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Liedsänger Thomas Hampson.

© Sebastian Gollnow/dpa

Schubert-Woche startet digital: So fern, doch auch so nah

Der Boulez Saal startet seine digitale Franz Schubert-Woche mit Gesprächen und Konzerten. Am ersten Abend wird der gesamte Kosmos des Meisters angerissen.

Nur leere Sitze hören zu. Die Abwesenheit des Publikums, sie wirkt wie ein stummer Schrei. Immerhin, eine Handvoll Menschen, darunter der getestete Berichterstatter, dürfen im Pierre Boulez Saal sitzen zur Eröffnung dieser vierten den Liedern von Franz Schubert gewidmeten Woche.

Alle mit FFP2-Masken, der Boulez Saal war da gesamtgesellschaftlicher Vorreiter, schon im vergangene Herbst galt hier Selbstgehäkeltes als zu virenfreundlich.

Trotz und Zuversicht strahlt dieser Montagabend aus: Die Woche, sie findet ja statt, auf höchstem digitaltechnischem Niveau kommt sie online nach Hause. Moderatorin Susanne Stähr spricht mit dem Liedsänger, Lehrer und künstlerischem Leiter der Schubert-Woche, Thomas Hampson. Und mit Friedrich Dieckmann, Autor des Buches „Franz Schubert. Eine Annäherung“.

Der ganze Kosmos Schubert wird in dieser ersten Stunde zumindest angerissen, jenes unfassbare Werk aus über 600 Liedern, die – so das von Daniel Barenboim ausgegebene Ziel – im Laufe mehrerer Jahre alle zumindest einmal im Boulez Saal erklungen sein sollen. Jenes „Theater der Intimität“, mit dem Schubert die Unbehaustheit des modernen Menschen in noch nie dagewesener Dichte in schlichte Liedform gegossen hat.

Hampson beschreibt das Neue, den Quantensprung, der mit Schubert in die Musik kam, so: „Er hat entdeckt, dass er kleine Welten erschaffen kann. Nie zuvor hat jemand, auch nicht Mozart, solch eine Symbiose von Dichtung und Klang erreicht. Nach Schubert waren Lieder viel mehr als einfach nur ,schön’.“

Ohnmacht des Individuums

Dieckmann beleuchtet die sonst weniger beachteten Einflüsse der politische Entwicklung im Deutschen Bund, etwa die Karlsbader Beschlüsse, auf Schuberts Komponieren. Ohne offen politisch zu sein, reflektiert seine Musik doch eine Epoche äußerer Ohnmacht des Individuums, in der die Möglichkeiten zur Entfaltung sehr begrenzt waren – ein Gefühl, dass wir in den Pandemiejahren 2020 und 2021 vielleicht erstmals seit langer Zeit wieder annähernd nachvollziehen können.

[Die gesamte Schubert-Woche (noch bis 24. Januar) digital auf boulezsaal.de, alle Auftritte sind dort archiviert.]

Dann: Musik, live gesungen von zwei „Young Singers“. Sie gehören zu jenen, die, so Hampson, „die Flamme weitertragen“ – und deren Berufsaussichten so düster sind wie nie. Marie Seidler etwa kann man nur das Beste wünschen.

Tolle Talente treten hier auf

Kraft, Wärme, Optimismus strahlt ihr Mezzo aus, mit dem die Bonnerin unter anderem „Der blinde Knabe“ (D 833), „An mein Herz“ (D 860) oder zwei Faust-Vertonungen singt, geschmeidig meistert sie im Passagio die Höhenwechsel.

Wolfram Rieger begleitet sie am Klavier und kitzelt die spezielle Schubertsche Dramatik dieser Stücke mit klarem und brillantem Anschlag noch zusätzlich heraus. Frederic Jost wiederum hat Lieder herausgesucht, die Schubert original für Bass geschrieben hat – teils auf Italienisch, teils als Mythenvertonung wie „Prometheus“ (D 674).

Gestaltwandler ist auch Jost selbst, mit lebhafter, verschmitzter Mimik und hüpfenden Augenbrauen schwingt er sich auf in ätherische, jünglingshafte Höhen, steigt gleich danach herab in ehrfurchtgebietende, opernwuchtige Bass-Tiefen. Tolle Talente, die unverdient ohne Applaus den Saal verlassen müssen. Harte Zeiten.

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