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Durch Zeit und Raum. Die britische Künstlerin Louise Bristow verewigte den „Hasenecke“-Kiosk an der Kantstraße in ihrem Gemälde „Incident at Hare Corner“.

© Louise Bristow, Museum Charlottenburg-Wilmersdorf

Schau über die Kantstraße: Lili Marleen und die Asiabox

Sie ist lang, sie ist laut, mondän und rau: Jetzt wird die Kantstraße in einer Ausstellung in Charlottenburg gewürdigt.

Der Schönheitssalon Omm, das Venezia, der Club 77 und der Goldene Löffel, sie alle sind nicht mehr da. Die Scheiben trüb, die Schaufenster leer, mehr als 50 Läden haben auf der Kantstraße in den vergangenen Monaten dichtgemacht. Corona hat hart zugeschlagen. Die Berliner Künstlerin Stefanie Kloss hat die Fassaden der leerstehenden Läden fotografiert. Ihre Bestandsaufnahme, die jetzt Teil der Ausstellung „Die Kant“ in der Charlottenburger Villa Oppenheim ist, stammt von März 2021. Kloss könnte glatt schon wieder losziehen: Einige Läden sind zurück, andere haben neu aufgemacht. „Die Kant“ lebt. Sie hat überlebt.

Froh darüber sind die Künstlerin Ina Weber und die Schriftstellerin Annett Gröschner. Ihr Plan, sich intensiv mit dieser lärmenden Westberliner Magistrale zu beschäftigen, entstand schon bevor die Pandemie ausbrach. Beide Frauen sind Stadtflaneurinnen von Berufs wegen, die eine nimmt in ihren Architekturplastiken urbane Utopien in den Blick, die andere schreibt Geschichten aus und über die Stadt. „Eine Straße im Museum abzubilden ist eigentlich nicht möglich“, sagt Gröschner. Versucht haben sie es nun, indem sie sich der Kantstraße über die Werke von Künstlerinnen und Autoren nähern.

[Bis 15. Mai, Villa Oppenheim, Schloßstr. 55, Di-Fr 10-17 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr.]

Die schöne Raubeinige im Berliner Westen beginnt am Breitscheidplatz und endet an der Suarezstraße, etwa zweieinhalb Kilometer ist sie lang und verändert sich langsamer als andere große Straßen der Stadt, sagen die Künstlerinnen. Das betrifft Ökonomie, Eigentumsverhältnisse und Konsum. Die ersten asiatischen Restaurants haben sich in den späten 1960er Jahren angesiedelt. Heute spielt die chinesische, vietnamesische, thailändische Küche auf der Kantstraße immer noch eine große Rolle, genauso wie Möbel und Importware aus der Region. Currywurst gibt es natürlich auch, sogar Pommes mit Trüffel am Puls-Kiosk am Savignyplatz. Den kurzen Turm mit dem Spitzdach hat 1908 der Architekt Alfred Grenander entworfen. Die Künstlerin Louise Bristow hat ihn in einem surrealistischen Ölgemälde verewigt. Die Autorin Eva-Lena Lörzer beschreibt in kleinen Skizzen, die im Ausstellungsraum zu lesen sind, was die Berufstrinker, die an den Kiosken und Spätis der Kant abhängen, den ganzen Tag so bewegt.

Der Konzeptkünstler Wilhelm Klotzek, bekannt für seinen absurden Humor, zeigt eine Installation mit Gehwegplatten und drei Straßenaufnahmen, deren Ausschnitte etwas belanglos erscheinen. Bis man merkt, dass Klotzek beim Fotografieren die Perspektiven tierischer Stadtbewohner eingenommen hat. Er begab sich unter anderem auf die Höhe einer Maus.

Die Kantstraße steht für mondäne Eleganz

Wahrscheinlich werden einige jetzt schon ungeduldig: Kantstraße, Kunst? Da fehlt doch die Paris Bar! Die Berliner Malerin Valeria Heisenberg hat das Kultrestaurant des Berliner Westens in einem Aquarell verewigt. Ein Blick reicht und man erkennt sofort, wo man ist. Iirritierend ist es aber doch. Zwar ist der schwarz-weiße Bodenbelag exakt getroffen, aber an der Wand sind keine Kunstwerke, wie einst das Gemälde von Martin Kippenberger, die den Ruf der Bar mitbegründeten. Stattdessen malt Heisenberg den Gilb an der Wand und die Spuren von Bilderrahmen. Ob die Malerin die nackte Wand wirklich so erlebt hat oder ob sie dem hippen Künstlertreff nur eins auswischen wollte, bleibt ihr Geheimnis.

Kantstraße, Ecke Wilmersdorfer Straße, 1966.
Kantstraße, Ecke Wilmersdorfer Straße, 1966.

© Museum Charlottenburg-Wilmersdorf

Die Kantstraße steht auch für mondäne Eleganz, an vielen Stellen längst verweht, verblasst, verbaut. An den Kant-Garagen, dem schönsten Parkhaus Berlins mit bewundernswerter neusachlicher Architektur, wurde 1931 eine Chauffeurs-Kantine eingerichtet; klassische Berliner Zwischennutzung, eigentlich sollte sie nur so lange bleiben, bis ein Neubau des Architekten Richard Paulick auf dem Gelände realisiert worden wäre. Der kam aber nie und der „Groschenkeller“ wurde bald zu einer angesagten Mischung aus Künstler- und Ganovenkneipe. Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert Brecht und andere Stars waren Stammgäste. Norbert Schultze komponierte dort „Lili Marleen“, die Musiker um Coco Schuman spielten Swing, bis die Nazis das unterbanden. 1944 wurde das Haus von einer Bombe zerstört. Bis dahin soll die Kneipe keinen Tag geschlossen gewesen sein.

Annett Gröschner hat eine Groschenkeller-Erzählung von Franz Jung aufgetan, die sie vom Schauspieler Robert Stadlober hat einsprechen lassen. Die Geschichte ertönt nun vom Band, in einer der Originalkneipe nachempfundenen Szenerie, die Ina Weber gebaut hat. Tisch und Biergläser sind verzerrt wie in einem Traum. Wer in dieser Ausstellung mit wem wie und warum zusammenarbeitet ist ebenso überraschend wie die schönen, verwunschenen Hinterhöfe, die es auf der Kantstraße auch noch geben soll und in die man noch keinen Blick gerichtet hat. Die Besucherin war ja ohnehin nirgendwo, keine Sekunde auf dem Asphalt der Kantstraße unterwegs, nur im Ausstellungssaal. Erstaunlich, wieviel man dort erlebt. Ein Begleitprogramm mit Stadtspaziergängen gibt es im Rahmen der Ausstellung natürlich auch.

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