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Zwischen Volksbühne und Kinoleinwand: Schauspielerin Jella Haase lebt die Abwechslung.

© Peter Hartwig

Schauspielerin Jella Haase: „Man kann sich den Luxus, unpolitisch zu sein, nicht mehr leisten“

Im Interview spricht die Berlinerin über ihre Kreuzberger Partyjugend, die Sehnsucht nach mehr Spießigkeit und über Horst Seehofer.

Frau Haase, Instagram zufolge haben Sie den Sommer genutzt, um Berlin zu entfliehen. Urlaub auf dem Land. Irgendwo zwischen Regen, Schafen und Tischtennis.
Ich hatte sechs Wochen Theaterferien, war in der Pfalz auf einer Hochzeit und habe dann Urlaub in Deutschland gemacht. Ich war mit Freundinnen an der Ostsee und in der Uckermark. Ausschlafen, mit den Girls frühstücken, an den Strand legen... Ganz entspannt. Ich hatte nicht vor weiter wegzufahren oder wegzufliegen. Insofern hat Corona da keine Pläne durchkreuzt.

Mit Corona-Verzögerung sind Ihre diesjährigen Kinofilme gestartet. „Berlin Alexanderplatz“ läuft seit drei Wochen. „Kokon“ kommt am 13. August auf die Leinwand. Was beide gemeinsam haben: Sie spielen darin selbstbestimmte Frauen, die wenig auf die Meinung anderer geben. Suchen Sie sich diese Rollen explizit?
Ich glaube, ich suche mir diese Rollen unbewusst wissend aus. Ich mag es, Figuren zu verkörpern, die andere Perspektiven eröffnen. Die etwas erzählen, was noch nicht erzählt wurde.

Kokon erzählt die Geschichte vom Erwachsenwerden in Berlin und der Suche nach der eigenen Identität. Im Zentrum steht die 14-jährige Nora, gespielt von Lena Urzendowsky, die sich in der Schule in die von Ihnen gespielte Romy verliebt.
14 ist ein krasses Alter. Man ist eigentlich noch ein Kind, wird aber gerade zur Frau. Es prasseln so viele Dinge auf einen ein, die man nicht einordnen kann, es gibt so viele erste Male, zu denen man keinen Vergleichswert hat.

Die erste Periode zum Beispiel. Während sich die meisten im Film darüber lustig machen, dass es Nora im Sportunterricht erwischt, lässt sich Romy die blutige Hose geben und wäscht sie aus.
Nach unserer Premiere auf der Berlinale kam eine Frau zu mir und sagte: ‚Jella Hasse, ich möchte Sie was fragen! Würden Sie einer fremden Frau das Blut auswaschen?' Ich war erst überrascht, habe dann darüber nachgedacht und glaube: ja. Dieser Film schafft es, dass sowas normal werden kann. Und das ist toll

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Wie waren Sie als 14-Jährige?
Ich war noch verspielt, aber gleichzeitig aufgedreht, neugierig und wild.

Das heißt in der Klasse haben Sie zu den Coolen gehört?
Ich bin in Kreuzberg aufgewachsen, aber auf die Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg gegangen. Mein Opa war da stellvertretender Rektor und eine Ganztagsschule ganz praktisch, weil meine Eltern immer viel gearbeitet haben.

Wir waren eine ziemlich schlimme Klasse und hatten viele Prolls am Start. Ich konnte mit denen gut rumhängen und lachen, habe immer aber auch die Leute verteidigt, die geärgert wurden. Jugendliche können schon hart sein und schlimme Dinge machen...

Zum Beispiel?
Brotboxen auf andere werfen.

Romy (Jella Haase) und Nora (Lena Urzendowsky) im Coming-of-Age-Film "Kokon".
Romy (Jella Haase) und Nora (Lena Urzendowsky) im Coming-of-Age-Film "Kokon".

© Edition Salzgeber

Im Film kiffen die Mädels, rauchen Shisha, brechen in Schwimmbäder ein. Wie sahen Ihre Abende nach dem Ganztagsschulalltag aus?
Ich fand Partys ziemlich früh ziemlich cool. Freunde von mir hatten eine Band, die „Billy-Boys“, da war ich mit 14 auf den ersten Konzerten. Hab zum ersten Mal meine Eltern angelogen… Die waren tatsächlich immer sehr locker, haben mich meine Grenzen austesten lassen.

Selbst bei den ganz großen Ausreißern gab's keinen Ärger. Meine Mutter musste mich irgendwann mal von der Polizeiwache einsammeln, weil wir nach Mitternacht noch in der S-Bahn unterwegs waren und Alkohol dabei hatten… Am nächsten Tag ist sie dann mit mir auf ein Patti-Smith-Konzert gegangen.

Klingt nach Berlin-Klischee.
Das hängt wahrscheinlich auch mit Berlin zusammen, ja… Viele meiner Freunde waren Freigeister und sind es immer noch. Einige haben Bars und Clubs eröffnet, viele haben illegale Techno-Raves veranstaltet – auch weil wir in Clubs nicht reingelassen wurden. Die Türpolitik in Berlin ist mitunter einfach grotesk und willkürlich, ins Berghain bin ich quasi nie reingekommen.

Manchmal nervt mich diese Berliner Coolness extrem. Ich umgebe mich lieber mit Menschen, bei denen ich sein kann, wie ich will, ohne dass ich versuchen muss, an irgendwas heranzukommen.

Ihren ersten Coming-of-Age-Film „Looping“ haben Sie mit 23 gedreht. Damals haben Sie gesagt, Erwachsenwerden sei schon noch ein Thema für Sie. Wie verhält es sich vier Jahre später?
Heute hatte ich ein Baby auf dem Arm und habe kurz so getan, als wäre ich erwachsen. Aber ich glaube nach wie vor, dass man das erst mit 40 ist.

Ihr Terminkalender hat wahrscheinlich schon jetzt Erwachsenenstatus?
Das Leben wird immer schnell durchgetaktet. Wir leben in einem krassen Seelen-Kapitalismus samt Terminkalender-Planwirtschaft. Aber ich versuche mir kleine Oasen zu bauen. Dinge mit meiner Familie und mit meinen Freunden zu unternehmen. Ich habe ein Anrecht auf Zeit. Das musste ich lernen.

Auf der Suche nach der eigenen Identität gibt es in „Kokon“ die Schmetterlingsanalogie. Wie das Tier entwickelt sich der Mensch. Von der Raupe…
…ich würde sagen, dass ich halb Raupe, halb Schmetterling bin. Auf der einen Seite ist der kleine Wurm, der sich immer wieder den Kopf stößt, auf der anderen Seite sind schon Flügel, um loszufliegen.

Heißt?
Ich bin ich ein glücklicher Mensch, aber natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen ich Selbstzweifel habe. In denen ich mir wünsche, dass mein Leben etwas spießiger ist und ich viel ernster bin, klügere Sachen sage und mich so verhalte, dass ich toll rüberkomme.

Das clasht dann mit der Realität, weil ich eigentlich ziemlich unbedarft bin. Die Dinge poltern einfach aus mir heraus und ich fühle mich wohl, wenn ich albern sein und lachen kann. Aber ich wünsche mir, dass die Leute mich sehen und ernst nehmen.

Das ist ja nicht zwangsläufig ein Widerspruch?
Ja… Nein... Früher habe ich mir nie Gedanken über meine Außenwirkung gemacht. Sachen sind einfach passiert und meistens war das auch gut so. Ich habe das Glück, dass ich im deutschen Kino eine große Bandbreite abdecken kann.

Mittlerweile stelle ich mir aber immer mehr die Frage: Was möchte ich drehen? Und wie möchte ich wahrgenommen werden? Mir machen kommerzielle Komödien Spaß. Trotzdem ist da auch die große Sehnsucht nach Filmen wie Berlin Alexanderplatz, die man als politisches Sprachrohr nutzen kann.

Eine Adaption des Jahrhundertromans von Alfred Döblin übersetzt in die heutige Zeit.
Als ich 2017 zum ersten Mal das Drehbuch gelesen habe, war ich war sofort total berührt. Ich fand die Idee, das universelle Ankommen in den Vordergrund zu rücken, spannend, und Burhan Qurbani hat als Regisseur eine ganz eigene, großartige Handschrift.

Es geht in dem Film viel darum, Dinge wahrzunehmen, die man sonst weniger wahrnimmt. Wir sitzen ja gerade vor der Hasenheide – wie oft geht man hier an Menschen vorbei, ohne sich die Lebensgeschichte, die dahintersteckt, zu vergegenwärtigen?

Sie selbst machen in den sozialen Medien immer wieder auf Menschen aufmerksam, die zu wenig gesehen werden. Auf die Geflüchteten von Lesbos zum Beispiel.
Das machen immer mehr! Mein Schauspielkollege Volker Bruch zum Beispiel hat gerade die Aktion „Los für Lesbos“ ins Leben gerufen. 24 Künstlerinnen und Künstler stellen persönlichen Objekte zur Verfügung, die man durch eine Spende gewinnen kann.

Der komplette Erlös geht an den Stiftungsfonds Zivile Seenotrettung und Civilfleet. Von mir gibt's da zum Beispiel das Chantal No.5. T-Shirt und Sneaker aus dem Film „Fuck ju Göthe 2“.

Schauspieler und Musiker mischen in der Öffentlichkeit zunehmend politisch mit. Woran liegt das?
Ich glaube, man kann sich den Luxus unpolitisch zu sein, in unserer heutigen Zeit nicht mehr leisten. Es ist extrem wichtig, zu zeigen, was in dieser Welt schiefläuft. Horst Seehofer zum Beispiel hat gegen den Willen des Landes Berlin untersagt, weitere Geflüchtete aufzunehmen: Das empfinde ich als unmenschlich! Trotzdem muss sich das Engagement in einer Waagschale halten.

Wir Schauspielerinnen haben immer noch einen Beruf, dem wir nachgehen müssen. Und als Projektionsfläche müssen wir uns die Vielfältigkeit bewahren, alles spielen zu können, ohne dauerhaft das Label des Aktivisten auf der Stirn zu tragen.

Ihre nächsten Rollen spielen nicht auf der Kinoleinwand, sondern im Theater. In der Volksbühne feiern die Stücke „Iphigenie“ und „Kaiser von Kalifornien“ Premiere.
Ich bin jetzt seit gut einem Jahr Teil des Ensembles. Hier ist es völlig egal, was ich vorher im Kino gemacht habe. Das ist ein komplett neuer Weg, zu dem mich meine Sehnsucht nach einer anderen Form von Handwerk und literarischer Auseinandersetzung getrieben hat. Alles ist unmittelbarer.

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Der Streit um die Volksbühnen-Intendanz hat Sie nicht abgeschreckt?
Die Zusage nach dem Vorsprechen war für mich das größte Glück und einer der schönsten Momente der vergangenen Jahre. Ich freue mich enorm, dass ich mich hier ausprobieren kann. Das überstrahlt ehrlich gesagt jeden anderen Stress und Streit, den es da gibt.

Wie laufen die Proben unter Corona-Bedingungen?
Es ist alles ziemlich streng. Wenn wir uns zu nah kommen, müssen wir Maske tragen, ansonsten gelten die normalen Abstandsregeln. Wir haben eine Corona-Beauftragte, die mit der Mundharmonika pfeift, wenn wer die 1,50 Meter nicht einhält. Mal sehen, wie das dann auf der Bühne wird.

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