Gallery Weekend: Wie eine junge Künstlerin Lidl-Einkaufswagen in den Ausstellungsraum holt

Am Freitag startet das Gallery Weekend. Die 27-jährige Künstlerin Ser Serpas stellt in der Galerie Barbara Weiss Berliner-Straßenrand-Klassiker aus.

Ein Gebilde aus ineinandergesteckten Einkaufswagen, in denen eine abgenutzte Matratze steckt, steht in der Mitte der Ausstellungsfläche in der Galerie Barbara Weiss. Es sieht aus wie ein Neukölln-Denkmal. In gewisser Weise ist es das auch, denn sowohl die fleckige 90-Zentimeter-Matratze, also auch die Lidl-Einkaufswagen, stammen originalgetreu von einem Straßenrand zwischen Weigandufer und Hermannstraße.

„Fucked layabout forgiving“, heißt das Werk, was übersetzt so viel bedeutet wie: „Verdammter Gammler, der vergibt“. Ein poetischer Titel. Der gut zum sonstigen Oeuvre der Künstlerin Ser Serpas passt. Denn das besteht nicht nur aus Skulpturen, sondern auch aus viel Schrift in Form von Gedichten, Malerei und Songs.

Serpas, 27, US-Amerikanerin, sitzt auf einer beschmierten Couch, die vor der Verdammter-Gammler-der-vergibt-Skulptur steht - und bindet sich die Schnürsenkel. Seit drei Wochen ist sie in Berlin. Die vergangenen Tage verbrachte sie damit, durch die Straßen zu laufen und Dinge zu suchen, die andere zuvor für unbrauchbar befunden hatten.

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Sie scannte den Unrat auf den Bürgersteigen in Wedding, Kreuzberg und Neukölln - und wenn sie einen spannenden Gegenstand für die Show fand, rief sie in der Galerie an, damit ein Mitarbeiter mit einem Sprinter kam, um ihn abzuholen. Dann richtete sie alles bei Barbara Weiss an: stapelte, schrottete und drapierte ihre Fundstücke. So macht sie das oft. In den verschiedensten Städten. Es ist ihr Konzept.

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Und eine Möglichkeit, Kunst herzustellen, die auskommt, ohne dass für sie etwas Neues gekauft werden muss. Eine Eigenschaft, die der Künstlerin entgegenkommt, denn das ist Teil ihrer Biografie: Serpas hatte sich schon immer auf Dinge gestürzt, die bereits da sind und lediglich umgedeutet werden müssen.

Was ihr in den Kopf kam, notiert sie in ihrem Smartphone

Das begann schon in der Schule: Da versuchte sie es in ihrer Umgebung. Serpas wuchs in Boyle Heights auf, einem Stadtteil in Los Angeles, der nicht dafür bekannt ist, sehr reich zu sein, dafür aber sehr links. Sie arbeitete Serpas als Freiwillige in verschiedenen Sozialprojekten, half anderen dabei, klarzukommen.

Nach der High School ging sie nach New York, studierte Urban Studies an der Columbia University und begann mit dem Schreiben. Was ihr in den Kopf kam, notiert sie in ihrem Smartphone. Zweizeiler, Dreizeiler, längere Texte. Bis daraus ein ganzer Band wurde. „Carman. Based on the Opera“ erschien 2019.

„Etwas, das der Politik ähnelt/ etwas, das der Freiheit ähnelt/so etwas wie Bezahlung“

Manchmal schrieb sie auch in Hefte. Und verschönerte die Gedichte mit Kritzeleien drumherum, bis sie damit anfing, Fotos, die sie von ihren Freuden aufgenommen hatte, aus ihrer iPhone-Mediathek abzumalen. Kleine Bilder wurden zunächst daraus. Die in ihrer Gesamtheit ein großes Ganzes ergeben und sehr viel Haut, Blut und Genitalien zeigen. Die Bilder malte Serpas einfach auf Karton. Wieder, ohne etwas Neues dafür zu kaufen.

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Die Objekte, die Serpas jetzt für ihre Show bei Barbara Weiss ausgesucht hat, sind Berliner-Straßenrand-Klassiker. Da steht etwa ein alter Kühlschrank auf einem kaputten Pressspan-Regal, ein orangener BSR-Mülleimer liegt auf einer zersprungenen Fensterscheibe. Alle Skulpturen sind käuflich, kosten zwischen 10.000 und 25.000 Euro.

Serpas Show ist nicht sonderlich verblüffend. Die Objekte, auch in ihrem neuen Kontext, dem weißen Ausstellungsraum, wirken irgendwie schon bekannt. Auch Materialsammlungen gibt es öfter in der Kunst. Da ist etwa der nigerianische Künstler Georges Adéagbo, der Fundstücke aus Westafrika und Neukölln miteinander kombiniert. Und auch die beim Gallery Weekend ausgestellte Künstlerin Rachel Youn bedient sich Gegenständen, die sie schon hatten.

Wenn man Serpas jedoch in ihrer Gesamtheit betrachtet, wenn man den Sound ihres rasseligen DJ-Sets durch die Galerie wabern hört, wenn man ihre Malereien auf ihrem Instagram-Account sieht, wenn man durch ihren neuesten Gedichtband „Guesthouse“ blättert. Und an den Zeilen hängen bleibt: „Etwas, das der Politik ähnelt/ etwas, das der Freiheit ähnelt/so etwas wie Bezahlung.“ Dann ist Serpas spannend.

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