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Horizont im Quadrat. „Billboard mit Aussicht“ von Lia Darjes gibt dem Unendlichen einen feinen Rahmen.

© Lia Darjes, courtesy of the artist and Sammlung Helbsing, Berlin

Schau in der Alfred-Erhardt-Stiftung: Diese Sehnsucht nach dem Meer

Die Alfred-Ehrhardt-Stiftung zelebriert in der Ausstellung „Seestücke – Fakten & Fiktion“ die Wunder des Meeres – und übt Kritik am Menschen.

Diese Ausstellung ist wie das Meer, um das es in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung geht. Covid-19-bedingt schaut man von draußen durch die Schaufenster auf Wasserflächen. Der Blick kratzt sozusagen gerade einmal an der aktuellen Schau „Seestücke – Fakten & Fiktion“: Drei, vier Arbeiten sind zu sehen, der Rest verliert sich in der Tiefe des dunklen Raums. Trotzdem ist man fasziniert, möchte abtauchen und sich in die Filmen und Fotografien der 23 hier versammelten Künstlerinnen wie Künstler versenken.

Es locken sanft auf Wellen schaukelnde Schiffchen, wie sie Christine de la Garenne zeigt. Es lockt ein Wanderer bei Ebbe, der das immer kleiner werdende Eiland, auf dem er trockenen Fußes laufen kann, mit monotonen Schritten abmisst.

Neben der neunminütigen Videoarbeit von Simon Faithfull hält ein Foto von Sascha Weidner etwas verführerisch Schillerndes im Wasser fest. Korallen oder vielleicht eine farbige Qualle – aber nein, es handelt sich um ein Stück Kunststoff, das aufgebläht im Wasser treibt.

Spätestens hier wird deutlich, dass der Berliner Kurator Harald Theiss alles andere als eine Verklärung des Themas betreibt. „Seestücke“, das sind keine unschuldigen maritimen Ansichten, sondern die Schlachtenbilder von heute.

An die Stelle eindrucksvoller Dreimaster, die sich gegenseitig mit Kanonenhagel versenken, rückt nun allerdings Weidners unauffällig schwebendes Unheil, um eine Kette von Assoziationen loszutreten: Die Plastiktüte ruft Bilder von Schönheit, Vermüllung und Tod auf.

Kritik durch Auslassung

Der Tod lauert auch im Querformat von Nasan Tur. Auf „Sea View“, einer Arbeit von 2016, breiten sich das Meer und sein blau-rosa Horizont zum knapp vier Meter langen Panorama aus. Visuell überwältigend, trotz der Unschärfen zwischen den Wellen.

Der Berliner Künstler hat ein Fundbild aus dem Internet nicht bloß unendlich vergrößert, sondern auch digital bearbeitet. Zu sehen waren ursprünglich Boote von Geflüchteten. Turs Retusche tilgt diese zentrale Information, wäscht sie aus dem Gedächtnis – wie es jeder bei sich tut, der die wiederkehrenden Nachrichten über boat people ignoriert.

[Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Auguststr. 75, bis 25. April, www.aestiftung.de]

Kritik durch Auslassung. Wie gefährlich diese Leere sein kann, ist eine Erfahrung von „Seestücke“. Die andere gipfelt in Umdeutung oder Dramatisierung, wie sie Julius von Bismarck betreibt. Seine große Fotografie ist zwar nicht durch die Scheiben zu sehen, doch das Ausstellungsplakat publiziert sein Selbstporträt in der Brandung immer und immer wieder. Ähnlich unermüdlich, wie der Künstler zur Peitsche greift, um die Gischt mit langen, ausholenden Schlägen zu prügeln. Fast schon rituell.

Unklar bleibt, für was von Bismarck das Wasser bestrafen will. Für all die Ertrunkenen? Oder weil es dem Menschen seit jeher als Projektionsfläche dient, ohne dessen Sehnsüchte am Ende einzulösen? Peinigt er also nicht doch sich selbst für seine romantischen Gelüste…

Was sich im hinteren Teil der Räume verbirgt, wird erst nach dem Shutdown sichtbar

„Seestücke“ gibt keine Antwort, sondern liefert Sinnbilder für solche Fragen. Mit Absicht überfrachteten Motiven wie von Bismarcks „Punishment #7“ stehen entleerte Szenen gegenüber, die den Betrachter allein mit der See konfrontieren. „Billboard mit Aussicht“ ist ein Beispiel dafür, das man ebenfalls im vorderen Raum der Alfred-Ehrhardt-Stiftung sehen kann.

Lia Darjes hat das Metallgestänge einer Plakatwand von der Promenade aus fotografiert. Leer und ohne Werbung rahmt es einen zufälligen Ausschnitt vom Meer. Obwohl sich dies rechts wie links ins Unendliche, vor allem aber völlig identisch fortsetzt. Darjes setzt als Künstlerin einen visuellen Akzent und erzählt damit etwas über die Fotografie, den gelenkten Blick und ihre gezielten Auslassungen.

Mit Angelika Arendt, deren keramische „Aphrodite“ wie ein von Muscheln überwachsenes Objekt aussieht, und Eva Grubingers „Decoy“ sinkt der Betrachter dann ab. Der monströse Angelhaken aus Stahl und Aluminium hält einen fest, variiert die Perspektive und verspricht weitere Einsichten über und unter dieser wogenden Landschaft, die seit Ewigkeiten bewundert, ausgenutzt und zerstört wird. Dafür braucht es jedoch Geduld: Was immer sich im hinteren Teil der Räume verbirgt, wird erst nach dem Shutdown sichtbar werden.

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