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Alex Haley.

© mauritius images / SuperStock /

Schriftsteller Alex Haley: Der Autor, der die Sklaverei ins kollektive Gedächtnis holte

Alex Haley schrieb mit der Autobiografie von Malcolm X und dem Roman „Roots“ Schlüsselwerke afroamerikanischer Literatur. Eine Erinnerung zum 100. Geburtstag.

Von Andreas Busche

Beinah wäre das Projekt gescheitert, mit dem Alex Haley Berühmtheit erlangen sollte. Im Sommer 1963 trafen sich der Autor und Malcolm X regelmäßig in einem Studio im Greenwich Village, um gemeinsam an der Autobiografie des Nation-of-Islam-Sprechers zu arbeiten.

Stundenlang redeten sie, Haley stellte Fragen, bohrte nach, erinnerte er sich später – aber er biss auf Granit. Malcolm X wollte über Politik und Religion sprechen, zu dem Menschen Malcolm Little aber, zur Vorgeschichte einer des laut FBI gefährlichsten Männer in Amerika, konnte sein Biograf nicht vordringen.

Irgendwann hatte Malcolm X genug von den Fragen nach seinem Privatleben, wütend wollte er das Projekt beenden.  Erst als Haley ihn, ein letzter Rettungsversuch, nach seiner Mutter fragte, wurde der radikale Aktivist plötzlich ganz sanftmütig.

„The Autobiography of Malcolm X: As Told to Alex Haley“, das Ergebnis von über 50 Interviews, erschien 1965 nur wenige Monate nach der Ermordung von El Hajj Malik el-Shabazz, wie sich Malcolm X seit seinem Mekka-Besuch im Jahr zuvor nannte. Das Buch machte seinen Autor über Nacht bekannt und seinen Gesprächspartner posthum zur afroamerikanischen Ikone – obwohl der ursprüngliche Verlag Nelson Doubleday kurzfristig noch kalte Füße bekommen hatte. Über sechs Millionen Mal verkaufte sich das Buch weltweit, zuletzt wurde es 2003 auf Deutsch aufgelegt.

Der Schriftsteller Alex Haley, der am 11. August 1921 in Ithaca, New York geboren wurde, hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die Nachwelt von dem stets als kompromisslos beleumundeten Malcolm X, der noch heute oft als Gegenspieler Martin Luther Kings charakterisiert wird, ein differenzierteres Bild bekam. Malcolm X hatte sich mit der Wahl seines Biografen schon zu Lebzeiten sein Vermächtnis geschaffen. Barack Obama schrieb später in „Die Geschichte meiner Familie“, dass ihn als Jugendlicher die Autobiografie von Malcolm X mehr berührt habe als die Texte James Baldwins.

Von Haleys Ruhm blieb wenig übrig

Als Haley 1992 im Alter von 70 Jahren an einem Herzanfall starb – das Jahr, in dem Spike Lee mit seiner Verfilmung der Autobiografie ein Malcolm-X-Revival auslöste –, war von dem Ruhm des Autors wenig geblieben. Haley hatte sich in jahrelangen Rechtsstreitigkeiten um seinen zweiten epochalen Roman „Roots“ aufgerieben, der 1976 nach zehnjähriger Recherche erschienen war. Am Ende starb er entkräftet und mutlos. Doch die Geschichte seiner afrikanischen Vorfahren ist für Haleys Stellenwert in der amerikanischen Literatur vermutlich noch bedeutsamer als sein Malcolm-X-Buch. Sie machte auf einen blinden Fleck in der amerikanischen Geschichte aufmerksam: die Folgen des Sklavenhandels, der Mittelpassage, als eigentlichem Gründungsmythos der Vereinigten Staaten von Amerika.

„Roots“ wurde zwei Jahre später für das Fernsehen adaptiert, die Serie entwickelte sich trotz Vorbehalte des Senders ABC zum Straßenfeger . (Um den erwarteten wirtschaftlichen  Schaden zu begrenzen, wurden die Episoden an acht aufeinander folgenden Abenden ausgestrahlt) Am Ende hatten knapp 130 Millionen Menschen „Roots“ gesehen, die Serie löste in der afroamerikanischen Bevölkerung erstmals ein breites Interesse an dem bis dahin obskuren Forschungsgebiet der Genealogie aus.

Malcolm X hatte in den sechziger Jahren noch die Lehren Marcus Garveys gepredigt, der die Schwarzen von Amerika zurück nach Afrika führen wollte. Und plötzlich interessierte sich das schwarze Amerika für seine Herkunft. „Es gibt ein Amerika vor ’Roots’ und es gibt ein Amerika nach ’Roots’“, twitterte vor zwei Jahren LeVar Burton, der Hauptdarsteller der Originalserie (inzwischen gibt es ein Remake), zum Start seines Podcasts „This is My Story“. Haley habe die Aufklärung nach Amerika gebracht.

James Baldwin gehörte zu seinen Freunden

Die Bedeutung des Schriftstellers Alex Haley lässt sich weder literarisch noch politisch exakt festmachen. Malcolm X diente er vor allem als Ghostwriter; Haley hatte früh erkannt, dass da eine große Geschichte zu erwarten sei, weswegen er auch auf eine schnelle Veröffentlichung drängte. Doch die literarischen Qualitäten des befreundeten James Baldwin besaß er nicht. Und politisch hatten er und Malcolm ebenfalls wenig gemeinsam: Als moderater Republikaner stand er eher auf der Seite des integrativen Bürgerrechtlers Martin Luther King.

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Alex Haley verdient sich seinen Platz in der amerikanischen Nachkriegsliteratur als populärer Geschichtenerzähler, an den man sich nichtsdestotrotz wegen seines großen kulturellen Einflusses erinnert. Bevor er Ende der Fünfziger als freier Autor für „Reader’s Digest“ und „Playboy“ begann (bei ersterem auch als leitender Redakteur), hatte er zwanzig Jahre als erster Journalist mit Offiziersrang für die US-Küstenwache gearbeitet. Dort war er für die Pressekorrespondenz und die interne Publikation zuständig gewesen – und musste, erzählte er später amüsiert, wegen seiner gewählten Sprache auch so manchen Liebesbrief für die diensthabenden Offiziere schreiben. Auf der Höhepunkt seiner Popularität zierte er das Cover des „Time Magazine“.

Recherchen in Gambia und Liberia

Der Erfolg von „Roots“ sorgte aber auch für Kritik an seiner Arbeitsweise, speziell aus der wissenschaftlichen Ecke. Ahnenforscher wiesen Haley viele methodische Mängel und Ungenauigkeiten um die Geschichte seines Vorfahren Kunta Kinte, der Hauptfigur seines Romans, nach. Haley hatte für „Roots“ Jahre in Archiven verbracht, er hatte sich in Gambia und Liberia mehrmals auf die Spuren seiner Familie begeben. Später gab er zu, dass er trotz intensiver Recherchen, aber auch wegen vieler Leerstellen in den Dokumenten der amerikanischen Unternehmen, die mit Sklaven gehandelt haben, einige Kapitel zu einer faction, wie er es nannte, ausschmücken musste. Haley stand zudem im Mittelpunkt von drei Plagiatsvorwürfen: Er soll Passagen für sein Buch aus anderen Werken übernommen zu haben. Zwei der Anzeigen wiesen die Gerichte ab, im dritten Prozess einigten sich die Parteien außergerichtlich.

Doch die Zeit zeigt sich gnädig mit Alex Haleys Errungenschaften. Seit sich Amerika verstärkt mit der Erblast seiner Geschichte beschäftigt, wird seine Pionierarbeit wieder gewürdigt. Der Autor Charles Johnson, der für seinen Roman „Middle Passage“ 1990 den National Book Award gewann, vergleicht die Bedeutung von „Roots“ gar mit der Mondlandung. Heute führt Chris Haley die Arbeit seines Onkels fort, er leitet das Programm „Legacy of Slavery in Maryland“. Alex Haley hat mit seiner Hobbyforschung ein neues Licht auf die Rolle der Familie in der afroamerikanischen Community geworfen. Das ist sein größtes Vermächtnis.

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