zum Hauptinhalt
Flirt im Donut-Shop. Mikey (Simon Rex) und Strawberry (Suzanna Son).

© dpa/Universal

Sean Bakers „Red Rocket“ im Kino: Der Hustler und die Erdbeere

Blick auf die amerikanische Unterschicht: In Sean Bakers Tragikomödie „Red Rocket“ kehrt ein abgehalfterter Pornostar aus L.A. nach Texas zurück.

Dieses Land ist für Autos gemacht. Heruntergekommene Häuser säumen breite Straßen, die metallenen Türme der Ölraffinerie ragen in den Himmel und riesige Trump-Plakate kündigen eine neue amerikanische Ära an. Das ist Texas City, Texas, an der Golfküste der USA, im schicksalshaften Jahr 2016.

Mikey Saber ist gerade zurückgekehrt aus Los Angeles, wo er eine mäßig erfolgreiche Pornokarriere und einen Haufen Probleme hinter sich ließ – und sein Auto. So bewegt er sich entweder im Laufschritt oder auf seinem Kinderrad fort, ein Fremdkörper in der weitläufigen, trostlosen Gegend. Die Reaktion seiner Noch-Ehefrau, als er unangekündigt bei ihr auftaucht, sagt alles darüber, wie willkommen er in seiner Heimatstadt ist: „Oh my shit“ – „Ach du Scheiße“ –, begrüßt sie ihn.

Regisseur Sean Baker ist bekannt geworden für seine empathischen Indiefilme über Menschen vom Rande der Gesellschaft. Für „Tangerine“ begleitete er eine trans Prostituierte in Los Angeles, in „The Florida Project“ ein Mädchen und seine alleinerziehende Mutter am Rande von Disney World. Armut und Sexarbeit spielen auch in „Red Rocket“, der in Cannes seine Premiere hatte, eine große Rolle.

Der Ton allerdings ist ein anderer, mit deutlich weniger emotionalem Tiefgang und mehr Slapstick. Das liegt vor allem daran, dass sein Protagonist, von dem sich Baker nie auch nur für eine Szene trennt, nicht gerade sympathisch rüberkommt.

Strawberry ist 17 und damit „legal as an eagle“

In einem endlosen, erratischen Redeschwall schafft es Mikey schließlich doch, seine Frau Lexi (Bree Elrod) und ihre Mutter davon zu überzeugen, bei ihnen unterzukommen. Mikey behandelt die Menschen in seinem Leben wie sein Fahrrad. Bei vollem Tempo springt er ab und lässt es gegen die Wand brettern, jedes Mal, wenn er seine junge Geliebte im Donut-Shop besucht. Lexi weiß von dieser Affäre natürlich nichts. Raylee (Suzanna Son), genannt Strawberry, ist 17 Jahre alt und damit „legal as an eagle“, wie Mikey frohlockt. Er selbst ist nicht mehr der Allerjüngste und sieht in Strawberry vor allem eine Chance, seine Pornokarriere wiederzubeleben.

Gespielt wird Mikey Saber von Simon Rex, ein etwas abgehalfterter B-Promi. Rex’ Karriere begann selbst in der Pornobranche, er war MTV-Moderator, feierte wilde Partys mit Paris Hilton, rappte als „Dirt Nasty“ und war in den „Scary Movie“-Filmen zu sehen. Baker hatte ihn, wie er in Interviews erzählte, schon immer im Kopf für die Rolle des Mikey Saber: Stunt Casting, das an Harmony Korines „Spring Breakers“ erinnert, der für seinen Film junge Disney-Starlets engagierte, die erstmals in „erwachsenen“ Rollen zu sehen waren und somit für die Story hinter der Story sorgten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Rex spielt Mikey mit viel hyperaktiver Energie und genug Charisma, um nachvollziehbar zu machen, warum die Menschen in seinem Leben ihm immer wieder eine Chance geben. Er ist ein Narzisst, der ohne Zögern lügt, um zu bekommen, was er will, und bei dem nie richtig klar ist, ob er selbst seine Geschichten noch glaubt. So erinnert er immer auch ein wenig an den Präsidentschaftsaspiranten, der im Hintergrund über die Fernsehbildschirme flackert.

Mikeys Beziehungen sind parasitär

Die einzige, die Mikeys Bullshit von Anfang an durchblickt, ist June (Brittney Rodriguez), die Tochter der örtlichen Drogendealerin, bei der Mikey anheuert. In einer Szene, die besonders cringe-worthy ist, erklärt Mikey ihr gestenreich, warum er den Porno-Preis für die beste Oralszene verdient hat – und nicht etwa die Frau, die mit ihm in der Szene drehte und die ja eigentlich, wie June anmerkt, die ganze Arbeit gemacht habe. Spätestens hier wird deutlich, dass „Red Rocket“ keine klassische Underdog-Geschichte ist, dass Sean Baker keine Sympathien für seinen Protagonisten wecken, sondern durch ihn eine bestimmte Art der Männlichkeit kommentieren und vorführen will.

Mikey ist ein „Suitcase Pimp“, wie seine Frau ihn nennt. So heißen in der Pornoindustrie Männer, deren Erfolge auf den weiblichen Darstellerinnen beruhen, mit denen sie drehen. Mikeys parasitäre Beziehungen beschränken sich nicht auf Frauen: Die Freundschaft zu seinem Loner-Nachbarn Lonnie (Ethan Darbone) dient ihm dazu, umherkutschiert zu werden und einen Zuhörer für seine Monologe zu haben. Als einer dieser Trips in einer absurden Tragödie endet, kann Lonnie auf seinen neuen Freund nicht zählen.

„Red Rocket“ macht von der ersten Minute an, als *NSYNCs 2000er-Hit „Bye, Bye, Bye“ einsetzt, Spaß. Das schlechte Gewissen nach jedem Lacher gehört wohl zum intendierten Seherlebnis dazu. Der tiefere Sinn dahinter, zwei Stunden lang den Eskapaden eines toxischen Typens zu folgen, erschließt sich allerdings nie wirklich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false