zum Hauptinhalt
Blick in die Ausstellung von Michael Müller im (noch) unsanierten Tanzsaal, der anschließend für die Sammlung Wemhöner hergerichtet wird.

© def image / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Schau in der Sammlung Wemhöner: Liebe deine Farben

Der Berliner Künstler Michael Müller zeigt „Schwierige Bilder“ in der Sammlung Wemhöner.

Größer könnte der Kontrast kaum sein, den die aktuelle Ausstellung „Schwierige Bilder“ von Michael Müller in dem baufälligen Saalgebäude an der Hasenheide bietet. In dem ehemaligen Tanz- und Vergnügungslokal mit seinen 18 Meter hohen, unverputzten Wänden werden seine neusten Großformate auf je einer musealen Stellwand wie Ikonen des abstrakten Expressionismus präsentiert. Es ist die erste Einzelausstellung des multimedialen Künstlers, Kurators und Kommunikators, die ausschließlich seiner Malerei gewidmet ist.

Die legendäre Architektur mit ihrer 120-jährigen Nutzungsgeschichte als Tanzlokal, Boxring, Piscator-Bühne, Kino und Diskothek war bereits zum Abriss vorgesehen, als sie der Herforder Unternehmer und Privatsammler Heiner Wemhöner vor drei Jahren erwarb, um dort seine Kunst öffentlich zu zeigen.

Nach mehrfachen Gastauftritten in der Stadt – 2014 in den ehemaligen Räumen der Galerie Hetzler in Wedding, dann in der Galerie Judin und im Salon Dahlmann, 2018 in den KUNSTSAELEN, zu deren Mitbegründern und Betreibern Michael Müller gehörte – fand 2019 mit der „Collection Night“ die Premiere in den neuen Räumen an der Hasenheide statt.

Bevor demnächst eine behutsame Sanierung unter der Ägide von David Chipperfield beginnt, ist Müller dort zu Gast mit seinen großformatigen Bildern, die aus seinem Atelier, der Galerie Thomas Schulte und der Sammlung Wemhöner stammen. Der eloquente Konzeptkünstler ist spätestens seit seiner Einzelausstellung „Wer spricht?“ in den KW – Institute füor Contemporary Art kein Unbekannter mehr.

Weniger bekannt als die disparate Heterogenität seines Gesamtwerks ist dagegen seine Malerei, zu der er nach jahrzehntelanger Pause erst vor Kurzem zurückkehrte, was umso mehr überrascht, als sich hier ein fulminantes Farbempfinden Bahn bricht. Unübersehbar war bereits das monumentale Schaufenster, das Müller zum Gallery Weekend im September 2020 für die Galerie Thomas Schulte mit sechs passgenauen Leinwänden gefüllt hat. Unverkennbar selbst von Ferne die Referenz an den abstrakten Expressionismus, allen voran zu Willem de Kooning, Joan Mitchell und Cy Twombly.

Abstrakte Kunst und Selbstbefriedigung

In dem dazu produzierten Film gibt Müller Einblicke in den Entstehungsprozess seiner Malerei, die mit bloßer Hand und Fingern auf die nicht grundierte, nackte Leinwand aufgetragen wird. Durch die körperliche Bewegung und das haptische Erleben vor und mit dem Leinwandkorpus entwickelt sich der Malakt zu einer Art Liebesakt im Ringen zwischen Beherrschung und Unterwerfung, Kontrolle und Hingabe.

Müller selbst spricht von der „Suchtkapazität“ und den „Lustmomenten“ seiner nicht-gegenständlichen Malerei. Er zieht sogar einen gewagten Vergleich zwischen abstrakter Kunst und Selbstbefriedigung, da beide nicht referentiell auf etwas oder jemand anderen, sondern nur auf sich selbst bezogen seien.

[Sammlung Wemhöner, Hasenheide 13; bis 1. Juli, Sa/So 12–18 Uhr mit Termin: www.sammlung-wemhoener.com. Ein Katalog dazu ist im Distanz Verlag erschienen (34 Euro).]

Auch ohne diese Hintergrundinformation vermitteln die elf Bilder in ihrem Kontrast zwischen der nacktgrauen Leinwand und den dominierenden Haut- und Fleischfarben, blutigen Rot- und Rosatönen in allen Gerinnungs- und Erregungszuständen eine große Sinnlichkeit. Im Zentrum der von Philipp Bollmann, dem Kurator der Sammlung Wemhöner präzise eingerichteten Ausstellung steht der siebenteilige Werkzyklus der „Schwierigen Bilder“, die als Diptychen von circa zwei mal fünf Metern angelegt sind.

Verschränkung und Reproduktion

Man sieht den Bildern ihre konzeptuelle Vorgabe kaum an, bei der es um eine Verschränkung zweier Bildhälften in einem komplexen Verhältnis von Original und Reproduktion geht. Beide Aspekte der Verschränkung und Reproduktion sind jeweils bestimmend für die beiden anderen Werkserien der „Reproduktion von Frühwerken“ und der „Verschränkten Werke“, von denen je zwei Werke gezeigt werden.

Während die beiden aus dem Gedächtnis nach verlorenen Frühwerken gemalten Bilder „Tarantium“ in ihrem burgunderroten Farbverlauf an Bilder von Mark Rothko erinnern, werden die beiden „Verschränkten Werke“ mit einem quer über die beiden Bildhälften gemalten Riegel verschränkt.

Mit Blick auf die heroischen Vorbilder des abstrakten Expressionismus lässt sich ahnen, wie sehr es dem Künstler genau um diese „Fragen an die Malerei“ geht, die sich mit Autorschaft, Transformation und Übersetzung beschäftigen.

Die Notwendigkeit zur Darstellbarkeit der Liebe

Im Bewusstsein dieser Problematik sind es „Schwierige Bilder“, die aus einem grundsätzlichen Zweifel an der Malerei und Misstrauen gegen die eigene Bravour nach konzeptuellen Regeln entstehen. Dagegen wirkt die Analogie zwischen Mal- und Liebesakt wie eine Befreiung, die sich auch in den Titeln von der Kunst auf die Sexualität übertragen lässt. So beschreiben sie etwa die „Paradoxe Machterfahrung“, die sich mit der Leinwand ebenso wie mit dem Liebhaber machen lässt, wenn es um Beherrschung und Unterwerfung geht.

Sie benennen mit „Der Drang (Gegenwartsbefreiung)“ den Trieb, der in der Malerei wie im Sex nach Entgrenzung und Transzendenz strebt. Sie erzählen von dem vieldeutigen, oft unwillkürlichen Geschehen und Hinübergehen, das in dem schwachen Verb des Titels „Passieren“ steckt. Und sie flüstern von der non-verbalen Botschaft der Kunst und der Körper, die sich gleichsam „Par Avion“ zu ungeahnten Höhenflügen aufschwingt.

Aus den weiße Wolkenwirbeln, die sich Schicht um Schicht über den rohen Leinwandkorpus legen, brechen nur hellgraue, zartrosa und violette Farbtöne hervor, während sich in dem gegenüber hängenden Bild „Playing with my ass“ eine wahre Farbexplosion entlädt.

Wenn „das Leid ein Anrecht auf Nicht-Darstellbarkeit“ hat, wie der Künstler seine langjährige Malabstinenz aus seiner frühen Erfahrung als Sterbebegleiter von HIV-Kranken erklärt, dann erkennt man in seinen neuen Bildern die Lust, ja Notwendigkeit zur Darstellbarkeit der Liebe.

Dorothea Zwirner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false