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Kultur: Schwül & kühl

Bertrand Bonellos Bordell-Studie „Haus der Sünde“.

Das „Apollonide“ ist ein Pariser Luxusbordell des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Ein Dutzend Mädchen sind hier im Angebot, die sich bei Champagner und Wortgeplänkel den Herren der besseren Gesellschaft als Begleiterinnen andienen. Viele der Männer sind Stammkunden. Die Frauen arbeiten nachts, ihre Tage verbringen sie in einem anderen Teil der von der Außenwelt blickdicht abgeschotteten Gemächer. Eine Art GirlsCamp – und ein Gefängnis. Denn das Leben zwischen Personalküche, Plüsch, Madames Panther und schwerer Tapisserie ist kein Abenteuer, sondern bitteres Elend. Denn die Ökonomie des Bordells treibt die Mädchen immer tiefer in die Schulden, da die Abgaben für Kost und Logis höher sind als die Einkünfte. Ausstieg ist da kaum möglich. Bleibt nur der alte Hurentraum vom Prinzen, der sie irgendwann herauskauft. Die Flucht in die Drogen. Und die Freundschaft unter den Frauen, die miteinander Betten und Erlebnisse teilen.

Der französische Regisseur und Musiker Bertrand Bonello („Der Pornograph“, „Tiresias“) hält sich bei der Beschreibung des Bordellalltags an historische Recherchen statt an die üblichen Fantasien. Selbst das Bad im Champagner, ein Klassiker schlüpfriger Imagination, wird zum kalt-klebrigen Ärgernis, das mühsam abgewaschen werden muss. Neben der als Schleier über allem liegenden seelischen Erschöpfung lauern Syphilis und Tod, neben Ausbeutung und Erniedrigungen auch reale Gewalt. „L’ Apollonide“ – so der weniger grobe Originaltitel – mischt unter die linear erzählte Geschichte vom Niedergang des Etablissements Erinnerungsflashs eines besonders grausamen Verbrechens: Einer der Frauen wird das Gesicht zerschnitten, ausgerechnet von einem Freier, dem sie mehr als anderen vertraut. Zurück bleibt eine enorme Narbe, die Madeleines Gesicht zu einem Dauergrinsen entstellt.

Alice Barnole beeindruckt in der Rolle der Madeleine – eine Leinwand-Debütantin wie viele andere der jungen Darstellerinnen. Doch auch Bonellos Regiekollegen Noémie Lvovsky (als Madame) und Xavier Beauvois (als Freier) wurden mit Rollen bedacht. Kamerafrau Josée Deshaies fotografiert das Treiben in den Geschäftsräumen in einem weichen, trotz vieler Rottöne kalten Licht, dessen pastose Wirkung an manche Gemälde von Manet erinnert.

Dennoch laboriert „Haus der Sünde“ an dem Problem jedes Films, der Überdruss und Langeweile inszeniert. Bonello konterkariert die drohende dramaturgische Ödnis mit einer für einen Kostümfilm experimentell anmutenden Erzähltechnik, die Musik aus den 60er Jahren und Split Screens einsetzt und elliptisch um die Ereignisse herumerzählt. Bis der Film unvermutet in die Gegenwart heutiger Straßenprostitution springt. An den Gewaltverhältnissen hat sich nichts geändert, doch mit dem gemeinsamen Schutzraum hat sich auch die Solidarität der Erniedrigten verflüchtigt. Eine wenig trostreiche Botschaft, deren Metaphorik von Schuldknechtschaft und Ausbeutung sich keineswegs auf die Bordellwelt beschränkt. Die Puffmutter im Film heißt übrigens Marie-France.

Cinemaxx, Kant, Titania Palast

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