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Happy Birthday, Held! Zum 100. Geburtstag gibt’s Torte für Jedermann (Tobias Moretti) und Buhlschaft (Caroline Peters).

© SF/Matthias Horn

Schauspielpremieren der Salzburger Festspiele2020: Jedermann und Biedermann

Hofmannsthal trifft Handke: Die Salzburger Festspiele und ihre Pandemie-Premieren – eine Bilanz.

Die Pandemie bringe vieles an den Tag, liest man immer wieder, ein großer Sichtbarmacher sei das unsichtbare Virus. In seinem Licht zeigt sich auch Unerwartetes und eine Menge schräger Bilder. Wenn voll subventionierte Profichöre angesichts von Vorsichtsmaßnahmen von einem „Berufsverbot“ sprechen oder die Berliner Philharmoniker plötzlich um Spenden bitten, scheinen elementare Verabredungen im Kulturbereich ins Rutschen gekommen zu sein.

Auch Tobias Moretti, der Salzburger „Jedermann“, will seinen Senf zu den Corona-Festspielen geben. „Es ist unfassbar wohltuend, dass die Horden von Chinesen heuer ausfallen“, sagt er und legt dar, dass diese sowieso keinen echten Beitrag zu dem Geschäft leisten, das die Festspiele seit Reinhardts Zeiten versprechen. Der Gründervater sagte potente Gäste und wohlhabende Zuzügler für Salzburg voraus. Da hat man 1920 mindestens so genau hingehört wie bei der Vision, durch ein kulturelles Zusammenkommen den Hass des Weltkriegs zu überwinden.

Hier begannen die Studien über Wirtschaftskraft von Kultur

Nirgendwo wird so genau ermittelt wie in Salzburg, wie viel Geld ein Gast wert ist. Hier haben alle Studien über den wirtschaftlichen Nutzen von Kultur ihren Ursprung. Quasi zur Buße muss seit 100 Jahren Jedermann vor dem ehrfurchtgebietenden Domportal von all seinen irdischen Besitzungen scheiden.

Plötzlich tritt der Tod an den reichen Mann heran, der erkennt, dass seine Werke schwach geblieben sind und nicht für ihn einstehen können. Moretti ist dieses Jahr zum letzten Mal dieser Jedermann. Er führt vor, wie ihm nicht der Dünkel, wohl aber die Kraft ausgeht, um diesen zum Sterben abberufenen Lebemann noch einmal durch die Jubiläumssaison zu tragen.

Sicher würden die Schwächen der Inszenierung von Michael Sturminger, vor drei Jahren nur als Notbehelf installiert, weniger auffallen, wäre das seit 1920 die Szene dominierende Element im Spiel, der Dom mit seinem Geläut. Doch Unwetter begleiten diese Premierentage, sie haben die Salzach bis an die Hochwasserwarnmarke anschwellen lassen. Die ersten beiden von 14 ausverkauften Aufführungen mussten ins Große Festspielhaus umziehen. Dort gibt es keinerlei atmosphärische Hilfestellungen, hier zählt, was tatsächlich rund um das letzte Gelage mit den Figuren passiert.

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Viel ist es nicht, obwohl die Erscheinung von Peter Lohmeyers pfahldürrem Tod noch immer eindrucksvoll ist. Nur weiß er das inzwischen auch und spult sein Programm routiniert herunter. So ruhen alle Erwartungen auf der neuen Buhlschaft, die mit Caroline Peters einen Typ Frau verspricht, der nicht eben Stammgast dieses Traditionsspiels ist.

Ihren ersten Auftritt begleitet denn auch ein Vorwurf an den säumigen Gastgeber, dabei ist es doch die Buhlschaft selbst, die hier verspätet für ein hingehauchtes „Happy Birthday, dear Jedermann“ auf eine Riesentorte steigt. Marilyn Monroe sang für JFK, Caroline Peters tritt mit ironischer Distanz aus diesem langen Schatten.

Unschlagbar ist diese Darstellerin immer dann, wenn sie sich in ihrem Unabhängigkeitsstreben verheddert und dieses Straucheln dann zu überspielen sucht. Mit welchem Witz und Furor sich Caroline Peters aus einer ungemütlichen Ecke herausarbeiten kann, ist eine Freude.

Leider darf man das in Salzburg nicht erleben, dafür fehlt diesem bleiernen Abend jegliche Nähe. Es bleibt das Bild einer schönen, kühlen Frau in rotem Hosenkleid, deren Abschied von Jedermann sang- und klanglos ist, weil schon vorher nichts war. Der einzige erfüllte Moment liegt im Auftritt von Edith Clever als Jedermanns Mutter. Was für eine unerbittliche Zartheit liegt im Spiel der 79-Jährigen, die hier alle so weit überragt.

Zdenek Adamec. Eine Szene. Die andere Schauspielpremiere bestreitet diese Handke-Produktion mit Hanns Zischler und Eva Löbau (l.).
Zdenek Adamec. Eine Szene. Die andere Schauspielpremiere bestreitet diese Handke-Produktion mit Hanns Zischler und Eva Löbau (l.).

© SF/Ruth Walz

„Biedermann“ müsste das Signature Play der Festspiele angesichts seines trostlosen Zustands heißen – und das schürt unwillkürlich die Sehnsucht nach einem Brandstifter. Weil im Bereich Schauspiel die großen Neuinszenierungen von Shakespeare, Schiller und Hofmannsthal sämtlich dem gestrafften Pandemie-Spielplan zum Opfer fallen, ist es ausgerechnet Peter Handke, der in diese Rolle rutscht. Selbstbewusst genug, mit einer schwer durchdringbaren Mischung aus ganz jungem und sehr altem Trotz, ist der österreichische Nobelpreisträger dafür allemal.

Die im Vorfeld angekündigten Proteste gegen Handke blieben aus, nicht aber das Unbehagen gegenüber einem Künstler, der einen Genozid verharmlost und Rosen auf das Grab eines Kriegsverbrechers legt. Genau 25 Jahre ist das Massaker von Srebrenica jetzt her. Von Handke, dem sich ewig missverstanden Wähnenden, ist dazu in seinem neuen Stück kein Kommentar zu erwarten. Vielmehr zündet schon das Zitat, das für sein Werk wirbt, die poetische Nebelkerze: „Keine Interpretation! So war’s doch ausgemacht für unser Spiel, oder?“ „Ja, so war es abgemacht.“

In Prag übergießt er sich mit Benzin und verbrennt

In „Zdenek Adamec. Eine Szene“ lässt Handke ein Gewirr von nicht ortbaren Stimmen Mutmaßungen über einen jungen Mann aus Südböhmen anstellen, der nach Prag fuhr, um sich dort am Morgen des 6. März 2003 mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Zdenek Adamec wählte dafür die gleiche Stelle, an der sich 1969 Jan Palach aus Protest gegen die sowjetische Invasion öffentlich das Leben nahm.

Er wird heute als Held verehrt, während Adamec als krank eingestuft und alsbald vergessen wurde. Worüber nicht offen gesprochen wird, auch nicht in Handkes Szene: Die Tat des 18-jährigen Einzelgängers, der in seinem Abschiedsbrief beklagt, dass Geld und Macht die Welt korrumpieren, fand nicht wenige Nachahmer. Über ihnen liegt ein quasireligiöses Schweigegebot. Handke nennt Adamecs Brief einen „Menschenkindjammer“, ja einen „Psalm“. Heilig ist er ihm aber nicht.

[Viele Produktionen werden im TV sowie online übertragen: www.salzburgerfestspiele.at/uebertragungen]

Dafür schmunzelt der Autor viel zu sehr in sich hinein, ja, er kalauert sich auch durch seinen eigenen Textwust und belegt erklärte Feinde mit Sottisen wie „zwischendurch ist Journalismus almost alright“. Diese Geisteshaltung gibt es en gros, manchmal sprachlich etwas anspruchsvoller variiert wie hier, immerhin mit einer Anspielung auf Rilke: „Es ist, als ob es nur noch Aktualitäten gäbe, und hinter tausend Aktualitäten keine Welt.“

So sehr sich Handke danach um seinen berühmten Kindheitston bemüht, den er dem schlittenfahrenden Zdenek souffliert – es ist etwas ungelüftet Ältliches um diese Verse. Dass sich ihr Autor für die Anbetung seiner poetischen Asche eines verbrennenden jungen Menschen bedienen muss, wirkt abgeschmackt.

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Obwohl das Stück eine Inszenierung also nicht unbedingt rechtfertigt: So, wie es Friederike Heller auf die Bühne des Landestheaters gestellt hat, geht es überhaupt nicht. Die Regisseurin splittet den Text auf sieben Akteure auf, drei Frauen (darunter Handke-Gattin Sophie Semin) und vier Männer.

Die Gruppe lungert unter einer Stahlkonstruktion mit hohen Bögen herum und erinnert in ihrem ostentativ bunt gescheckten Aufzug und grober Typisierung an eine Laienspielschar, nicht aber an jene zufälligen Passanten, die Handke hier im Sinn hatte.

Das Toxische bleibt unberührt

Die Durchdringung des Textes verharrt im Stadium der Erstlektüre und rührt das Toxische darin nicht an. Peter Thiessen, Sänger der Pop-Band Kante, darf ab und zu Musik zum Wohlfühlen anstimmen. Feine Milde aber hat Handke sicher nicht verdient, und das sähe er wohl ausnahmsweise selbst genauso.

Fazit dieses verkürzten Salzburger Pandemie-Premierenreigens 2020: „Elektra“ kostet genüsslich aus, nach Monaten wieder ein Orchester in seiner vollen Wucht zu hören. „Così fan tutte“ zeigt, dass man Mozart klug zusammenstreichen kann und weniger Opernapparat manchmal mehr Nähe bedeutet. Die Geburtstagstorte zum 100. von „Jedermann“ pappt und Peter Handke ist mehr in den Fokus gerutscht, als sein neues Stück erlaubt.

Ob das Kalkül aufgeht und Salzburg wirklich als leuchtendes Beispiel für den überlegenen kulturellen Umgang mit dem Virus gelten darf, wird sich erst erweisen. Eines ist jetzt schon klar: Das Konzept mit regelmäßig getesteten Musikern, Sängern und Schauspielern lässt sich vielleicht über vier Wochen hinweg im geschlossenen Festspielsystem durchhalten. Für eine ganze Großstadt-Spielzeit bietet es wenig Aussicht auf verlässlichen Schutz.

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