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Bewusst unbewusst. Thomas Mann-Kritiker Thiess vermied es später, über seine NS-Erfahrungen zu schreiben.

© Bernd Wüstneck/dpa

Schriftsteller im Dritten Reich: Standhalten oder gehen?

Der Eine ging, der Andere blieb. Die Literaten Hermann Broch und Frank Thiess diskutieren in ihren Briefen über Exil und innere Emigration während des Nationalsozialismus.

Dass Thomas Mann und einige wenige deutsche Emigranten dank ihrer Bestsellererfolge in USA kalifornische Villen bewohnten, hat den Schriftsteller Frank Thiess 1945 zu der Bemerkung verleitet, das Exil schaue „aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie“ zu. Er wolle „damit niemanden tadeln, der hinausging“, doch er glaube, „es war schwerer, sich hier seine Persönlichkeit zu bewahren, als von drüben Botschaften an das deutsche Volk zu senden.“ Mit solchen Misstönen machte er seinen Versuch zunichte, im Nachkriegsstreit zwischen den Lagern von Exilanten und inneren Emigranten zu vermitteln. Bis heute ist sein verblasster Nachruhm mit dieser unrühmlichen Episode verknüpft.

Dabei hat ihn schon damals ein honoriger, auch literarisch schwergewichtiger Zeuge verteidigt: Hermann Broch (1886-1951), sein Freund und Briefpartner seit 1929, der seit 1938 (ohne Villa und Vermögen) im amerikanischen Exil lebte. Dort, im New Yorker „Aufbau“, hatte Ulrich Becher Frank Thiess 1948 vorgeworfen, „im Bannkreis der Hitler’schen Lehre“ gestanden zu haben. Denn Thiess (1890–1977) hatte zwar 1933 im Vorwort zur Neuauflage seines Romans „Der Leibhaftige“ von Hitlers „richtiger Erkenntnis der wirklichen und verborgenen Gefahren, die dem Dritten Reich drohen“, gesprochen und eine antisemitische Lesart des Buches nahegelegt, um sein Verbot zu vermeiden. Aber der jetzt veröffentlichte Briefwechsel und seine Tagebücher beweisen, dass dies keine bloße Schutzbehauptung war. Immerhin waren bereits zwei seiner Bücher verboten und verbrannt worden.

Freimütiger Austausch zwischen Gleichgesinnten

In seinen folgenden, von Goebbels unter Beobachtung gestellten Werken, finden sich immer wieder politische Zweideutigkeiten und Zugeständnisse, die ihm als Anklänge an Blut und Boden und soldatischen Heroismus ausgelegt wurden. Sein internationaler Bestseller „Tsushima“ (1936) war nach seinen eigenen Worten „ein Kriegsbuch, in diesen Zeiten so soldatisch wie nötig und so innerlich sauber wie möglich.“ Broch, der sich grundsätzlich dagegen sträubte, „Kriegsbegebenheiten mit sympathisierenden Augen zu betrachten“, hob an dem Buch wiederum zwei Kapitel hervor, die Achtung vor dem Feind und Aussöhnung nach dem Kampf beschworen. Thiess seinerseits wollte sein Werk „zwischen den Zeilen gelesen“ wissen.

Das ist im vorliegenden Briefwechsel der beiden nicht nötig. Er ist vertraut und freimütig im persönlichen, literarischen und politischen Meinungsaustausch und auch durch das erzwungene Schweigen von 1938 bis 1948 nach Brochs Flucht ins Exil nicht beeinträchtigt. Sein Fundament sind Gemeinsamkeiten weltanschaulicher und professioneller Natur: Beide reflektieren in ihrem Werk den Zerfall der bürgerlichen Welt und ihrer Werte, Thiess mit seinem vierbändigen Romanzyklus „Jugend“ (1924/1931), Broch mit seinem Früh- und Hauptwerk „Die Schlafwandler“ (1931/32). Für dessen Platzierung bittet der drei Jahre Ältere den jüngeren, aber im Literaturbetrieb versierteren Kollegen, 1929 um Rat, denn „einen Beweis für die Richtigkeit meiner Anschauung sehe ich auch in Ihren Werken“. Fasziniert habe ihn, „wie Sie technisch restlos die Verquickung des rationalem Geschehens mit (dem) irrationalen Untergrund bewirkt haben.“

Ausuferndes Werk zwischen Roman und wissenschaftlicher Abhandlung

Das begeisterte Echo, mit dem Thiess „Die Schlafwandler“ begrüßt und als Vermittler in der literarischen Welt begleitet, verdeckt allerdings eine bleibende Differenz zwischen den Freunden. Denn Broch sieht sein erzähltechnisches Vorbild in James Joyce. Seinen dringenden Rat, den „Ulysses“ zu lesen, befolgt Thiess – als „teilweise durchaus konservative und traditionsbedingte Natur“ – nur zögernd. Aus dem gleichen Grund wendet er sich auch gegen Döblins „Berlin Alexanderplatz“, der ihn nur gelehrt habe, „wie man es nicht macht“. Für ihn triumphiert bei Döblin der „formale Revolutionismus“, den wiederum Broch bei Thiess vermisst: Seinem Romanzyklus fehle „die neue Form für den revolutionären Inhalt“.

Schonender verpackt Broch die Kritik in einem Brief über ein Feuilleton des Freundes und dessen „Leichtigkeit, das Metaphysisch-Humane im Konkreten aufzudecken“, um die er ihn beneide. „Welchen Apparat würde ich zur Bewältigung des gleichen Themas brauchen!“ Das trifft in der Tat, Ironie oder nicht, sein ausuferndes Werk, das zwischen Romanform und wissenschaftlicher Abhandlung oszilliert. Im amerikanischen Exil wachsen daraus selbständige wissenschaftliche Arbeiten über Massenpsychologie, Demokratie und Menschenrechte, die ihm Stipendienempfehlungen und Anerkennung von Albert Einstein und Thomas Mann einbringen.

Broch sprach nicht über die eigene NS-Erfahrung

Diesen beiden verdankte Broch auch das Visum für die USA nach seiner Gestapohaft und Flucht aus Österreich. Aber es war nicht nur eine Dankesschuld, wie er sie auch für Thiess empfand, wenn er im 1948 wieder auflebenden Briefwechsel Thomas Mann gegen Ausfälle des Freundes in Schutz nahm. Thiess hatte im Streit um Exil und „Innere Emigration“ Manns Deutschland-Roman „Dr. Faustus“ als Gelehrtenpoesie und verschleierte Kolportage abgetan. Broch replizierte nobel, Thiess solle das Buch noch einmal lesen, „dann wirst Du es wahrscheinlich anders beurteilen.“ Thiess lenkte ein, wenn auch nicht öffentlich. Über die eigene Erfahrung der NS-Diktatur wollte er auch dem Freund nur ungern Rede und Antwort stehen, „nachdem man alles Erdenkliche anstellt, um es zu vergessen. Das Unbewusste soll zusehen, wie es damit fertig wird.“

Broch tröstete ihn mit einer Anekdote: Vor Gästen habe Katja Mann geäußert, alle „drüben“ Gebliebenen seien verdächtig. Auf den Einwand, es hätten doch nicht alle 60 Millionen Deutschen auswandern können, habe sie nur erwidert: „Warum denn nicht?“ Thiess wird sich in seiner Ansicht bestätigt gefühlt haben, für die meisten sei das Exil schon deshalb keine Alternative gewesen, „weil sie wirtschaftlich dazu außerstande waren“.

Er selbst habe die Nazis anfangs für belehrbar gehalten, was er Broch schon 1934 als Irrtum eingestand. Aber nie sei es Hitler gelungen, den geistigen Rückzugsraum der Inneren Emigration zu erobern. Mit dieser Formel ist ihm nach Ansicht des Herausgebers Paul Michael Lützeler noch eine „glänzende Nachkriegskarriere“ als Vizepräsident der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung gelungen. Als Autor blieb er dennoch im Schatten Brochs, Döblins und Thomas Manns. Zu Recht.

Hermann Broch und Frank Thiess: Briefwechsel 1929-38 und 1948-51. Herausgegeben von Paul Michael Lützeler. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 616 Seiten, 34 €.

Hannes Schwenger

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