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Eine Trophäe, die Macht verleihen soll. Elefantenzahn mit Relief, Cabinda (Angola), 19. Jh.

© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum / Martin Franken

Schlachthaus Afrika: Das Humboldt Forum beleuchtet das blutige Geschäft des Elfenbeinhandels

Elfenbein gilt als ältestes Kreativmaterial der Menschheit. Die Schau „Elefant – Mensch – Elfenbein“ folgt der Ausbeuterwirtschaft. Aber sie nennt die Dinge nicht klar genug beim Namen.

Die erste Sonderausstellung im Humboldt Forum hat große Bedeutung. Sie ist eine Visitenkarte, sie kann zeigen, wohin die Reise geht. Das Thema „Elefant – Mensch – Elfenbein“, noch von Gründungsintendant Neil MacGregor angestoßen, dreht sich um Kernthemen des Forums: um Afrika, Kolonialherrschaft, Naturzerstörung, Menschenhandel. In der Diskussion um die Benin Bronzen und Raubkunst steckt viel Symbolik.

Elfenbein steht für brutalste und systematische Ausbeuterwirtschaft über viele Jahrhunderte. „Schrecklich schön“, wie der Titel der von Grit Keller, Alberto Saviello und Daniel Tyradellis kuratierten Ausstellung im Erdgeschoss raunt, ist dabei eigentlich nichts. Es ist nur schrecklich.

Elfenbein gilt als ältestes Kreativmaterial der Menschheit, neben Stein und Holz. Kleine Skulpturen von Menschen und Tieren aus Mammut-Zähnen haben ein Alter von bis zu 40 000 Jahren. Afrikanisches Elfenbein hatte bereits um 2000 v. Chr. Abnehmer in Ägypten, Phönizien, Mesopotamien, es ist flexibler und heller als das asiatische. Elfenbein, wie Gold und Edelstein, genoss Kultstatus. Es symbolisierte Reichtum und Würde.

Um 300 v. Chr. sind von Nordafrika aus Expeditionen zur Elefantenjagd dokumentiert. Später kontrollierten Araber und Portugiesen den Handel in Ostafrika. Engländer und Holländer stiegen in das Business ein. So elegant die ausgewählten Schmuckstücke, Reliefs, Statuen, Gefäße aus Elfenbein erscheinen: Ihre Herkunft ist blutig.

Immer weiter drangen die Jagdtrupps von den Handelsposten an der Küste ins afrikanische Landesinnere vor, um Elefantenherden abzuschlachten. Bald entwickelt sich eine Transportmethode, die doppelten Gewinn abwarf. Die Träger wurden nicht mehr angeheuert und bezahlt, sondern die Handelsgesellschaften machten die Elfenbeinträger zu Sklaven. So gelangten sie, wenn sie den Marsch überstanden, an die Küste, wo sie verkauft und verschifft werden.

Klavier und Billard wurden aus Elfenbein gemacht

Menschen wie Elefanten wurden wie ein nachwachsender Rohstoff behandelt, eingesammelt in blutiger Ernte. Sklaverei und Elfenbeingeschäft gingen Hand in Hand, sind historisch-politisch nicht voneinander zu trennen: Menschenraub und Massaker an den Tieren.

Spiele, wissenschaftliche Instrumente, Möbel, Schmuck, Knöpfe, Pfeifen, Griffe und Knäufe – all das wurde in den jungen Industriestaaten aus Elfenbein gefertigt. Martin Meredith macht in seinem Buch „Der Afrikanische Elefant“ eine grausige Rechnung auf: „Von 1850 bis 1910 importierte Großbritannien im Durchschnitt 500 Tonnen Elfenbein im Jahr. Ende des 19. Jahrhunderts lag der weltweite Verbrauch bei rund 1000 Tonnen. Für die Elefanten bedeutete dies nach zeitgenössischen Schätzungen, dass jährlich 65 000 Elefanten getötet wurden, um die Nachfrage zu befriedigen.“

Das Klavier als Statussymbol war ein Killer, wie das Billard. Für ein Set von 16 Kugeln mussten zwei Elefanten ihrer Stoßzähne wegen sterben.

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Einst lebten in Afrika Millionen Elefanten. Heute sind es geschätzt um die 350 000, in Asien nur noch 50 000. Die Ausstellung im Humboldt Forum hält diese Zahlen bereit, allerdings nicht sofort. Erst einmal gibt es in dem seltsam verbauten Parcours zwischen Säulen und hohen Wänden Beispiele feinster Elfenbeinschnitzkunst zu sehen, besonders eine Herkulesgruppe des Barockkünstlers Balthasar Permoser. Die Farbe des Materials verlieh den Objekten, ob religiöser Art oder zur Dekoration, eine Aura der Macht.

Der große Zusammenhang geht etwas verloren

Es ist weiß, wie die Europäer, die sich für überlegen hielten. Ein Kruzifix aus Elfenbein verrät, wie sehr auch im Christentum animistische Vorstellungen stecken. Das Bode-Museum auf der Museumsinsel besitzt etliche Schnitzwerke aus Elfenbein aus zumeist byzantinischer Provenienz. Wo bleibt der Hinweis in der Sonderausstellung? Will das Humboldt Forum nicht mit den Häusern auf der Museumsinsel zusammenarbeiten, war das nicht ein Hauptgedanke?

Elfenbein kann auch, wie man hier erfährt, in der Humanmedizin für Knochen- und Zahnersatz benutzt werden. Es ist ja nichts anderes als Zahnmaterial. Seine vielseitige Verwendbarkeit im bürgerlichen Alltag wie an Fürstenhöfen ist den Tieren zum Verhängnis geworden. Dabei spielt eine Rolle, dass der Elefant ein so mächtiges, majestätisches Wesen ist.

Wer Elfenbein besitzt, verleibt sich etwas ein von dieser Urkraft, so glaubte man einmal. In der indischen Mythologie stehen drei Weltelefanten auf dem Rücken einer Schildkröte und tragen den Planeten. Von dem sie eines nicht mehr allzu fernen Tages verschwunden sein könnten, wie man heute bitter konstatieren muss.

Viele kleine Objekte aus dem Elefantenbein, Flöten, Kämme, Schreine, finden sich in den Ausstellungsvitrinen. Dabei geht im Detail der große Zusammenhang verloren. Mit etwas Fleiß und Neugier entdeckt man auch das Modul, in dem der Sklavenhandel angesprochen wird.

Aber es müsste ins Auge springen, wie alles zusammengehört – das unsagbare Leid der verschleppten Menschen, die beinahe Ausrottung der Tiere, das ganze koloniale Wirtschaftssystem, bei dem das Elfenbeingeschäft im Zentrum stand. Das ist für das Humboldt Forum ein neuralgischer Punkt. Leider fehlt zum Auftakt die Entschiedenheit, die Dinge so hart und klar zu benennen, wie sie sich darstellen, bis heute.

Auch später vermisst man einen Hinweis

Trotz internationaler Handels- und Einfuhrverbote schießen Wilderer weiter auf die schon arg dezimierten Herden. Tierschützer in afrikanischen Schutzgebieten liefern sich Feuergefechte mit den Kriminellen. Ein ungewöhnliches Objekt am Ende der Ausstellung lässt ahnen, wie wild es zugeht.

Da steht ein zerbeulter Landrover, er wurde von einem liebeskranken Elefanten zertrampelt; die Insassen, Mitarbeiter von „Save the Elephants“ konnten gerade noch entkommen. Wichtig wäre hier dann auch der Hinweis auf die Touristen gewesen. Denn wenn Menschen viel bezahlen, um die Elefanten in freier Natur zu betrachten, dann könnte das Tieren wie Menschen helfen, die in Angola oder Botswana von den Tourismus leben.

Der französische Schriftsteller Romain Gary gewann 1956 mit einem Afrika-Roman den Prix Goncourt. „Les Racines du Ciel“ („Die Wurzeln des Himmels“) erzählt die Geschichte eines weißen Mannes, der in Afrika Jagd auf die Elefantenjäger macht.

Er schwärmt: „Jedesmal wenn man ihnen im Steppengebiet begegnet und sieht, wie sie ihre Rüssel und großen Ohren bewegen, muss man lächeln, ob man will oder nicht. Gerade ihre Ungeschicklichkeit, ihre gigantische Größe, verkörpert in so ungeheuren Ausmaßen die Freiheit selbst, dass man zu schwärmen beginnt. Im Grunde genommen sind es die letzten wirklichen Individuen.“

Totalitäre Ideologien formen einen neuen Menschen

Da lag Garys Grundgedanke. Totalitäre Ideologien, rücksichtsloser Kapitalismus, die fortschreitende Industrialisierung und Verplanung der Welt, all das formt einen neuen Menschen, der nicht mehr frei ist. Die Elefanten – nach Jahrhunderten und Jahrtausenden der Verfolgung – erwischt es bei den globalen Umwälzungen immer besonders hart. Wenn ihre Freiheit und Natur daran glauben müssen, gibt es für den Menschen kaum mehr Hoffnung. Wenn die „Wurzeln des Himmels“ abgeschnitten sind. Garys Empathie und Radikalität sind immer noch beispielhaft. Heute würde man ihn als Aktivist feiern.

„Schrecklich schön“ erzählt dies und das vom Elfenbein, es ist keine Ausstellung über Elefanten. Aber wie kann man Tier und Trophäe trennen? Die Elefanten werden schmerzlich vermisst. Im Begleitbuch (Hirmer Verlag, 200 Seiten, 29,90 Euro) sind sie präsenter – als Kinosujet oder als schwierige Nachbarn in immer kleineren Habitaten. Elefanten sind nicht nur von der Ausrottung bedroht. Sie werden auch dort zurückgedrängt, wo sie nicht gewildert werden. Sie kommen mit Bauern in Konflikt und wachsenden menschlichen Ansiedlungen.

Ein Rumoren zieht durch die Ausstellung, Atemgeräusche eines Elefanten. Es soll daran erinnern, dass Elfenbein lebendiges Material ist, wenn es auch bleich wie der Tod erscheinen kann. Man verlässt diese erste Sonderausstellung im endlich eröffneten Humboldt Forum doch eher ungerührt – wie kann das sein bei einem solchen Menschheitsthema! Nicht schön zu sagen, aber man tritt heraus aus einem Elfenbeinturm.

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