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Das Haus Peterstraße 7 in Görlitz nach erneuter Rekonstruktion 2015.

© Jörg Schöner

Schau in Berliner Kunstbibliothek: Das Wunder von Görlitz

Vorher - Nachher: Eine Fotoausstellung in der Berliner Kunstbibliothek zeigt die Wiederauferstehung der Altstadt von Görlitz.

Die Ansage ist eindeutig. „Geh nach Görlitz und fotografiere die Altstadt, bevor sie zusammenfällt.“ Dieser Satz des damaligen sächsischen Landeskonservators Hans Nadler animiert den Fotografen Jörg Schöner dazu, für seine Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig den Zustand der Altstadt in Görlitz festzuhalten. Inzwischen, wo die Stadt an der Neiße längst wieder zu den schönsten Städten des Landes zählt und Filmproduktionen wie „Grand Budapest Hotel“ sie als pittoreske Kulisse nutzen, ist das Ausmaß ihrer Gefährdung schon fast nicht mehr vorstellbar.

Von 1980 bis 1982 fertigt der 1944 in Dresden geborene Schöner zahlreiche Schwarzweiß-Aufnahmen an, die zu einem bitteren Dokument des Verfalls geraten. 500 Jahre europäische Architekturgeschichte sind an den Fassaden der östlichsten Stadt Deutschlands ablesbar. Ein einzigartiges, im Zweiten Weltkrieg weitgehend von Zerstörungen verschontes Ensemble aus Gotik, Renaissance, Barock, Jugendstil und Gründerzeit – allesamt durch bröckelnden Stuck, rieselnden Putz und leere Fensterhöhlen vereint.

Die Görlitzer Altstadt ist inzwischen belebtes Wohnquartier

Nebenbei ist an den Bildern, die in Berlin im Kulturerbejahr in der Wanderausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ in der Kunstbibliothek am Kulturforum zu sehen sind, auch ein Stück Alltagsgeschichte der DDR abzulesen. Wen wundert’s, dass die Bürger gern in die neuen Plattenbauten am Stadtrand ziehen, wenn ihnen im maroden mittelalterlichen Stadtkern buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt, wie Außenansichten leer stehender Bruchbuden und das Stillleben einer verlotterten Wohnschlafstube verraten. „Passieren verboten“-Warnschilder in Hauseingängen sprechen von der nahen Grenze zu Polen. Doch wenn Baustoffe und Farbe in der Mangelwirtschaft auch knapp sein mögen, im Gemüseladen kostet das Kilo Schmorgurken gerade mal 20 Pfennig, wie an einer Tafel abzulesen ist.

Das Haus Peterstraße 7 während Rekonstruktionsarbeiten 1983.
Das Haus Peterstraße 7 während Rekonstruktionsarbeiten 1983.

© Jörg Schöner

Die großformatigen Fotos von markanten Gebäuden und Gassen, die der Architekturfotograf vor und nach der 1990 begonnenen Sanierung des 4000 Häuser umfassenden Flächendenkmals aufgenommen hat, stellt die seit 2016 an wechselnden Orten gezeigte Schau des Freistaates Sachsen und der Stadt Görlitz im Vorher-Nachher-Prinzip gegenüber. Wobei die Fotos von heute den denkmalpflegerischen Wiederauferstehungs-Effekt allein durch ihre Farbigkeit verstärken. Im Gegensatz zu den nicht nur historisch-, sondern ihrer dynamischen Licht-Schatten-Dramaturgie wegen auch künstlerisch wertvollen Schwarzweiß-Bildern der Achtziger-Tristesse, wirkt die Dokumentation des menschenleeren Ist-Zustands aber merkwürdig steril. Und das, obwohl die inzwischen glücklich gerettete Görlitzer Altstadt heute wieder ein nicht nur von Geschäftsleuten, sondern auch von Zuzüglern und jungen Familien belebtes Wohnquartier ist.

Das war, als 1995 die erste als „Altstadtmillion“ bekannt gewordene und bis 2016 überwiesene Spende eines anonymen Gönners eintrudelte, die das Wunder mitbegründete, überhaupt nicht abzusehen. Insofern taugt die von einem Bildband der Deutschen Stiftung Denkmalschutz begleitete Schau nicht nur zur (völlig legitimen) Selbstbeweihräucherung von Land, Stadt und Denkmalpflege-Institutionen, sondern auch zur Ermutigung für andere von Umbrüchen gezeichnete, aufgelassene Regionen.

Kunstbibliothek am Kulturforum, bis 5. August, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, Eintritt frei, Katalogbuch 19,80 €

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