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Sandra Hüller, 39, bekam 2006 für „Requiem“ einen Silbernen Bären und für „Toni Erdmann“ die Lola und den Europäischen Filmpreis.

© Jörg Carstensen/dpa

Schauspielerin Sandra Hüller im Gespräch: „Der Witz liegt in der Verzweiflung“

Ihr Film „In den Gängen“ startet im Wettbewerb der Berlinale. Die Schauspielerin Sandra Hüller über Gabelstapler, Nacktpartys und das Leben nach „Toni Erdmann“.

Von Andreas Busche

Frau Hüller, „In den Gängen“ spielt in Ostdeutschland, Sie sind in der DDR aufgewachsen. War das für Sie ausschlaggebend, die Rolle der Großmarktangestellten in Thomas Stubers Film zu spielen?

Thomas Stuber und ich wollten schon länger zusammenarbeiten. Mir gefiel, wie sein Drehbuch diese Gemeinschaft der Angestellten beschreibt. Der Film eröffnet eine andere Sicht auf die Folgen der Wende und auf das, was von der DDR 30 Jahre nach der Wiedervereinigung geblieben ist. Die Angestellten entwickeln im Mikrokosmos eines Großmarktes ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das auf gemeinsamen Werten basiert.

Wie würden Sie Ihre Figur Marion beschreiben?

Marion versucht mit aller Kraft, ihr Leben zu verschönern. Und das geht nur in ihrer Arbeitswelt. Jeder hat in seiner Abteilung des Markts einen Aufgabenbereich, in denen feste Regeln herrschen. Aber innerhalb dieser Vorgaben genießt sie Freiräume und die werden von allen akzeptiert. Das ist doch wunderbar. Sie flirtet gerne und provoziert ihre Kollegen. Erst spät realisiert man, dass sie diese Freiheiten in ihrer Ehe nicht hat. Sie führt ein Doppelleben.

Wie viel mussten Sie über Marion wissen, um sie spielen zu können?

Ich bin kein Fan von biografischer Arbeit an einer Figur, das habe ich noch nie gemacht. Spielen heißt für mich, auf mein Gegenüber zu reagieren, ein Gefühl für die Situation zu entwickeln, für den Raum und das Kostüm, in dem ich stecke. Das läuft intuitiv ab. Wir haben in zwei echten Märkten gedreht, nachts, um den Geschäftsbetrieb nicht zu stören. Das erzeugte ein raumschiffartiges Gefühl, weil so ein riesiger Ort nachts völlig anders wirkt. Es herrschte eine besondere Atmosphäre.

„Toni Erdmann“, Ihr Debüt „Requiem“ von Hans-Christian Schmid, „Brownian Movement“, „Über uns das All“: Bei all Ihren Kinofiguren gibt es dieses Schnippische, eine amüsierte Skepsis. Kommt da Sandra Hüller zum Vorschein?

Das höre ich zum ersten Mal. Ines Conradi aus „Toni Erdmann“ zum Beispiel hat überhaupt nichts mit mir zu tun. So abschätzig, wie sie auf die ernsthaften Fragen ihres Vaters reagiert, würde ich nie mit anderen Menschen umgehen. Das entspricht nicht meiner persönlichen Haltung.

Hat sich Ihr Leben nach dem Trubel um „Toni Erdmann“ wieder beruhigt?

Mein Privatleben hat sich nicht verändert, aber ich spüre eine andere Aufmerksamkeit, und damit auch eine Verantwortung. Ich muss immer öfter mitdenken, dass ich nicht mehr nur als Privatperson unterwegs bin. Ich selbst kriege das kaum mit, meistens weisen mich Freunde darauf hin. Oft vergesse ich einfach, dass es mal „Toni Erdmann“ gab.

Gab es nach „Toni Erdmann“Angebote aus Amerika oder Frankreich?

Zwei französische Produktionen haben geklappt. Der Dreh beginnt dieses Jahr.

Was empfinden Sie rückblickend als den größeren Schritt: auf der Berlinale für Ihre erste Rolle in „Requiem“ mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet zu werden oder der Weg über den roten Teppich in Cannes und bei der Oscar-Verleihung?

„Requiem“ war die größere Überforderung. Die Oscars haben sich ja lange vorher angekündigt, wie waren wochenlang in den USA auf Werbetour – und immer als Gruppe, mit Maren Ade, den Produzenten Jonas Dornbach und Janine Jackowski, zeitweilig auch mit Peter Simonischek. Das war die schönere Erfahrung, wie eine Klassenfahrt.

Sie spielen auch in „Fack ju Göhte 3“: Hat der Erfolg von „Toni Erdmann“ Sie fürs kommerzielle Kino interessant gemacht?

Bora Dagtekin hatte mich schon für den ersten Teil gefragt, das kam damals aus verschiedenen Gründen nicht zustande. Aber grundsätzlich interessiert mich die Frage nach der Kommerzialität nicht. Es war mein Wunsch, mich in das Ensemble einzureihen. Und ich habe gemerkt, dass ich es nur auf meine Art kann. Ich habe nie gelernt, auf Pointe zu spielen. Im Theater ist es sogar verboten, wenn man sich die Witze beim Publikum „abholt“. Weil es voraussetzt, dass bestimmte Formeln immer funktionieren, wie in Mathe. Darum habe ich mich nie als Komödiantin verstanden. „Toni Erdmann” war auch keine Komödie. Der Witz entsteht aus ihrer Verzweiflung.

Sie haben parallel „In den Gängen“ und „Fack ju Göhte 3“ gedreht. Wie geht das, ständig zwischen zwei so unterschiedlichen Filmen und Tonarten zu pendeln?

Zum Glück lagen die Sets weit auseinander. So konnte ich auf den Fahrten immer wieder zu mir kommen. Man unterschätzt die Bedeutung von Kostümen und Maske am Set. Ich fand das Umschalten nicht so schwierig.

Verbuchen Sie „Fack ju Göhte 3“ als Erfahrung, nach dem Motto: Das kann ich auch?

Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, mit den Lorbeeren von „Toni Erdmann“ herumzulaufen und sofort weiter Arthouse-Filme zu drehen. Ich fand es interessanter, etwas Neues zu versuchen. Ach, das wird mir jetzt sowieso niemand glauben. Natürlich war „Toni Erdmann“ in gewisser Weise ein Schlusspunkt.

Die Nacktparty in Maren Ades Film ist schon jetzt ein Klassiker. Wie dreht man eine so lange Szene ohne Kleidung?

Man vergisst irgendwann, dass man nackt vor der Kamera steht. Das war ja der Witz der Szene: so zu tun, als wäre nichts. Innerlich laufen da mehrere Dinge gleichzeitig ab: Die eigene Urkörperscham ist die ganze Zeit da, dann aber gibt es das Vertrauen in die Regisseurin und die Mitspieler und natürlich die Figur Ines Conradi, die mit ihrer Aktion Macht ausübt. Sie lässt sich ja nicht gehen, sondern räumt auf der Party gezielt mit Leuten auf, die in ihrem Leben nichts mehr verloren haben. Das ist das Tolle an der Szene: Einerseits die Aufgabe jeglicher Konventionen, gleichzeitig wird sie zum ersten Mal Chef, sogar gegenüber dem eigenen Chef.

Haben Sie dank solcher Szenen ein anderes Körperbewusstsein als früher?

Mutig sein hilft manchmal.

Alle Ihre Figuren wirken extrem kontrolliert. Würden Sie da widersprechen?

Der Begriff Kontrolle trifft es nicht, die Frauen kämpfen um ihre Würde. Es geht um die Deutungshoheit über das eigene Leben, das hat mit Unabhängigkeit zu tun. Es muss möglich sein, Bereiche im Leben zu finden, in denen man sich frei fühlen kann. Meine Figuren suche ihre eigene Wahrheit. Sie würden diese Kontrolle gar nicht brauchen, wenn man ihnen Freiräume zugestehen würde.

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