zum Hauptinhalt
Blick auf den Hafen von Piräus bei Sonnenuntergang.

© Albatross / vario images

Sehnsuchtsorte zum Ferienbeginn: Gekommen um zu gehen

Transiträume und Sehnsuchtsorte vom Berliner ICC-Parkplatz bis zum Hafen von Piräus: Wo wir gerne abfahren – oder ankommen. Eine kleine Rundreise zum Ferienbeginn.

Der Hafen von Piräus

Piräus. Mit Athen verwachsen, ein einziges Häusermeer. Dennoch: ein Eigenname, Echo seiner selbst. Wo Schiffe anlegen und abfahren, fühlst du dich wohl. Am Wasser, beim Klang der Sirenen und Schiffshörner, beginnt ein altes Lied. In jeder Reise übers Meer, über das Mittelmeer, steckt die Idee der „Odyssee“. Erkunden, entdecken, sich verlieren, ankommen irgendwann. Der Steg ist das Ziel. Vielleicht ist es das Problem der Griechen, dass sie nicht nur sie selbst sind, sondern zugleich immer auch Größere, Ältere, Berühmtere. Vielleicht ist das auch unser Problem, wenn wir nach Griechenland reisen, um diese leicht angehobene Geschichtsgegenwart zu finden.

Melina Mercouri wohnt hier schon lange nicht mehr. „Sonntags nie“, der Film ist von 1960, brachte ihr Weltruhm. Das „Mädchen aus Piräus“ war später, in den Achtzigern, Kulturministerin Griechenlands und hatte die schöne Idee, jedes Jahr eine europäische Kulturhauptstadt zu küren. Das funktioniert bis heute recht gut, mal eine griechisch-europäische Erfolgsgeschichte.

Nichts Romantisches bietet der Hafen von Piräus. Keine Promenade, kein Café zum Verweilen, darum geht es doch: auf die Fähre und weg, auf die Inseln. Eine ganze Nacht dauert die Fahrt nach Patmos. Natürlich schläft man da nicht gut, nur nicht den Sonnenaufgang an Deck verpassen. Unter Deck ist Lärm, es riecht schlecht, der Fremde, mit dem man die Kabine teilt, schnarcht wie ein Höllenhund. Ankommen in der Frühe, die Insel taucht aus der Meeresdämmerung auf, schon rasseln die Ketten der Ladeklappe, du stehst an Land. Patmos. Hier soll Johannes seine Offenbarung gehabt haben: Apokalypse heißt das auf Griechisch. Gottesgericht. Zeitenwende und Zeitenende. Das Buch mit sieben Siegeln. Es ist eine ruhige Insel, hier wohnen die Reichen, die ihren Reichtum nicht ausstellen.

Der Hafen von Piräus muss jetzt verkauft werden. Schuldendienst. Aber was soll das bringen? Kann man Geschichte verkaufen, Legenden abstoßen, Erinnerungen zu Geld machen in der Not, Mythen liquidieren? Wäre es so, Griechenland wäre gerettet. Rüdiger Schaper

Das ICC in Berlin

"Wer dich erst kennt, Berlin, der sagt dir nicht Adieu. Denn deinem Zauber kann man niemals mehr entfliehn: Dir, mein Berlin, Berlin, Berlin." Als Bruno Balz und Hans Hannes 1938 den Text für „Das ist Berlin“ schrieben, hatten sie die Gedächtniskirche im Sinn, Unter den Linden, die Spree. Eher weniger das Messegelände, das zwar zu großen Teilen schon in den 1930er Jahren entstand, um das herum sich aber in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Absprungbrett entwickelt hat: Ob per Anhalter vor der Autobahnzufahrt, per Fernbus auf dem ZOB oder mit der Mitfahrgelegenheit vom Parkplatz am ICC, das Areal in Westend ist vor allem eines: Der beste Ort, um Berlin zu verlassen.

Das liegt aber nicht allein an der Infrastruktur. Das ICC verzaubert schon lange niemanden mehr. Den Funkturm hat keiner im Sinn, wenn er von Berlin schwärmt. Wer den ZOB kennt, sagt ihm gern Adieu. Was Berlin zu Berlin macht, scheint hier meilenweit entfernt. Egal welche Autobahnauffahrt man dort nimmt: Der Hauptstadt letzter Außenposten ist immer eine Tankstelle.

Der renommierte Stadtplaner Gisbert Dreyer scheint das Abfahrpotenzial der Gegend erkannt zu haben und hat Anfang Juli einen Vorschlag bei der Flughafengesellschaft vorgestellt: Das ICC soll ein Innenstadt-Terminal für den Hauptstadtflughafen werden, ein Tunnel das ehemalige Kongresszentrum mit dem BER verbinden. Elf Kilometer lang, 20 Meter unter der Stadt hindurch, für die Expressflucht aus Berlin.

Die Hoffnung ist, dass der Plan den bei Trampern und Mitfahrern beliebten Parkplatz am ICC verschont. Wer hier schon einmal stand und auf die Mitfahrgelegenheit wartete, die nie kommt, sich mit den Mitwartenden verbrüderte und verschwesterte und dann zusammen auf der anderen Straßenseite den Daumen raushielt, weiß: Manchmal muss man Berlin eben doch verlassen. Wie etliche Chansonniers schon wussten, kann das sehr schwerfallen. Jede Stadt bräuchte ein ICC. Hier, wo urbane Hässlichkeit ihren Höhepunkt feiert, fällt einem der Abschied so unerträglich leicht. Da machst du keine Ausnahme, mein Berlin, Berlin, Berlin. Fabian Federl

Flughafen Orly Paris und die Schatzalpbahn in der Schweiz.

Flughafen Orly in Paris

Ja klar, ein Flughafen halt. Aber wer würde bestreiten, dass es auch da Unterschiede gibt? Orly also. Ein Sehnsuchtsort? Selbstverständlich. Weil es eben der Flughafen von Paris ist, einer der schönsten, der großartigsten Städte der Welt. Anderer Meinung? Kein Problem, Feuer frei.

Natürlich, es gibt Charles de Gaulle. Das Monster von Roissy. Die Hölle. Orly ist anders. Nicht mal wirklich klein, über 28 Millionen Passagiere im Jahr 2013, mehr als die Berliner Flughäfen zusammen. Aber charmant. Irgendwie stehengeblieben. Holzvertäfelte Wände! An einem Flughafen! Wo gibt es das noch? Die edlen, elegant zum Ring geschlossenen Messingkronleuchter in der großen Halle von Orly Sud, einem der beiden Terminals, erzählen von einer anderen Zeit, einer anderen Ästhetik.

Flughäfen sind verflüssigte Architektur, ständig in Bewegung, fast immer in eine Richtung: Wachstum. Orly nicht. Als Charles de Gaulle eröffnete, hat man hat hier die Entwicklung eingefroren. Ergebnis: ein Zeitfenster. In eine Epoche mit völlig anderem Schönheitsideal. Jeden Augenblick erwartet man, dass Jacques Tati ums Eck kommt, natürlich ohne Rollkoffer, dafür mit Pfeife und Schlapphut – und eine kleine Katastrophe auslöst.

Dann der Bus in die geliebte Stadt. Ja, es gäbe auch den OrlyVal, eine führerlose Hochbahn zum nächste RER-Bahnhof. Aber wie viel Lust und Vorfreude raubt man sich damit! Lieber ritardando, lieber bewusst ein bisschen langsamer. Die Hardcorefraktion nimmt die Linie 183 nach Porte de Choisy, quer durch die Banlieue. Der OrlyBus tut’s auch. Ein Stück Périphérique, der Autobahnring, der für Paris zur Stadtmauer des 20. Jahrhunderts wurde, dann runter in die Straßen. Rechts blitzt plötzlich das Grün von Parc Montsouris auf. Die blauen Straßenschilder, die Fahrradstationen von Vélib’, Haussmanns strengschöne Fassaden, die Metro Denfert-Rochereau. Alles aussteigen. Einmal tief durchatmen. Ich bin da. Udo Badelt

Schatzalpbahn in der Schweiz

Einsteigen, bitte, aufwärts geht’s! Der Schweizer Kanton Graubünden kennt berauschende Bergidyllen. Die weltberühmte Graubündener Alpenstadt Davos ist keine. Ein Meer aus Betonwürfeln flutet das weite Hochtal. Das Flüsschen Landwasser ist begradigt, die Promenade autoverknattert. Und doch – nur ein paar Schritte abseits der Hauptstraße liegt das Tor zum Himmelreich. Ring, schrillt die Warnglocke durch die Talstation. Schwomp, schließen sich schmatzend die Automatiktüren. Schon ruckelt das blau-gelbe Bahnli bergan. Erst noch ein bisschen zögerlich, als gelte es, der Schwerkraft zu trotzen, die Fesseln der Zivilisation abzustreifen. Dann nimmt die Schatzalpbahn Fahrt auf.

Das Herz fängt an zu hüpfen. Häuser, Bäume, Bäche, Matten, Kühe gleiten vorbei. Hinauf, hinauf und weiter hinauf. In der Ferne wachsen schneebedeckte Gipfel, dramatische Wolkenhügel, endloser Himmel. Was drunten war, bleibt unten, hier ist oben! Wo ich bin, ist oben! Schwomp, gehen die Türen auf, purzeln die Fahrgäste aus der Bergstation und sind da. Am Anfang eines viele Stunden währenden Wanderwegs der prächtigen Fernblicke – hoch zum Strelapass, über das Grasplateau der Mederger Alp rüber nach Arosa. Oder in einem anderen Jahrhundert – vor dem Berghotel Schatzalp, einem traumschön verwitterten Jugendstilbau. Einst als Luxussanatorium für Tuberkulöse errichtet, von Thomas Mann im „Zauberberg“ verewigt.

Aus der Zeit, ja zwischen die Zeiten gefallen. Nur noch ein paar Schritte vorbei an den Edelweiß-Töpfen des viele tausend Alpenblumen beherbergenden Alpinums und ein Platz auf der Sonnenterrasse ist gefunden. Hier für immer sitzen. Fern des Weltgetöses. Die Berge schauen, Höhenluft atmen. Ein Glas trinken und noch eins. Die flachländische Kleingeistigkeit von sich abfallen fühlen. Das ist das Paradies. Gunda Bartels

Bahnhof von Taormina und Flughafen Douala in Kamerun.

Der Bahnhof von Taormina aus dem Jahr 1928.
Als Reisen noch Luxus war: Der Bahnhof von Taormina, der im Jahr 1928 gebaut wurde.

© Frederik Hanssen

Bahnhof von Taormina

Er findet sich in keinem Reiseführer und ist doch ein Juwel. Sogar gemessen an den Maßstäben dieser Kulturlandschaft von grenzenloser Schönheit. „Taormina-Giardini“ steht da an der Fassade, ausgeführt in blauen und goldenen Mosaiksteinchen. An nichts wurde gespart bei der Ausstattung, denn das hier war ja die Visitenkarte der Stadt, hier kamen die wohlhabenden Touristen aus dem Norden an. 1866 wurde eine Bahnverbindung nach Messina eröffnet, 1928 leistete man sich dann eine neue Stazione, im „stile liberty“, der italienische Spielart des Jugendstil.

Filigran gearbeitete Kandelaber, maßgefertigte Möbel, Schmuckbänder an den Wänden, reich bemalte Kassettendecken, Rundbogenfenster mit doppelten Stuckrahmen, dazu zwei von Zinnen bekrönte Türmchen: Das ganze Gebäude erzählt von längst vergangenen Zeiten, als Reisen ein Luxus und Taormina mit seinem Teatro Greco ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Grand-Tour-Bildungsreise war. Auf den Bahnsteigen flaniert man unter eleganten, von schlanken Gusseisensäulen getragenen Dächern, gleich hinter den Gleisen beginnt der Strand, weit schweift der Blick.

Hier nur die Regionalbahn nach Catania zu besteigen, mutet fast profan an. Während der Zug einrollt, tauchen vor dem inneren Auge feine Damen auf, die – von weißem Lokomotivendampf umhüllt – rotsamtig gepolsterten Coupés entsteigen. Dienstbare Hände strecken sich ihnen entgegen, laden lederne Schrankkoffer ab. Draußen auf der Straße wartet schon die Kutsche des San Domenico Palace Hotels. Eine Fantasie à la Edward Morgan Forster. Frederik Hanssen

Internationaler Flughafen in Douala, Kamerun

Erst erhebt sich, unmittelbar gefolgt von Gewittergüssen, ein Sand- und Staubsturm aus stillem Himmel, noch vor der Dämmerung, die in diesen Breiten nicht zählt. Dann jagen Wind und Wasser durch die wenig wettergeschützten Passerellen zwischen den Gates, reißen Deckenverkleidungen ab und die Plastiklamellen, die man anderswo Fenster nennt, fluten die Flure, und schließlich, es ist höchstens acht und es ist Nacht, kommt der Stromausfall hinzu. Dutzende, Hunderte atmen im Abfertigungsbereich im Finstern, verwarten geduldig Stunden, nirgends eine Cafeteria, nirgends ein Marché, nirgends ein Relay, so hießen die Dinger doch, Relay. Schattengespensterwelt.

Wir sind auf dem internationalen Flughafen in Douala, Kamerun; von Reisen, die den Namen verdienen, fliege ich ungern nach Hause, aber was, wenn das jetzt eine Art Ende ist und da draußen die Leuchtfeuer, oder sagt man Positionslichter, nur noch zum Trost weiterglimmen, immerhin sie hat der Stromausfall nicht ausgeknipst, aber die Brussels Airways und die South African sind nicht in Sicht und auch nicht die Air France, festgehalten auf der nächstbesten Insel im nächstschlimmsten Sturm. Um uns die Sintflut, tiefe Schwärze, der wir uns ergeben zur wirklichen Nacht hin, und dann landet das gewaltige weiße Geschoss im eigenen Licht doch, scheucht eine Wasserfontäne vor sich her, intergalaktisches Gerät und aufschnaubendes Raubtier, kommt glücklich zum Stehen. Nur die Bordkarte hat sich aufgelöst inzwischen in der nassen Hand. Jan Schulz-Ojala

Zur Startseite