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Nachdenklich. Jury der deutschen Auswahl, Berlin 1953.

© Kat./ VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Schau in Dahlem: Kunst im Kreuzfeuer des Kalten Krieges

Das Kunsthaus Dahlem rekonstruiert den internationalen Bildhauerwettbewerb „Der Unbekannte Politische Gefangene“. Er war in den Ost-West-Konflikt verstrickt.

Am 11. März 1953 stand der Ausgang des international ausgeschriebenen Wettbewerbs zum „Denkmal des Unbekannten Politischen Gefangenen“ fest. Der Sieger war gekürt, der englische Bildhauer Reg Butler. Doch das Echo auf die Einreichungen blieb geteilt.

Der 1952 vom Londoner „Institut of Contemporary Arts“ ausgerufene Skulpturenwettbewerb war von Anfang an verstrickt in den Ost-West-Konflikt, der sich seit Kriegsende immer weiter vertieft hatte.

Aus dem Abstand von fast sieben Jahrzehnten betrachtet, kann der Wagemut nur verwundern, mit dem sich die Organisatoren über den politischen Konflikt – wer darf als „politischer Gefangener“ gelten und von wem? – wie über den künstlerischen Dissens – gegenständlich oder abstrakt? – hinwegzusetzen hofften. Es gelang weder das eine noch das andere. Es gab einen Wettbewerbssieger, es gab diverse Preise an weitere Teilnehmer; aber realisiert wurde das Denkmal nicht, und der Wettbewerb versandete.

Ganz in Vergessenheit geriet er zwar nicht, doch bedurfte es detektivischer Spürarbeit, um ihn zu rekonstruieren. Das hat Dorothea Schöne an dem von ihr begründeten Kunsthaus Dahlem unternommen, gemeinsam mit Petra Gördüren; beide schreiben im Vorwort des unverzichtbaren Katalogs, die Ausstellung bringe „erstmalig den Siegerentwurf des Briten Reg Butler, einige der in der Endauswahl prämierten Entwürfe und alle heute noch erhaltenen Werke der deutsche Vorauswahl zusammen, die 1953 zum ersten und zugleich letzten Mal öffentlich gezeigt wurden. Viele der Wettbewerbsentwürfe sind nach der Ausstellung in der Londoner Tate Gallery in Vergessenheit geraten und konnten erst im Vorfeld der Ausstellung wieder aufgespürt werden.“

Jurymitglied Will Grohmann, wortmächtiger Advokat der modernen Kunst und Mitbegründer der Kasseler Documenta, fasste das künstlerische Dilemma zusammen: „Figurale Entwürfe gingen zwar in Menge ein, aber sie befriedigten keinen der Preisrichter, sie waren unaktuell, geistig zu eng und in der Formgebung historisierend. Allein die sinnbildlichen Vorschläge interessierten, und das ,Gerüst’ Reg Butlers fand schließlich allgemeine Zustimmung.“ Butler, ein englischer Bildhauer, hatte eine Art abstrahierten Wachtturm vorgeschlagen, an dessen Fuß zwei oder drei als Trauernde auszumachende Gestalten die Dimension des 30 Meter hohen Denkmals angaben.

Es bewarben sich tausende von Künstlern

Dieses Denkmal, im Wettbewerb noch ohne konkreten Aufstellungsort, wurde dank der Initiative von Ernst Reuter bald zu einer Berliner Angelegenheit – einer West-Berliner wohlgemerkt, und damit zu einem Vorgang im Kalten Krieg.

Es sollte den durch Trümmeraufschüttung entstandenen Hügel im Volkspark Humboldthain krönen, sichtbar bis weit nach Ost-Berlin, so dass die politische Aussage unmissverständlich gewesen wäre. Doch der Elan erschlaffte bald. Noch 1959 bemühte sich ein privater Verein um die notwendigen Geldmittel; vergeblich.

[Kunsthaus Dahlem, bis 20. Juni. Katalog bei Wasmuth & Zohlen, 29 €, im Buchhandel 39 €. Besichtigungstermine und Tickets nur über https://kunsthaus-dahlem.de]

Auf den Londoner Aufruf hin hatten sich bis zum Stichtag am 1. Juni 1952 nicht weniger als 3 488 Künstler aus 57 Nationen erkundigt; 1500 Modelle in zulässiger Größe bis zu 50 Zentimetern gingen schließlich ein. Die weitaus größte nationale Beteiligung war mit 262 Einreichungen die der jungen Bundesrepublik.

Sie wurden im Berliner Haus am Waldsee gezeigt, einschließlich derer aus der Schweiz; schließlich gingen zwölf ausgewählte Finalisten zur abschließenden Ausstellung im Frühjahr 1953 in der Tate Gallery London. Mit 30 000 Besuchern wurde dort ein für damalige Verhältnisse durchaus zahlreiches Publikum erreicht.

„Wir glauben, dass Kunst keine Grenzen kennt“, hatte der renommierte Henry Moore dem Wettbewerb auf den Weg gegeben: Jeglicher Bildhauer könne daran teilnehmen, „ungeachtet der Art seines Werkes und ohne Berücksichtigung von Nationalität oder politischer Ausrichtung“. Das war groß gedacht, aber an der politischen Wirklichkeit der Zeit vorbei.

Die Entwürfe folgen allen Spielarten der modernen Kunst

Die Kosten des Wettbewerbs wurden durch Spenden zumeist aus den USA aufgebracht; heute darf als gesichert gelten, dass ein Gutteil vom Geheimdienst CIA auf den Weg gebracht wurde, der in diesen Jahren nicht zuletzt in West-Berlin die Propagierung „moderner“ Kunst als Ausdruck westlicher Freiheit betrieb.

So wurde es zwar eine westliche Veranstaltung, doch weit davon entfernt, nur der Abstraktion Raum zu geben. Die im Kunsthaus Dahlem versammelten Entwürfe – nach damaligem Vorbild auf grauen Kuben – folgen allen Spielarten von Figürlichkeit und Symbolik bis Abstraktion. Unter den deutschen Teilnehmern zeigten Heiliger wie auch Fritz Koenig oder Karl Hartung jeweils eine in Gitter eingespannte Figur, der Schweizer Max Bill – Mitbegründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung – eine von Kuben umstellte Stahlsäule.

Erich F. Reuter, später Lehrer an der Berliner HfbK, entwarf eine kauernde Figur in der Tradition Lehmbrucks, und nur der später so erfolgreiche Hans Uhlmann löste sich mit seinem Stahlgeflecht von jeglicher Symbolsprache. Der Wettbewerb war gerade wegen seiner enormen Vielfalt eine der wichtigsten künstlerische Veranstaltungen der Jahrhundertmitte.

Beinahe zwangsläufig zogen die Einreichungen und die Auswahl der Jury Kritik von allen Seiten auf sich. Sowohl aus dem Osten wie von bürgerlicher Seite wurde die unmissverständliche Aussage einer traditionell figürlichen Darstellung vermisst. Das blieb ein gängiger Topos der Kritik, die gern auf Fritz Cremers Buchenwald-Denkmal als Gegenbeispiel einer politisch eindeutigen Bildsprache verweist.

Der „Unbekannte Politische Gefangene“, nachgerade zum Inbegriff des fürchterlichen 20. Jahrhunderts geworden, lässt sich mit einem Werk der Bildhauerei augenscheinlich nicht fassen. Er bleibt ort- und zeitlos, wie das Siegermodell des weithin vergessenen Reg Butler.

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