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Kultur: Schlaflos in Portland

Grandios ist nicht genug: Die US-Band The Shins und ihr neues Album

Es dauert, bis die Benommenheit nachlässt. Aber dann, nach 42 wogenden, berauschenden Minuten, fragt man sich verdutzt: Ist eigentlich ein einziger Refrain bei den vielen Gelegenheiten, die es dafür gegeben hätte, erklungen? Sind hier tatsächlich elf Popsongs entstanden, ohne eine einzige Zeile, die den Wort- und Akkordstrom auf den Punkt bringt?

Die Songs der amerikanischen Band The Shins scheinen sich wie Wolken vor die Sonne des Verstandes zu schieben, um immer wieder neue Strahlenfächer über die Landschaft unseres Gemüts zu schicken. Trotzdem wird die Enttäuschung groß sein, wenn in dieser Woche das dritte Album der Band auf dem einstigen Nirvana-Label Sub Pop herauskommt. Es ist unvermeidlich. Denn „Wincing the Night Away“ folgt nach dreijährigem Schweigen auf das phänomenale „Chutes Too Narrow“-Album, das seinerzeit etliche Jahresbestenlisten in Musikmagazinen angeführt hatte. Erst kürzlich adelte der „Spiegel“ es noch einmal „als beste, kompletteste und berührendste Indie- Pop-Platte der letzten Jahre“. Ein Juwel ist sie allemal. Von klarer, zeitlos-schwebender Schönheit. Die Songs winden sich aus dem lieblichen Kosmos der Wandergitarre hinaus- und ins Herz einer Pop-Emphase hinein, zu der sich Sänger und Songwriter James Mercer immer in dem Wissen um ihre Unerfüllbarkeit versteigt.

Drei Jahre sind aber eine lange Zeit. Verklärungszeit. Zumal Zach Braffs Vorstadtfilm „Garden State“ mit Natalie Portman in der Hauptrolle den Shins 2004 eine Schlüsselszene schenkte. Da hört der heimatmüde Held zufällig den Song „New Slang“, was sein Leben verändert, so wie man sich das auch für sich selbst erhofft: ein einziges Lied, und man ist ein anderer, verständnisvollerer Mensch.

Diesem Anspruch kann das Quartett, dessen Platten sich über eine Million mal verkauft haben, nur mit einem Superalbum gerecht werden. Ein Superalbum aber ist „Wincing the Night away“ nicht. Gewiss, es ist immer noch einfallsreicher, gefühlvoller und stimmungssicherer als das meiste, was einem als innovativ verkauft wird. Aber von einer Band, die einmal sich selbst übertroffen hat, will man nicht mehr nur eine gute Platte hören. Das Ohr ist ungerecht.

Andererseits muss etwas dran sein an dieser Musik, wenn sie auf einprägsame Wiederholungen – Kernprinzip der Popkultur – verzichtet, ohne dass man es überhaupt merkt. Dabei sind The Shins (die Schienbeine) keine verkopften Hit-Verweigerer. „I’ve earned myself an impossible crime“, flötet Sänger und Songschreiber James Mercer in „Split Needles“, dem Song, der das Drama des Komponierens in lakonisch aneinandergereihte Poesiefetzen hüllt: „I have to paint myself a hole and fall inside.” Die Sehnsucht, sich an eine Mission zu verlieren, die nur in der eigenen Fantasie lebt, wird in Mercers Musik zum Horrortrip, durch brennende Tore, durch Tunnel und Kellerverliese, „die einem früher die Zähne klappern ließen“. James in Wonderland.

Der sympathisch-unscheinbare Musiker aus Albuquerque, New Mexico, ist von Weggefährten umgeben, die ihn schon einmal durch Gründung, lokalen Erfolg, erste Single-Veröffentlichungen und Zerfall einer Band begleitet haben. Jesse Sandoval am Schlagzeug, Keyboarder Marty Crandall sowie Bassist Dave Hernandez folgten ihrem Frontman sogar geschlossen in die Studentenstadt Portland, Oregon, wo das Post-Rock-Quartett sich in seliger Nachbarschaft zu geistesverwandten Schlurfbands wie Modest Mouse und Death Cab For Cutie.

Noch immer werden Mercer & Co von grandiosen Melodien vorangetrieben. Aber die Gangart hat sich verlangsamt, die Kraft ist entwichen. Elektronische Loops, Vocoder- und Knurpsel-Effekte halten donnernde Hymnen wie das Auftaktstück „Sleeping Lessons“ im Zaum; HipHop-Beats, ein pulsierender Bass und sägende Background-Gitarren bändigen „Sealegs“, das sich auf diese Weise genüsslich weghören lässt; „Red Rabbit“ gerät zur psychedelischen Spielkastenmusik; auch „Girl Sailor“ zeigt die Band von ihrer sanften, beschaulichen Seite – und endet in der wunderbaren Bitte an den Vagabunden, das Mädchen diesmal zu verschonen: „Sail her don’t sink her this time“.

Schließlich gibt es aber doch etliche Popsongs, die in ihrer trällernden Unbeschwertheit an frühere Euphoriemomente anschließen. „Australia“, „Pantom Limb“ und „Turn Me On“, allesamt Liebeslieder, tragen wieder diesen nagenden Zweifel in sich. Ist nur das Scheitern schön? Ist Zorn angebrachter als Enttäuschung?

„Wincing the Night away“ öffnet seine Pforten langsam. Zwischen den Zeilen hausen jene Schmerzgestalten, die den von Schlaflosigkeit geplagten Shins-Sänger durch die Nächte führen.

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