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Bückware. Selbst seinen Verkaufstrolley machte Hans Krüsi zur Kunst.

© Art Cru

Schau in der Galerie Art Cru: In Krüsis Welt

Erstmals in Deutschland zu sehen: Die Berliner Galerie Art Cru zeigt in Kooperation mit dem Kunstmuseum Thurgau Werke des Schweizer Autodidakten Hans Krüsi.

Zuerst verkaufte er auf dem Züricher Markt selbst gepflückte Alpenveilchen, dann seine Bilder. Die auf Outsider-Kunst spezialisierte Berliner Galerie Art Cru zeigt in Kooperation mit dem Kunstmuseum Thurgau erstmals in Deutschland Werke des Schweizer Autodidakten Hans Krüsi, eines bedeutenden Vertreters der Art Brut (Oranienburger Straße 27, bis 11. Mai). Seine Motive holte sich der Sonderling Krüsi aus Kindheitserinnerungen und seiner unmittelbaren Umgebung: Flora und Fauna, Berglandschaften, Menschen und Mischwesen. Als Materialien nutzte er, was ihm gerade in die Finger geriet: Sperrholz, Packpapier, Papierservietten, Filzstifte, Kugelschreiber, Dispersions- und Sprühfarben.

1920 im Kanton Appenzell als uneheliches Kind geboren, kam Krüsi als Zweijähriger zu Pflegeeltern, später ins Waisenhaus. Bereits als Teenager fotografierte er mit Apparaten der einfachsten Machart. Sein Wunsch, Gärtner zu werden, erfüllte sich nicht, er schlug sich als Bauernknecht und Gärtnergehilfe durch. 1948 ließ er sich in St. Gallen nieder und pendelte fast 30 Jahre zwischen der Ostschweiz und Zürich, wo er auf einer der vornehmsten Einkaufsstraßen als Blumenverkäufer zum Original wurde. In den Siebzigern begann er zu zeichnen und zu malen, überstrich und collagierte seine bewusst fehlerhaft aufgenommenen Fotografien. Seine skurrilen Schöpfungen bot er für ein paar Franken im Zug an, auf Straßen und Märkten. 1976 hatte er seine erste Präsentation in einer Blumengroßhandlung von St. Gallen.

Jeder hat einen Vogel

Ab 1980 wurden auch Schweizer Galerien auf den Außenseiter aufmerksam, allmählich konnte Krüsi von seiner Kunst leben. Große Ausstellungen widmeten ihm 1990 die Collection de l’art brut in Lausanne und 2001 das Kunstmuseum Thurgau, das seinen Nachlass verwaltet. Dazu gehören neben 4 000 Bildern und Zeichnungen auch Polaroid-Abzüge, Tonbandaufnahmen, Toncollagen, Gedichte und Prosatexte (Preise: 600 bis1 200 Euro).

„Ich kann nicht schaffen wenn ich kalt habe/ich kann nicht atmen wenn ich heiß habe/ich kann nicht schlafen wenn kein Wein“, notierte Krüsi in ungelenker roter Schrift auf eine Postkarte. Auf Servietten geistern seine Zwitterwesen, halb Mensch, halb Tier oder nur Fragmente, herum. Sie stehen Kopf, schneiden Grimassen, rollen die Augen. Sie summieren sich zu Reihungen, durchsetzt mit Satz- und Wort-Bruchstücken. Zauberhafte Pflanzengebilde schweben über getöntem Papier. Dass jeder einen Vogel hat, war diesem Outsider, der lange unter prekären Bedingungen lebte, ohnehin klar. Flugs ersetzte er auf einem Blatt das Wort Vogel durch das gemalte Tier.

Einer, der sich gern selbst inszenierte

Wie ein heiter-anarchischer Abkömmling surrealistischer Objektkunst wirkt sein zum Einkaufstrolley umfunktionierter Felltornister des Schweizer Militärs, den Krüsi mit Servietten, Pack- und Reklamepapier ummantelte, bemalt mit seinen bizarren Figuren. Heute ist der „Ziehwagen“ in privater Sammlerhand, genau wie sein Home-Kino der „Kleinen Kuhmaschine“: In einem bunt beträufelten Blumenkasten rollt per Handkurbel das Schweizer Fleckvieh auf einem Wellkartonstreifen am Betrachter vorbei. Schöner kann eine Liebeserklärung an das „Galöri“, das Trampeltier der Alm, nicht sein.

Hans Krüsi starb an den Folgen einer chronischen Lungenkrankheit 1995 in St. Gallen. Einer, der sich mit seiner markanten Nase und dem Veilchenhut gerne selbst inszenierte. Und nicht verkäuflich sein wollte.

Angelika Leitzke

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