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Der Dirigent Krzysztof Urbanski wurde 1982 in Polen geboren.

© Caroline Doutre

Schostakowitsch beim Konzerthausorchester: Keine Kriegsmusik bitte!

Das Konzerthausorchester ändert aus gegebenem Anlass sein Programm: gespielt wird Schostakowitschs Fünfte und Musik aus ukrainischer Feder.

Am Anfang steht eine „Melodie“ des ukrainischen Komponisten Myroslav Skoryk (1938–2020). Es ist ein kleines, sehnsuchtsvolles Stück, mit dem Alexander Pireev, Solocellist aus Kiew, auf einen besonderen Abend des Konzerthausorchesters einstimmt. Das Konzert bildet einen Schwerpunkt der Hommage an Dmitri Schostakowitsch, die im Konzerthaus gefeiert wird.

Auf Wunsch des polnischen Dirigenten Krzysztof Urbanski ist das Programm aus aktuellem Anlass geändert worden. Dazu gehört die Entscheidung, die vorgesehene Symphonie Nr. 7 von Schostakowitsch, die „Leningrader“, abzusetzen und stattdessen die Symphonie Nr. 5 zu spielen.

Ob es „unangemessen“ wäre, die „Leningrader Symphonie“ während des russischen Krieges und des Massentodes in der Ukraine überhaupt zu spielen, gehört zu den Rätseln um den Komponisten Schostakowitsch. Das Werk entsteht in der von deutschen Truppen belagerten Stadt Leningrad, wo es 1942 unter staatlicher Organisation auch aufgeführt wird. Schostakowitsch verarbeitet das Erlebnis Krieg auf patriotische Weise.

Vielleicht darf man heute den Erinnerungen des Komponisten glauben: „Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt.“

Im Jubelzwang des Marschfinales

In Berlin erklingt die Fünfte. Nachdem die „Prawda“ 1936 Werk und Weg Schostakowitschs verdammt hat, wendet er sich von aller Atonalität ab. Seine musikalische Rückwendung bringt ihm politische Rehabilitierung. Und ausgerechnet die Interpretation dieser Musik, die von der westlichen Welt als epigonal empfunden wurde, beschert dem Konzerthausorchester einen Erfolg ohnegleichen, phrenetischen Beifall, der nicht enden will.

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Auswendig dirigiert Urbanski die Symphonie, die er für das wahrscheinlich persönlichste Werk Schostakowitschs hält. Seine elegante Gestik schließt dynamische Feinabstimmung ein. Und er zelebriert, wie die Musik im Wissen um die verbotene Avantgarde in die neue Einfachheit geht. Das gilt in dem tragischen Memento des ersten und der walzenden Ironie zweiten Satzes wie im Jubelzwang des Marschfinales. Dankbar ist das Ganze, weil die Kompositionskunst des Meisters Soli der Reihe nach abruft und dem Orchester viel Gelegenheit gibt, sich in brillanter Form zu präsentieren.

Passend in den Abend wird das „Concerto funèbre“ eingefügt, das Karl Amadeus Hartmann 1939 aus Entsetzen über den Einmarsch der deutschen Truppen in Polen geschrieben hat. Klage und Aggression sind darin, aber auch die Zuversicht zweier Choräle. Die Aura dieses Violinkonzerts ist Einsamkeit, und inniger kann es nicht gespielt werden als von Kolja Blacher, dessen Geigenton seine grazile Schönheit entfaltet.

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