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Konservativ. Brie Larson als Jeannette Walls, die als Kind mit ihren wilden Eltern viel durchmachen musste.

©  Studiocanal

„Schloss aus Glas“ im Kino: Aus der Traum

Szenen einer anarchisch-verwilderten Kindheit: Daniel Cretton verfilmt mit „Schloss aus Glas“ die Memoiren von Jeannette Walls.

Niemals zur Schule müssen, im ganzen Land zu Hause sein, abenteuerliche Fahrten auf der Ladefläche eines Lkws. Ein Vater, der allein mit seinen Worten Fantasiewelten entstehen lassen kann, um kurz darauf Rassisten zu beschimpfen und kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse anzuprangern. Das klingt nach paradiesischen Zuständen, nach dem Kindheitstraum schlechthin. Bereits im vergangenen Jahr spielte Viggo Mortensen mit „Captain Fantastic“ einen Aussteiger, der seine Kinder zu perfekten kleinen Marxisten erzog – ein wohlfühllinker Crowdpleaser. „Schloss aus Glas“ basiert hingegen auf wahren Begebenheiten, im Abspann zeugen die dokumentarischen Aufnahmen eines Familienzusammentreffens davon.

Es handelt sich um die verfilmten Memoiren der Schriftstellerin Jeannette Walls, die bis zu ihrer Veröffentlichung im Jahre 2006 Klatschkolumnen geschrieben hatte. 261 Wochen lang stand das Buch auf der Bestsellerliste der New York Times. Aber die Realität ist selten so märchenhaft wie eine Kinofantasie, Faszination wird durch ungläubiges Kopfschütteln abgelöst. Wilde Fahrten im Lkw gibt es immer dann, wenn die Last der unbezahlten Rechnungen zu sehr drückt, wenn die Familie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor dem Gerichtsvollzieher türmen muss. Jeannettes Mutter Rose Mary (Naomi Watts) malt ohne nennenswerten Erfolg und Vater Rex (Woody Harrelson) ist zwar ein Mann voller Wissen und Ideen, bringt aber doch nie etwas zu Ende. Er kämpft gegen seine eigenen Dämonen, versäuft das letzte Geld der Familie.

Amerikanischer Generationenkonflikt

In „Schloss aus Glas“ wechseln sich Szenen der anarchisch-verwilderten Kindheit mit Jeannettes Zeit als Kolumnistin ab, der Film schwankt ständig zwischen Trinkerdrama und Coming-of-Age-Konflikten, die bis weit in die Erwachsenenjahre hineinreichen. Da ist die schmuckbehangene Jeannette Walls, gespielt von Brie Larson, mit einem Finanzjongleur verlobt. Mit der Oscarpreisträgerin hatte Regisseur Destin Daniel Cretton schon in „Short Term 12 – Stille Helden“ zusammengearbeitet, eine kleine Indie-Sensation über eine Pädagogin, die bei der Arbeit in einem Heim für schwer erziehbare Kinder an ihre Grenzen stößt.

Auch in „Schloss aus Glas“ interessieren Cretton die sozialen Aspekte der Geschichte, am Beispiel einer Familie erzählt er im Grunde von einem amerikanischen Generationenkonflikt. Im Teenageralter bittet Jeannette ihre Mutter einmal, endlich den sturzbetrunkenen Vater zu verlassen. Doch die kann es nicht. Er sei der Einzige gewesen, der ihr Talent als Malerin gegenüber der Mutter verteidigt habe. Der Ursprung für seine Trinkerei rührt ebenfalls aus den familiären Abgründen. Rose Mary und Rex gehören zu einer Generation, die einst selbst rebellierte: gegen Perspektivlosigkeit im Niemandsland des Mittleren Westens, den eingeschränkten Horizont ihrer White-Trash-Eltern. Aber der naive Hippietraum scheitert. Sie bekommen Kinder, deren Rebellion darin besteht, die Rolle vernünftiger Erwachsener einzunehmen, sich auf konservative Werte zu besinnen.

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Gegen Ende kippt die Stimmung ins Sentimentale

Konservativ im Sinne einer konventionellen Bildsprache kommt auch „Schloss aus Glas“ daher. Die Kamera bleibt stets nah bei Jeannette, ihrer Sicht auf die Situation und der Frage, ob Rose Mary und Rex im Rückblick gute oder schlechte Eltern waren. Destin Daniel Crettons Antwort bemüht sich um Ausgleich. Alles andere wäre auch heuchlerisch, nicht zuletzt verdankt Jeannette Walls den Erfahrungen und Anekdoten ihrer Kindheit eine Karriere als Bestsellerautorin.

Aber im argumentativen Einerseits-Andererseits entwickeln sich Längen, gegen Ende des Films kippt die Stimmung dann ins Sentimentale. Der Rekapitulation einer Familienodyssee mit alkoholkrankem Vater wird der Film thematisch gerecht, aber erinnerungswürdige Bilder schafft Regisseur Destin Daniel Cretton nicht. Der Film ist gewissermaßen die Antithese zum titelgebenden Schloss aus Glas, das Rex seiner Familie immer wieder zu bauen verspricht. Die Pläne, die Grundrisse sind tadellos und sogar der Bau ist irgendwann beendet. Nur fehlt in der Umsetzung leider das entscheidende Bisschen Fantasie.

In 13 Berliner Kinos, OmU: Hackesche Höfe, Eiszeit, Babylon Kreuzberg, Odeon, Filmtheater Friedrichshain, Kulturbrauerei

Katrin Doerksen

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