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Das Schleswig-Holstein Festival Orchester.

© Kai Bienert

Schleswig-Holstein bei Young Euro Classic: Süffig, schwelgerisch und schlank

Das Schleswig-Holstein Festival Orchester spielt Berio und Tschaikowsky bei Young Euro Classic.

Vielleicht hat sich kein anderer Komponist nach 1945 so sehr mit dem auseinandergesetzt, was andere vor ihm geschaffen haben, wie Luciano Berio. Zitieren, arrangieren, anverwandeln, sei es Monteverdi, Purcell, Mahler oder Schönberg, hat das Oeuvre des 2003 gestorbenen Italieners entscheidend mitgeprägt. Da überrascht es nicht, dass Berio sich auch als Vervollständiger betätigt hat, dass er Fragment gebliebene Werke als Herausforderung begriff.

Für „Turandot“ schrieb er ein neues Finale – und aus den Skizzen, die Schubert zu einer 10. Symphonie hinterließ, machte er ein aufführbares Werk von 30 Minuten Länge. „Rendering“ heißt das Stück, das jetzt vom Schleswig-Holstein Festival Orchestra bei Young Euro Classic im Konzerthaus gespielt wurde.

Dabei hat Berio Schubert nicht „überarbeitet“. Er präsentiert das Material, das vorhanden ist, in originaler Instrumentierung – und füllt quasi die Leerstellen. Signalwirkung hat die Celesta: Immer, wenn sie erklingt, verlassen wir Schubert, scheint sich die Tür in ein anderes Zimmer zu öffnen.

Der Klang verrutscht gleichsam, und das ist nicht verwunderlich, arbeitet Berio doch viel mit Glissandi. Deutlich hörbar sind die beiden Stile voneinander geschieden, und der Gegensatz zwischen den klassisch-klaren Linien des einen und dem Mystizismus des anderen, die gleichwohl schlüssig vermittelt sind, ist voller Reiz.

Der lettische Dirigent Andris Poga leitet das Orchester, das sich jedes Jahr neu zusammensetzt, mit bedächtiger, wohlgesetzter, hochkonzentrierter Gestik, die aber überhaupt kein bedächtiges Spiel zur Folge hat. Sondern im Gegenteil einen Raum ermöglicht, in dem sich musikalischen Emotionen austoben können. Süffig, schwelgerisch ist der Klang, trotzdem von gewisser Schlankheit.

Der Tagtraum eines Fiebernden

Beste Voraussetzungen, denkt man, um auch die Klippen von Tschaikowskys pompöser 5. Symphonie zu meistern, deren überbordende Bildhaftigkeit Adorno zum vernichtenden Urteil „Kitsch“ provozierte, die auch den Komponisten selbst zweifeln und verzweifeln ließ. Mit Entschlossenheit und Präzision stürzen sich die jungen Musiker und Musikerinnen in die vier Sätze, zaubern die Streicher einen glasklaren, herrlichen Strich, gelingen Dynamikverschiebungen auf engstem Raum.

Der 2. Satz gleicht dem Tagtraum eines Fiebernden. Und doch ist nicht nur die Pauke zu dominant, das Orchester bleibt einer traditionellen Überwältigungsästhetik verhaftet: So spielt man Tschaikowsky eben. Nach Pogas zartklugen Zugriff auf Schubert/Berio hatte man doch etwas anderes erwartet, oder erhofft.

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