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"1500 Leute haben den ganzen Abspann hindurch applaudiert": Ava DuVernay hat den ersten Kinofilm um Martin Luther King gedreht. Die Regisseurin stellte das Werk auch auf der diesjährigen Berlinale vor (Foto).

© dpa

"Selma"-Regisseurin Ava DuVernay: „Der goldene Mann wird überschätzt“

Schwarze, Frauen, Oscar: „Selma“-Regisseurin Ava DuVernay spricht über die US-Filmindustrie, ihr Bild von Martin Luther King - und darüber, wie ihr 1500 Menschen auf der Berlinale applaudierten.

AVA DUVERNAY, 42, begann ihre Karriere als Reporterin beim Sender CBS. Für ihren zweiten Spielfilm Middle of Nowhere wurde sie 2012 beim Sundance Festival ausgezeichnet. Ihr Film "Selma" ist nun für mehrere Oscars nominiert.

Warum eigentlich heute ein Film über Martin Luther King, dessen Tod bald ein halbes Jahrhundert zurückliegt?

Es war schlicht höchste Zeit. Kaum zu fassen, aber „Selma“ ist überhaupt der erste Kinofilm, der Martin Luther King ins Zentrum stellt. Und trotzdem hat es sieben Jahre gedauert, bis der Film finanziert und fertiggestellt werden konnte.

Und warum zeigen Sie dann nur eine kurze Episode aus Kings Leben?

Das Leben von Martin Luther King hat eine epische Größe, die sich nicht so leicht in einem zweistündigen Film darstellen lässt. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, einen Ausschnitt auszuwählen. Was in diesen drei Monaten geschah in Selma, Alabama, ist auch in den USA längst nicht jedem bekannt. King war da schon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er hatte gerade den Nobelpreis bekommen und seine berühmte „I have a dream“-Rede gehalten. Was tut er danach? Übernimmt er eine tragende Funktion in der Regierung? Schreibt er ein Buch und begnügt sich mit der Rolle eines angesehenen Intellektuellen? Nein, er geht zurück nach Selma, krempelt die Ärmel hoch und leiert eine Wahlrechtskampagne an.

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Ihr Film sieht deutlich frischer aus, als man das von Biopics gewohnt ist.

Ehrlich gesagt, ich hasse Geschichtsdramen. Ich liebe das Kino, aber gegen Historienschinken bin ich richtig allergisch. Nachdem ich den Regieauftrag für diesem Film bekommen hatte, musste ich mir also klar darüber werden, was ich an diesem Genre nicht mag. Und das ist vor allem die Patina der Respekts, die durch die historische Distanz entsteht. Darum war es mir wichtig, dass sich das Publikum mitten in diese Zeit versetzt fühlt. Denn das, wofür die Bürgerrechtsbewegung auf die Straße ging – das ist ein Kampf, der bis heute anhält. Übergriffe wie die auf Rodney King oder Trayvorn Martin geschehen bei uns jedes Jahr. Gerade deshalb wollte ich unbedingt dieses Gefühl unmittelbaren Erlebens herstellen und die Geschichte mit der Gegenwart in Verbindung bringen.

„Selma“ erzählt nicht nur aus dem Leben Martin Luther Kings, sondern auch davon, wie sich eine Bürgerrechtsbewegung politischen Einfluss erkämpft und welchen Preis die Aktivisten dafür zahlen müssen.

Richtig, wir wollten den Mythos dekonstruieren, dass Martin Luther King das alles im Alleingang gemacht hat. Tatsächlich war er einer von vielen Führern dieser Bewegung. Die Suche nach dem richtigen Weg – das waren komplexe Gruppendiskussionen, bei denen viele Meinungen zu Entscheidungen führten. Wir wollen im Film den Prozess zeigen, wie Fortschritt erreicht wird. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung hat dreizehn Jahre lang ihre Aktionen vorbereitet und durchgeführt. Die haben sich nicht mal eben zusammengetwittert und sind dann wieder nach Hause gegangen. Ihr langer, harter Kampf hat unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Ohne diese Bewegung würde ich als schwarze Frau heute nicht hier an diesem Tisch sitzen, sondern Ihnen bestenfalls als Kellnerin den Tee servieren.

Ihr Film ist für zwei Oscars nominiert. Wie wichtig ist Ihnen diese Anerkennung?

Es sind ja mehr als hundert Filme ins Rennen um die Oscarnominierungen gegangen. „Selma“ – und das ist das Problem – war der einzige, der sich überhaupt mit dem Leben der Schwarzen in den Vereinigten Staaten beschäftigt hat. Das liegt daran, dass in der amerikanischen Filmindustrie im Grunde eine sehr kleine Gruppe das Sagen hat. Die Oscar-Academy besteht zu 94 Prozent aus Weißen, zu 77 Prozent aus Männern, und 86 Prozent der Mitglieder sind über 50. Nichts gegen alte weiße Männer. Ich habe in meinem Freundeskreis einige alte weiße Männer, die verstehen, dass sie nicht das Zentrum des Universums sind und sie die Welt mit anderen Menschen teilen. Die Entscheidungsträger in der Filmindustrie aber sind sich dessen nicht immer bewusst. Geschichten über Schwarze haben da nur eine Chance, wenn die Schwarzen sich auch in einer bestimmten Art benehmen. In „Selma“ entschuldigen sich die Afroamerikaner nicht für das, was sie sind, sondern sie verlangen Gerechtigkeit. Solche Geschichten haben es bei der Academy schwerer als etwa Filme wie „The Help“ oder auch „12 Years a Slave“.

Auch Frauen haben es in Hollywood schwer, besonders im Regiefach. Kathryn Bigelow und nun Sie gehören zu den wenigen Regisseurinnen, die in der Big-BudgetLiga mitspielen. Warum schotten die männlichen Kollegen sich da so ab?

Solange ältere weiße Männer das Geld kontrollieren, geben sie es lieber Leuten, die ihnen ähnlich sind. Das ist einfach bequemer für sie. Aber sie müssen endlich verstehen, dass sich auch außerhalb ihrer Komfortzone viel Geld verdienen lässt. Hollywood muss sich der Diversität unserer Gesellschaft stellen.

Eigentlich müssten diese Machtverhältnisse Sie ernstlich verbittern.

Nein, denn tatsächlich sind solche Sachen wie der Oscar gar nicht so wichtig. Das wirklich Schöne und Relevante beim Filmemachen ereignet sich jenseits dieser Sphären der Macht. Gerade haben wir unseren Film bei der Berlinale gezeigt, 1500 Leute haben den ganzen Abspann hindurch applaudiert. Wir standen hinter der Bühne und konnten es nicht fassen. Blumen, Ovationen – und das in Deutschland! Ähnliches haben wir vor kurzem in Nigeria erlebt, wo man spürte, wie sehr sich das Publikum mit dem, was im Film geschieht, identifizierte. Solche Erlebnisse sind ein größeres Geschenk als irgend so ein goldener Mann.

Das Gespräch führte Martin Schwickert.

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