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Der Schriftsteller Günter Grass (r) und der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki 1995 im jüdischen Gemeindezentrum in Farnkfurt am Main, wo Grass aus seinem neuen Roman "Ein weites Feld" las, noch vor dem legendären "Spiegel"-Titel und dem MRR-Verriss.

© dpa

Schriftsteller und Literaturkritik: Im Zweifel für den Zweifel

Volker Weidermann schreibt in "Das Duell" über das Verhältnis von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki. Wie gehen Kritik und Autoren miteinander um?

Als der „Spiegel“ im August 1995 Marcel Reich-Ranicki zum Titelhelden machte, und zwar wie er wutschnaubend den neuen Roman von Günter Grass entzweireißt, kam das für den Schriftsteller einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Reich-Ranicki fand Grass’ Fontane-Roman, „Ein weites Feld“, „ganz und gar missraten“, wie er schrieb.

Was Grass natürlich tief verletzte, allein das Cover!, so tief, dass beide sich danach nur noch einmal in ihrem Leben treffen sollten – trotz einer über fünfzig Jahre währenden, zunächst freundschaftlichen, mehr und mehr aber zu einer Feindschaft sich auswachsenden Beziehung, die Grass schon mal als „Zwangsehe“ bezeichnete.

Wie diese sich im Einzelnen über die Jahrzehnte dargestellt hat, erzählt Volker Weidermann in einem Buch mit dem reißerischen Titel „Das Duell“. Es ist eine Art Doppelbiografie, die der „Spiegel“-Literaturkritiker hier auf knappem Raum geschrieben hat, von zwei der wichtigsten, wenn nicht den wichtigsten Protagonisten der deutschen Nachkriegsliteratur

Beide sind noch nicht lange tot, Reich-Ranicki starb 2013, Grass 2015. Trotzdem hat man manchmal den Eindruck, dass ihrer beider Leben und Wirken eine Ewigkeit her, sie fast schon vergessen sind.

Auch Martin Walser litt unter Reich-Ranicki

Zudem stellt sich die Frage, ob nun genau dieses „Duell“ die Ausnahme war; aber vor allem, ob es heutzutage noch solche Auseinandersetzungen zwischen Autoren und Literaturkritikern gibt, sie überhaupt möglich wären? Ausnahmefiguren waren Reich-Ranicki und Grass sicher.

Aber auch Martin Walser hatte ewige Händel mit dem über die Maßen machtbewussten Kritiker. Und nicht zu vergessen: Da war doch noch Fritz J. Raddatz!

Nur die Macht von Reich-Ranicki damals bei der „FAZ“ oder Raddatz bei der „Zeit“ hat heute niemand mehr, insbesondere nicht den Einfluss auf ein großes Publikum. Es existieren inzwischen viel mehr sozusagen literaturkritische Vertriebskanäle, bis in den Digitale-Plattformen- und Social-Media-Bereich hinein.

Weshalb sich Kritik und Autoren nicht mehr so beharken wie seinerzeit.

Was nicht heißt, dass es nicht weiter Empfindlichkeiten gibt, vor allem bei den Autoren und Autorinnen. Ich weiß noch gut, wie mir ein Schriftsteller einmal auf einer Party Prügel androhte. Er versuchte das als Spaß rüberkommen zu lassen, doch war er sehr empört.

Ich hatte seinen neuesten Roman am selben Tag nicht positiv besprochen, und unser Pech war, dass wir beide zu früh auf jener Party erschienen und von der Gastgeberin auch noch einander vorgestellt worden waren. Ja, und dann gibt es den Autor, der sofort jeglichen Kontakt einstellte, selbst das Grüßen, als ich einen seiner Romane enttäuschend fand.

Dass wir uns vorher gut verstanden hatten, spielte da keine Rolle mehr.

Doch, klar, es ist ein Unterschied, ein Buch zu lesen und zu rezensieren, was eine Woche in Anspruch nehmen kann. Oder ein Buch zu schreiben, zwei, drei Jahre lang, damit Tag für Tag zu leben, mit den Figuren, der Geschichte – und dann wird es, so denken viele Autoren und Autorinnen, mir nichts, dir nichts „erledigt“.

Selbst Bestsellerautoren wollen von der Literaturkritik geliebt werden

Erstaunlicherweise wollen selbst Bestsellerautoren gerade auch von der Literaturkritik geliebt werden – und beschimpfen sie, wenn dem nicht so ist.

Wie einst Paulo Coelho in seinem Roman „Der Zahir“. Darin heißt es: „Wenn es um Politik geht, sind sie (die Kritiker) Demokraten, aber wenn es um Kultur geht, sind sie Faschisten. Sie meinen, die Leute seien fähig, eine Regierung zu wählen, aber keine Filme, Bücher oder Musik.“

Auch Grass konnte die Gunst des Publikums im Hinblick auf Reich-Ranicki nicht entspannt stimmen. Was dann aber selbst Marcel Reich-Ranicki erfuhr, nicht mit seiner Autobiografie „Mein Leben“, sondern später, als er seinen großen Kanon der deutschsprachigen Literatur nach fünf Jahren intensiver Arbeit fertiggestellt hatte.

Angesprochen auf die Resonanz seitens der Kritik sagte er in einem Interview: „Man arbeitet lange an bestimmten Sachen und glaubt, etwas Tolles getan zu haben, und dann erscheint das Werk, und die Kritik schweigt. Dann sagt sie zwar was, am Ende aber nicht viel, und man ist enttäuscht.“

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